Mittwoch, 4. November 2009

Das weiße Band

Vor 12 Jahren hat ein deutscher Film die Gemüter der Kinobesucher nicht nur aufgewühlt sondern diese auch mit ihren eigenen Dämonen und Ängsten regelrecht gefoltert. Die Rede ist von „Funny Games“ von Regisseur Michael Haneke, der wie kein anderer Film zuvor die schrecklichsten Dinge thematisierte, ohne sie wirklich darzustellen. Alles wurde der Fantasie des Zuschauers überlassen, was es noch viel schlimmer machte. Seitdem ist viel Zeit vergangen und Haneke hat seitdem viel dazu gelernt. War „Funny Games“ noch vergleichsweise roh, sowohl was Handlung anging, als auch den visuellen Stil, hat er mit seinem neuen Film „Das weiße Band“ eine neue Ebene des Kopfkinos erreicht.

Ein kleines Dorf im Norden Deutschlands zur Kaiserzeit. Der erste Weltkrieg steht kurz bevor, aber das weiß noch niemand. In dem kleinen Dorf herrscht Frieden und Idylle und ein streng geregelter Tagesablauf. Alle sind mehr oder weniger zufrieden, denn es lässt sich unter dem Baron angemessen leben, wenn auch der ein oder andere hart dafür arbeiten muss. Eines Tages geschieht etwas merkwürdiges. Der Dorfarzt erleidet einen schweren Reitunfall. Sein Pferd stürzt über ein nahezu unsichtbares Seil, welches quer über den Boden gespannt ist. Ein Täter ist nicht aufzufinden und selbst ein hinzu gerufener Polizist kann keine brauchbaren Hinweise entdecken. Kurz darauf passiert ein grauenhafter Unfall, bei dem die Frau eines Bauern auf tragische Weise ums Leben kommt. Die Harmonie im Dorf ist merkbar erschüttert. Ohne, dass ein wirklich nachweisbarer Zusammenhang zwischen diesen beiden Vorfällen besteht, entsteht eine merkwürdige Stimmung. Nach einer Weile geraten die merkwürdigen Ereignisse in Vergessenheit. Gerade fällt dem Dorflehrer auf, dass sich die Kinder des Pfarrers irgendwie sonderbar verhalten, da wird der Sohn des Barons verschleppt und schwer misshandelt. Wieder fehlt jede Spur von den Tätern und auch die Apelle des Barons und des Pfarrers führen weder dazu, dass sich jemand der Taten für schuldig bekennt, noch dass die grausigen Ereignisse abbrechen.

„Das weiße Band“ liefert ein authentisches Zeitbild des Lebens in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg ab. Auch, wenn dieser Krieg nie direkt im Film thematisiert ist, spielt der Zeitpunkt eine sehr wichtige Rolle für die Geschichte. Dieser Aspekt prägt nämlich die Stimmung und die Atmosphäre des gesamten Films. Obwohl die Figuren noch nicht wissen können, was sich in Bälde ereignen wird, ist sich der Zuschauer ständig dessen bewusst und empfindet die Idylle und den Frieden immer als eher trügerisch. Dadurch entsteht eine unglaubliche Spannung, die aber eigentlich kaum greifbar ist, wie der Schatten des drohenden Krieges. Zusätzlich bedient sich Haneke noch zahlreicher anderer Mittel, um den Film zu stilisieren. Am auffallendsten ist natürlich, dass alles in klarem Schwarzweiß gefilmt wurde. Ebenso klar sind auch die Figuren der Geschichte entwickelt. Jeder erfüllt irgendeinen Zweck und keiner, der Charaktere scheint überflüssig oder nur ein Platzhalter zu sein. Das Erlebnis wird noch intensiver dadurch, dass es keine komponierte Filmmusik gibt und nur Originalton verwendet wird. Der Film ist also auf das absolut Wesentliche reduziert, was den, sagen wir mal, typischen Haneke-Effekt erzielt, dass man in seiner Vorstellung mehr wahr nimmt, als das, was die Augen sehen. Man bekommt schwere Beklemmungen in einer Szene, in der der Pfarrer seine unartigen Kinder bestraft, oder wenn der Bauer seine verunglückte Frau am Totenbett besucht. Durch sorgfältig ausgewählte Perspektiven und Winkel fängt die Kamera alles ein, ohne wirklich was zu zeigen.

Selten hat mich ein Film mehr berührt, als „Das weiße Band“. Trotz der reduzierten, geradezu eiskalten Inszenierung ist die Geschichte von Anfang an sehr spannend und voller tragischer Momente, die einen sehr schwer schlucken lassen. Was auf der psychischen Ebene geschieht, ist natürlich bei jedem anders, weshalb dieser Film einfach jedem empfohlen sei.

Das weiße Band (D, 2009): R.: Michael haneke; D.: Christian Fredel, Leonie Benesch, Josef Bierbichler, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr live auf Radio Lotte Weimar.

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