Danny Boyle ist ein vieldiskutierter Mann. Seine Filme sind stets etwas Besonderes und er behandelt immer provokante und unbequeme Themen. Er bindet sich dabei aber nicht an irgendwelche Genregrenzen und hat keine Scheu vor Nischendasein. All seine Filme inszenieren auf beängstigende Weise das Motiv des menschlichen Wahnsinns. Die Protagonisten werden immer an die Grenzen ihres Verstandes geführt und konsequenter Weise bewegen sie sich stets weit über diese Grenzen hinaus. „Trainspotting“, „The Beach“, „28 Days later“ und nun „127 Hours“
Aaron Ralston ist Bergsteiger, Abenteurer und Extremsportler zugleich. Er ist der ultimative Aussteiger, der 300 Tage im Jahr unterwegs ist, um Gipfel zu stürmen und waghalsige Treks zu unternehmen. Im Mai 2003 hat er sich die Canyonlands in Utha vorgenommen. Er will sie nicht einfach nur durchqueren, sondern auch noch einen Rekord aufstellen. Er will die Strecke durch die Wüste erst mit dem Fahrrad und dann zu Fuß in Angriff nehmen. Dabei nutzt er nicht die angelegten und ausgeschilderten Wege, sondern zahlreiche Abkürzungen, indem er sich durch schmale Tunnel und Spalten schlängelt. Dann geschieht das Unglück: Aaron rutscht ab und stürzt in eine Felsspalte. Er überlebt unverletzt, jedoch wird sein Arm von einem Felsen eingeklemmt und er ist gefangen. Mit seiner rudimentären Ausrüstung und nicht mehr als einen halben Liter Wasser, hält er fünf Tage durch, ohne, dass sich etwas an seiner Situation ändert. Der Fels rührt sich nicht und sein Arm bleibt eingeklemmt. Irgendwann greift er zum Taschenmesser.
Danny Boyle lässt nichts anbrennen. Mit seinem Oscarfilm „Slumdog Millionär“ hatte er seinen Still bombastisch und überschwänglich zelebriert, wie noch nie. Knallige Farben, schnelle Bilder und eine spannende Geschichte. Das ganze zusammengewürfelt ergab eine Art kranke MTV-auf-Speed-Mischung, die gleichermaßen speziell und einmalig, wie auch massenwirksam war. Dieser Film übte einen Sog aus, dem man sich nicht entziehen konnte. Nach diesem Erfolg wirft Boyle das Ruder nicht komplett herum und bleibt klimatisch gesehen auf vertrautem Terrain. Diesmal befinden wir uns in der Wüste. Erstaunlicherweise erinnert die Farbkombination aus knalligen orangenen und gelben Felsen mit leuchtend blauem Himmel an den Vorgänger, obwohl er thematisch nichts damit zu tun hat. Die üblichen Boyle-Kamera-Tricks mit rasanten Fahrten, unorthodoxen Perspektiven und Splitscreen peppen die lebensfeindliche Einöde ordentlich auf. Zusammen mit Aaron feiert man eine einzige riesige Party. Ebenso überraschend, wie rasant kommt der Umschwung und mit einem Schlag in die Magengrube wird dem Zuschauer die Einsamkeit Aarons und die Ausweglosigkeit seiner Situation bewusst. Keine Musik mehr und über weite Strecken des Films wird kein Wort gesprochen. Die Schnelligkeit und Weite des Einstiegs weicht langen Einstellungen und klaustrophobischer Enge eines Felsspalts, der mitten im Nirgendwo liegt. Die Schlichtheit und Leichtfüßigkeit, mit der Boyle diesen Wechsel absolviert ist beeindruckend und wirkt trotzdem total überzeugend. Keine Sekunde hat man den Eindruck, es wäre aufgesetzt oder gekünstelt. Dazu trägt auch die souveräne Leistung James Francos bei. In diesem Film hat er die Aufgabe, eine One-Man-Show zu meistern und beweist, dass er tatsächlich ein Schauspieler ist, dem man nur die richtige Rolle geben muss, um zu sehen, was er kann.
„127 Hours“ ist spannend und arbeitet Boyle-typisch mit einprägsamen und rasanten Bildern. Wieder gelingt der Spagat zwischen knallbunter und rabiater Perfomance und ernsthafter Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema. Bei all der Skepsis, die man vorher vielleicht gehabt haben mochte: Wenn man schweißgebadet das Kino verlässt, weiß man nicht mehr, wieso man an Boyle gezweifelt hat.
P.S.: Auch, wenn die Arbeit der FSK stets zu loben ist, haben sie sich hier meiner Meinung nach gründlich vertan. "127 Hours" ist ab 12, aber wenigstens wegen einer speziellen Szene, hätte ich dem Film eine höhere Altersfreigabe erteilt.
127 Hours (USA, GB, 2010): R.: Danny Boyle; D.: James Franco, u.a.; M.: A.R. Rahman; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 live auf Radio Lotte Weimar.
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