Montag, 11. März 2013

Mal wieder gesehen - Psycho

Einer der vielen Gründe, weshalb Romanverfilmungen damals noch besser funktioniert haben, waren sicherlich die weniger ausgebauten Kommunikationswege. Wenn es heute ein bedeutendes Buch gibt, so ist die erste Information, die man darüber hört, meistens, dass es sich um einen Bestseller handelt. Wie kann das sein? Ich jedenfalls habe von den meisten Bestsellern der letzten Jahre erst gehört, nachdem es sich offensichtlich schon tausendfach verkauft hat. Manche Bücher kannte ich schon vorher und jeden, den ich gefragt habe, ob er dieses oder jenes Buch auch so klasse fand, musste diese Frage verneinen, weil er das Buch noch gar nicht gelesen hatte. Und wie durch Zauberhand wurden solche Bücher plötzlich zu Bestsellern, sobald jemand Interesse bekundet hat, sie zu verfilmen. Derartige Bestsellerverfilmungen haben für niemanden einen rechten Reiz. Wer das Buch schon kennt, muss damit rechnen, dass er enttäuscht wird, weil natürlich alles ganz anders aussieht, als man es sich vorgestellt hat. Wer das Buch nicht gelesen hat, läuft Gefahr, sich zu langweilen, denn bei Bestsellern traut sich der Regisseur nicht, etwas innovatives, oder kreatives zu tun. Schließlich hängt sehr viel Geld an der ganzen Kiste. Also bleibt all der Erfindergeist gleich zu Hause, denn man will es sich ja nicht den treuen Fans der Buchvorlage verscherzen. Bestenfalls sucht sich der Filmemacher also einen Roman aus, den keiner kennt. Alfred Hitchcock zum Beispiel hat „Psycho“ gelesen und wusste sofort zwei Dinge. Erstens musste er dieses Buch verfilmen und zweitens musste er alle Exemplare aufkaufen, damit so wenig Menschen, wie möglich das Ende kannten.

Das Leben in der modernen Welt ist nicht einfach. Emanzipierte Frauen, wie die hübsche Marion Crane, haben es nicht leicht. Sie werden in Rollen gepresst, die sie nicht zu spielen vermögen, geschweige denn, spielen möchten. Sie leben allein, denn in den 60er Jahren herrscht Männermangel. Sie müssen sich einer berauschenden aber unziemlichen Affäre hingeben, damit sie hin und wieder überhaupt etwas fühlen. Sie müssen sich den Avancen reicher, alter Männer erwehren. Wenn die Frauen nicht auf so etwas eingehen, sind sie sofort zickig, oder gar verdreht. Nicht Gesellschaftskonform, wenn man so will. Wenn so ein alter Cowboy daherkommt, mit einem Haufen Geld unterm Arm und dann auch noch Wörter benutzt, wie „Puppe“, oder „Mädel“. Dann darf man sich freilich nicht wundern, wenn das „Mädel“, welches aber eigentlich eine emanzipierte Frau sein will, einfach mit dem Geld abhaut. Sie denkt nämlich, sie kann mit dem Geld eine Zukunft mit ihrem Liebsten kaufen. An alles hat sie gedacht; der Plan ist perfekt. Sie wechselt unterwegs das Fahrzeug, um nicht verfolgt zu werden. Sie hat keine Scheu, ihre Rolle als angepasste, schwache Frau zu spielen, wenn sie einem Streifenpolizisten begegnet. Doch dann geschieht etwas unerwartetes. Sie gerät in ein Unwetter und verfährt sich hoffnungslos. Sie steuert ein abseits gelegenes Motel an. Der Betreiber ist auch kein typisches Mitglied der Gesellschaft. Er lebt allein, stopft gerne Vögel aus und hat eine einmalige Beziehung zu seiner Mutter. An diesem Ort, der nur wenige Meilen von der großen Stadt entfernt, und dennoch absolut abseits der Gesellschaft liegt, kann die Frau sie selbst sein. Sie muss sich nicht verstellen. Die Last ihrer Rolle fällt von ihr und im Licht der Klarheit erkennt sie, dass es ein Fehler war, das Geld zu stehlen. Niemand sagt ihr, dass sie etwas falsch gemacht hätte, sie erarbeitet sich diesen Gedanken selbst. Diese Erkenntnis gibt ihr neue Kraft und auch Mut, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Gleich Morgen wird sie sich stellen. Noch eine ruhige Nacht an diesem stillen Ort verbringen. Doch dann geschieht noch etwas unerwartetes. Es passiert im Badezimmer, unter der Dusche. Die Tür öffnet sich und, wie es im Buch so schön heißt: „Es war dieses Messer, dass ihren Schrei abschnitt. Und ihren Kopf.“

Es ist unglaublich, aber Hitchcocks „Psycho“ ist immer noch einer der spannendsten Filme, die ich kenne. Eigentlich ist es ja immer so, dass sich die Sehgewohnheiten des Publikums rasend schnell entwickeln und der Filmtechnik immer einen Schritt voraus zu sein scheinen. Was uns in einem Film vor zehn Jahren Angst gemacht hat, muss uns nicht mal mehr ein müdes Runzeln entlocken, wenn wir es heute sehen. Aber manchmal gibt es eben slche Szenen, die immer wieder erschrecken.
In „Das Schweigen der Lämmer“ gibt es eine Szene, in der Jodi Foster in einem finsteren Raum gefangen ist und absolut nichts sehen kann. Der Killer ist mit ihr im Raum und beobachtet sie durch eine Nachtsichtbrille. Das ist eine Szene, die immer funktionieren wird. Über „Hostel“ von Eli Roth hingegen habe ich damals im Vorhinein so viele schreckliche Details gehört, dass ich, als ich ihn mir dann endlich angesehen habe, zu meinem Erschrecken feststellen musste, dass ich den Film gar nicht mehr so grausam fand. Hitchcock jedenfalls ist immer noch absolut spannend. Die Optik und der ganze Stil ist ganz und gar nicht zeitgemäß, geschweige denn zeitlos, aber irgendwie hat dieser Film beinahe nichts von seiner Wirksamkeit eingebüßt. Das mag an der Musik von Bernard Herrmann liegen, die stets nahe an der Hysterie vorbei zu schrammen scheint. Es liegt vielleicht auch an der kühlen Darstellung der Frau, die zu Beginn absolut kein Opfer zu sein scheint. Vielleicht liegt es daran, dass Hitchcock den Verstand mit Details förmlich bombardiert. Alles an den beiden Hauptfiguren schreit danach, analysiert zu werden. Norman Bates stopft Vögel aus und lebt mit seiner Mutter in einem unheimlichen Haus. Er verbringt gerne Zeit im Büro des Motels. Er hat Angst vor Frauen. Der Verstand arbeitet unentwegt und klappert Möglichkeiten und Kategorien ab, wie es weiter gehen könnte. So präzise diese Gedankengänge im Unterbewusstsein auch sein mögen, niemand rechnet mit dem Ende und das haben wir nicht nur Hitchcocks Geistesgegenwart zu verdanken, dass er all die Bücher gekauft hat – eine Praxis, die von Filmstudios übrigens heute gerne angewendet wird, um die Verkaufszahlen ihrer Bestseller nach oben zu korrigieren – sondern weil er es verstand, das Unterbewusstsein des Zuschauers subtil abzulenken. Damit schaffte er es, vom Offensichtlichen abzulenken und dadurch entsteht die eigentliche Spannung dieses Films. Was die Umsetzung und die Technik angeht, hat „Psycho“ neue Maßstäbe gesetzt. Die Duschszene wurde schon tausendmal kopiert, so wie ziemlich viele einmalige Szenen aus „Das Fenster zum Hof“, oder „Der unsichtbare Dritte“. Hitchcocks Filme sind perfekt gewesen. Ihre wegweisende Bedeutung ist schier unermesslich. Wenn man jetzt noch jemanden erklären muss, warum „Psycho“ so verdammt gut ist...“Hey, da wird jemand von einer verrückten alten Frau unter der Dusche abgestochen. Grusliger geht’s wirklich nicht!“

Psycho (USA, 1960): R.: Alfred Hitchcock; D.: Anthony Perkins, Janet Leigh, Vera Miles, u.a.; M.: Bernard Herrmann

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