Donnerstag, 19. April 2012

Nathalie küsst

Erleben wir derzeit den französischen Film so frisch und unverbraucht, wie nie? Sprechen die Zahlen nicht für sich? „Ziemlich beste Freunde“ ist bisher der erfolgreichste Film des Jahres. „Und wenn wir alle zusammen ziehen“ präsentiert die creme de la creme der europäischen Schauspielliga. Genug Argumente, die für ein Mitreiten auf der Erfolgswelle sprechen. Das haben sich wohl auch die Brüder Foenkinos gedacht, die sich für ihr regiedebut Audrey Tautou geschnappt haben und sie nun wild um sich küssen lassen.

Nathalie führt sozusagen den Inbegriff einer harmonischen Beziehung. Francois ist ihr Mann für's Leben. Die wahre Liebe. Alles passt perfekt. Die Eltern verstehen sich hervorragend, der Heiratsantrag ist super romantisch und die Planung des Nachwuchses nimmt konkrete Formen an. In dem Moment, in dem man sich sagt, es klänge alles zu gut, um wahr zu sein, wird dieses Rosamunde-Pilcher-Gemälde brutal zerrissen Durch tragische Umstände kommt Francois ums Leben und Nathalie ist sich sicher, nie wieder lieben zu können. Um sich von Trauer und Schmerz abzulenken, lässt sie sich von ihrem aufdringlichen Chef mit Arbeit zu schütten. Der sieht natürlich durch das Ableben ihres Liebsten seine Chance und verstärkt seine Avancen. Eines Tages kommt ein eher unauffälliger Mitarbeiter Nathalies in ihr Büro. Was auch immer sie dazu treibt, lässt sie aufstehen und ihn einfach küssen, noch bevor sie seinen Namen erfährt. Sein Name ist Markus, er kommt aus Schweden und wird von Nathalie ziemlich verwirrt zurück gelassen.

Audrey Tautou ist vor allem dann ein Garant für einen guten Film, wenn sie in einer romantischen französischen Komödie auf der Suche nach der wahren Liebe ist. Wer hier allerdings ein ähnliches Erlebnis erwartet, wie seinerzeit die Reise in Jean Pierre Jeunet's „Fabelhafte Welt der Amelie“, wird enttäuscht werden. Die Brüder Foenkinos begehen in ihrem Erstling klassische, aber auch fatale Fehler bei der Inszenierung der Geschichte. Ob nun aus Mangel an Erfahrung auf dem Regiestuhl, oder eben aus Angst, Fehler zu machen, entschied man sich für den denkbar unspektakulärsten Stil, den man sich wohl vorstellen kann, wenn man an den typischen französischen Film aus den 80er und 90er Jahren denkt. Alles wirkt so altbacken und undynamisch. Perspektiven und Kamerafahrten wirken lahm und uninspiriert. Der Eindruck wird verstärkt durch eine kulissenartige Darstellung eines Großraumbüros, wie es wiederum in den 60er Jahren nicht besser hätte eingefangen werden können. Unfreiwillig komisch wirken da fast schon die Szenen, in denen die Continuity geschlammpt hat. In einer Szene während eines Dialogs zwischen Nathalie und Markus zum Beispiel drehen sich die Weingläser auf dem Tisch wie durch Zauberhand immer wieder hin und her; im nächsten Schnitt sind es plötzlich Biergläser.
All diese Dinge könnten jedoch verziehen werden, und man könnte sich auf eine oberflächliche aber nette Komödie einlassen, wären wenigstens die Figuren und ihre Beziehungen ausführlich konstruiert. Doch auch die wirken irgendwie farblos und nicht überzeugend. Audrey Tautou gibt sich wohl große Mühe und wirft all ihr Können in die Waagschale. Dieses Potential wird nicht genutzt. Sympathischer ist da schon Francois Damiens als etwas trotteliger Bürotroll, dessen reduzierte Darstellung sogar für einige dezente Schmunzelattacken sorgt.

„Nathalie küsst“ wirkt uninspiriert und farblos. Fast wie eine ungeliebte Probenfassung des Jeunet-Meisterwerks. Möglicherweise haben sich die beiden Regieneulinge daran orientiert, konnten aber weder mit den Einflüssen Jeunets, noch mit den Vorgaben des Skripts wirklich viel anfangen. Das Rezept scheint hier eindeutig zu sein: Oberflächlichkeit, flache Dialoge und eine krampfige Langatmigkeit ergeben Langeweile in Reinform. Schade!

La Délicatesse (F, 2012): R.: Les Frerres Foenkinos; D.: Audrey Tautou, Francois Damiens, Bruno Todeschini, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, zwischen 12:00 und 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Dame, König, As, Spion

Der Kalte Krieg war eine gleichermaßen beängstigende, wie auch faszinierende Epoche in der Geschichte der Menschheit. Der schmale Grat zwischen Wettrüsten und Beschwichtigen sucht seines Gleichen. Wie zwei kleine Jungs, die sich gegenseitig sticheln und ärgern, reizten sich die Supermächte der USA und der Sowjetunion immer mehr aus. Kurz vorm Siedepunkt und immer einen halben Schritt vor dem letzten Jammertal rangen diese beiden Nationen um die Geschicke der Welt. Eine zentrale Rolle in diesem Machtkampf spielten die Geheimdienste, die sich hinter den Kulissen der Weltbühne gegenseitig fertig gemacht haben. Mindestens tausend und ein Mal wurde dieses Thema aufgegriffen, und in mehr oder weniger gelungene Filme gepackt. Der Schwede Tomas Alfredson hat sich nun auch versucht in seinem ersten britischen Geheimdiensfilm.

Ein dezentes Klopfen an einer schmucklosen Tür und es geht los. Control weiß, dass es im Circus einen Maulwurf gibt. Die Russen wussten immer über alle Aktionen Bescheid und Karla war immer einen Schritt weiter. Dass es sich um einen Maulwurf handelte, war eigentlich klar. Doch jetzt hat Control die Bestätigung. Aber wem kann er trauen? Niemanden. Und schon gar nicht irgendjemandem im Circus selbst. Da kommt Jim Prideaux wie gerufen. Er ist schon lange dabei und gilt als vertrauenswürdig. Er soll nach Budapest und dort einen ungarischen Militär treffen, der den Namen des Maulwurfs kennt. Genauer gesagt kennt er den Codenamen des Maulwurfs. Ist es Dame, König oder As?
Aber alles geht schief und Prideaux wird erschossen.
Control wird aus dem MI6 geworfen und nimmt seinen besten Mann und Freund Smiley gleich mit.
Der hat nicht viel Zeit, sich an den Ruhestand zu gewöhnen. Der Verteidigungsminister hat ebenfalls von dem Maulwurf gehört und beauftragt Smiley nun inoffiziell, denjenigen zu ermitteln und zu enttarnen. Als ehemaliges Mitglied des Circus hat Smiley schon einen sehr konkreten Verdacht und beginnt seine Nachforschungen.

Im Gegensatz zu den Abenteuern von Agent 007, basiert die Geschichte dieses Filmes auf einem berühmten Roman von John Le Carré. Der wiederum hatte wohl ein sehr langes und aufschlussreiches Gespräch mit einem ehemaligen MI6 Agenten, der ihm diese ganze Geschichte glaubwürdig berichtet hat. Faszinierender Gedanke: Egal, wie glaubhaft dieser Agent gegenüber Le Carré gewesen sein mag, kann der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte getrost auf ein recht niedriges Niveau eingestuft werden. Hundertprozentig glaubwürdiges Dementi ist wohl der Fachbegriff für so eine Situation. Es klingt alles richtig und logisch, lässt sich aber durch absolut nichts beweisen und die Herkunft der entsprechenden Informationen sorgt für noch mehr Zweifel.
Die Art und Weise, wie Alfredson diese Story inszeniert vermittelt einen sehr dokumentarischen Eindruck. Allein die Ästhetik erinnert an staubige Originalaufnahmen aus den 70ern, denen ihr Alter die Farbe entzogen hat. Alfredson hat sehr viel Wert auf diesen Stil gelegt, denn er wollte, dass der Film eben authentisch ist, was auch immer man darunter verstehen soll. Die Konstruktion der Story präsentiert sich dem unbedarften Zuschauer ungefähr so: Alter Mann beauftragt einen weniger alten Mann einen unbekannten Mann zu enttarnen. Der weniger alte Mann wird abgeknallt, der alte Mann ist weg vom Fenster und ein anderer alter Mann soll herausfinden, wer der Verräter ist. Neuer alter Mann fährt durch die Gegend, fragt alle möglichen Leute, bis er alles weiß. Aber plötzlich gibt es doch keine Überraschung. Alle wussten es vorher schon und der Oberfiesling Karla lacht sich ins Fäustchen. Aber auch der neue alte Mann findet's total super. Was denn nun? Kalter Krieg hin oder her, aber irgendwie hat man den Eindruck, diese ganze Maulwurfsjagd war nur eine...Maulwurfsjagd. Nicht mehr und nicht weniger. Hä?
Die Komplexität, die man dem Film am Anfang unterstellt weicht am Ende der Erkenntnis, dass es keine Komplexität gibt. Die Story ist sogar sehr gradlinig und ganz einfach zu verfolgen. Warum man den Eindruck eines ewigen Hinundhers hat, ist schwer zu sagen. Nach diesem Geistesblitz präsentiert sich die Story übrigens so: Alter Mann, toter Mann, alter Mann tot, toter Mann doch nicht tot, böser Mann lächelt, lächelnder Mann wird böse, böser Mann tot, unser Mann lächelt.
Kapiert?
Hach! Ich liebe diese Scheiße. Dieser ganze Agentenquatsch war so überzogen und es ist hinter den Kulissen so viel passiert und es gab so viele Regeln, die man beachten musste. Leute, die sich mit solchen Regeln auskennen, sehen den ganzen Film übrigens so: Alter Mann will...“Ich weiß, wer der Maulwurf ist“

„Dame König As Spion“ ist ein spannender Agentenfilm, der die ganze Situation um die Geschichte des Verräters im Circus sehr nüchtern darstellt – ob sie nun wahr ist, oder nicht. Man hat auf jeden Fall den Eindruck, dass es so und in dieser Form passiert sein kann. Nichts wirkt übertrieben. Der Film verzichtet auf jeglichLinkes Schmuckwerk und lässt sozusagen ganz beiläufig ein großartiges und komplett überzeugendes Schauspielensemble auftreten. Wer sich einen reißerischen und spannenden Actionthriller erhofft, wird enttäuscht werden und sollte auf den neuen James Bond warten. Wer gerne rätselt und sich von einem Film nicht alles auf dem Silbertablett servieren lassen will, wird mit diesem Werk seine wahre Freude haben.

Tinker, Tailor, Soldier, Spy (USA, GB, 2012): R.: Tomas Alfredson; D.: Gary Oldman, John Hurt, Tom Hardy, u.a.; M.: Alberto Iglesias; Offizielle Homepage

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, zwischen 12:00 und 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.