Eine neue Rubrik auf Kineast. Manchmal gibt es Filme, die auf eine besondere Art und Weise dafür sorgen, dass mir die Kinnlade schlagartig nach unten fällt, und ich eigentlich erstmal sprachlos bin. Nach einer Weile finde ich die Sprache wieder und werde diese besonderen Filme nun also in einer besonderen Kategorie hier besprechen. Der Name dieser Rubrik ist schlicht und eindeutig „oO“.
Kein Kinojahr vergeht, ohne dass nicht mindestens einer jenen Filme kommt, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, nachdem man sie gesehen hat. Ich persönlich nenne sie gerne „böse Filme“. Sie handeln stets von den Abgründen im Menschen, von moralisch fragwürdigen Entscheidungen und enden hoch dramatisch. War es vor zwei Jahren Sidney Lumets „Tödliche Entscheidung“ und im letzten Jahr „Das weiße Band“, so ist es in diesem Jahr der neue Film von Jacques Audiard gewesen, „Ein Prophet“.
Malik ist 19 Jahre alt, hat keine abgeschlossene Schulausbildung, lebt auf der Straße und soll nun 6 Jahre ins Gefängnis. Hier ist das Leben natürlich auch nicht viel leichter, als vorher. Es herrschen strenge Regeln seitens der Wärter und noch strengere Regeln seitens der Insassen. Hier ist alles streng hierarchisch organisiert und Malik merkt schnell, dass er sich niemals alleine durchschlagen könnte. Die beiden größten Gruppen – Kurden und die Männer um den Paten des Gefängnisses, Cesar – wollen ihn beide für sich haben. Malik entscheidet sich, für Cesar zu arbeiten und beginnt seine Karriere mit einem Auftragsmord. Cesar gewährt ihm dafür einige Annehmlichkeiten und vor allem Schutz. Bald erledigt Malik die Geschäfte außerhalb des Gefängnisses, denn er bekommt befristeten Freigang. Nach einer Weile hat Malik nicht nur Lesen und Schreiben gelernt, sondern auch zahlreiche Sprachen – unter anderem Kurdisch. Setzt ihn Cesar zunächst noch als Spitzel ein, ersinnt Malik bald einen Plan, beide Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Die Geschichte des kleinen Gauners, der durch seine soziale Herkunft unweigerlich in den Sumpf des Verbrechens gesogen wird, und allen Anstrengungen zum Trotz nichts dagegen unternehmen kann, ist nicht neu. Doch selten wurde sie dermaßen intensiv und authentisch zugleich in einem Film umgesetzt, wie das in „Ein Prophet“ geschehen ist. Regisseur Audiard entscheidet sich für einen sehr schlichten Stil und fängt alles mit einfacher Handkamera ein. Außerdem finden viele der Schlüsselszenen in sehr kleinen Räumen statt, so dass die Kamera den Zuschauer ganz nah an das Geschehen heran lässt. Die dominanten Farben des Filmes werden durch das Knastsetting diktiert. Wir haben Grau, Braun, Weiß und sehr oft eben leuchtendes Rot. Die beklemmende Atmossphäre der ganzen Geschichte wird stets durchbrochen von explizieten Gewaltszenen, die durch ihre schlichte Darstellung noch intensiver wirken, als man es eigentlich aushalten will. Die meisten Schauspieler liefern eine souveräne, aber reduzierte Performance ab. Das geschieht mit Absicht, denn im Vergleich zu den abgestumpften Knastbrüdern, denen nichts eine Regung entlocken kann, spielt Shooting-Star Tahar Rahim unglaublich intensiv und füllt die Figur des Malik sehr sensibel mit Leben. So avanciert diese Figur zu einem regelrechten Leuchtfeuer, in Mitten all der Tragik und Tristesse.
„Ein Prophet“ ist eindeutig ein harter, brutaler und böser Film, der aber auf ganz schlichte Art und Weise die Wahrheit erzählt. Es ist eine Wahrheit, bei der man sehr schnell weiß, dass man sie gar nicht so genau erfahren will, wie sie der Film schildert. Die Spannung entsteht von innen heraus und lässt einen nicht los. Mit Sicherheit einer der interessantesten, aber auch fragwürdigsten Filme diesen Jahres. Um so unverständlicher, dass er in Deutschland in nahezu keinem Kino lief. Dafür ist der Film nun auf DVD erschienen.
Un prophète (F, 2009): R.: Jacques Audiard; D.: Tahar Rahim, Niels Arestrup, Adel Bancherif, u.a.; M.: Alexandre Desplat; Offizielle Homepage.
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Korsisch, nicht "Kurdisch"
AntwortenLöschenTrotzdem ne gute Rezension, zu einem tollen Film.
Gruß
Christian