Mittwoch, 14. Oktober 2009

Love Exposure

Mann und Frau wollen ins Kino. Also konsultiert man gemeinsam das Kinoprogramm. Welcher Film soll es sein? Mann will Explosionen, scharfe Autos, heiße Frauen. Frau will Romantik, einen süßen Hauptdarsteller, Drama und ein Happy End. Hier scheint es also einen Interessenkonflikt zu geben und früher gab es nur eine Möglichkeit, einen handfesten Streit zu vermeiden. Mann und Frau gehen in die Schnulze, da es für ihn sowieso nur eine Alibiveranstaltung ist und sie ohne weiteres bekommen hat, was sie wollte. Nun gibt es eine zweite und viel bessere Option, Unstimmigkeiten aus dem Weg zu gehen. Diese Option ist vom japanischen Regisseur Shion Sono, vereint alles, was Mann und Frau wollen, hat eine Laufzeit von 237 Minuten und trägt den einprägsamen Titel „Love Exposure“

Yu ist 17 Jahre alt. Sein Vater ist Priester geworden, nachdem dessen Frau wegen einer schweren Krankheit verstorben ist. Durch seine Mutter hat Yu ein großes Ziel: Die Frau finden, die seine persönliche Maria wird. Davon wird er allerdings vorerst abgebracht, denn sein Vater scheint sich zu sehr in seine Priesterrolle hinein zu steigern und verlangt von Yu täglich, seine Sünden zu beichten. Yu ist prinzipiell ein herzensguter Mensch und hat ein wenig lasterhaftes Leben vor zu weisen. Aus der Not heraus erfindet er seine Sünden, doch der Vater durchschaut das sofort und zeigt demonstrativ immer mehr Unmut. Um dem abzuhelfen startet Yu mit seinen Freunden zahlreiche Unternehmungen, um echte Sünden zu begehen. Vom offensichtlichen Erfolg angespornt kommt Yu auf die Idee, eine ganz spezielle Sünde zu praktizieren. Innerhalb kürzester Zeit wird er zum besten Höschen-Shooter der Stadt. Mit ausgefeilten Techniken und einer unbestechlichen Philosophie sammeln er und seine Freunde Höschen-Fotos, ohne dass die kollektive Weiblichkeit davon etwas mit bekommt. Über diesen unerschöpflichen Anstieg an schier unverzeihlichen Sünden ist Yu's Vater derart entsetzt, dass er kurzerhand auszieht. Eines Tages geschieht jedoch das Wunder und Yu trifft bei einer Schlägerei auf die schöne Yoko. Unmissverständliche körperliche Zeichen und sein Instinkt verraten ihm, Yoko ist seine Maria. Wie es der Zufall will, ist er allerdings als Frau verkleidet, als er sie trifft. Alles wird nun etwas kompliziert und die mysteriöse Sekte der „Church of Zero“ trägt zu weiteren Verwirrungen bei.

Was für ein Film! Wer sich darauf einlässt, wird mit wahnwitziger Geschwindigkeit in eine Geschichte gezogen, der man einfach nicht entkommen kann, egal, wie lang der Film noch weiter gehen würde. Die vier Stunden vergehen wie im Flug und machen sich höchstens dann bemerkbar, wenn man irgendwie ungünstig gesessen hat, oder die Blase nach ihrem Recht verlangt. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit Regisseur Shion Sono mit den Genres spielt. Übergangslos wird aus einer völlig überzogenen Komödie ein Psychohorror, um dann in ein ausgewachsenes Drama überzugehen, welches sich anschließend in heißer Kung-Fu-Schwertkampfaction entlädt. Und dann wird es plötzlich ein Pornofilm mit Splattereinlagen, in dem das Blut sprudelt, als gäbe es kein Morgen. Dieser ständige Wechsel ist vollkommen überzeugend eingebaut. Man hat nie das Gefühl, es wäre unangebracht, oder gar übertrieben. Es mag an dieser Stelle überraschen, dass der Film in einem erfrischend schlichten Stil gehalten ist. Es gibt keinerlei CGI-Effekte, überzogene oder bombastische Actioneinlagen. Alles ist mit einfacher Digicam gefilmt und dennoch entstehen wunderschöne Bilder, die man nicht mehr vergisst. Außerdem schafft es der Film, trotz seiner ungewöhnlichen Länge und teils absurden Story, die Spannung aufrecht zu erhalten und am Ende einen sinnvollen Kreis zu schließen. So sehr man am Anfang auch von der fast schon rohen Ästhetik beeindruckt ist, stellt man fest, dass ein unglaublicher Aufwand dahinter steckt, all diese wahnwitzigen Elemente zu einer großartig erzählten Geschichte zu verknüpfen.

Ich zitiere nicht gerne die Texte, die in der Werbung für einen Film erscheinen, aber an dieser Stelle trifft es die Tatsache einfach auf den Punkt: „Love Exposure“ ist 237 Minuten Liebeswahn. Wer nicht gerne Filme sieht, bei denen er nicht weiß, was ihn erwartet, sollte es lassen. Filmfreaks, die einfach einen Film sehen wollen, der vollkommen anders ist als alles, was sie kennen, kommen hier nicht daran vorbei. Trotz allem Wahnsinns, weiß man am Ende des Filmes übrigens eins: In Japan ist sowas längst normal.

Ai no mukidashi (Japan, 2008): R.: Shion Sono; D.: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Ando, ua.; M.: Tomohide Harada; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr live auf Radio Lotte Weimar

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