Mittwoch, 8. Oktober 2014

Flmmer-CAT-en # 20 - Unsere Empfehlungen für den Herbst

In unserer Jubiläumsausgabe quatschen Antonia und ich über die Filme, auf die wir uns im restlichen Kinojahr 2014 freuen!



Welche Filme wollt Ihr noch unbedingt sehen, dieses Jahr? Was haben wir vergessen? Der Kommentarbereich ist eröffnet!

Donnerstag, 25. September 2014

Wish I Was Here

Zach Braff ist schon ganz schön cool. Da steht er nun und lächelt verschmitzt, spielt verlegen an seinem Bart herum, auf den er ziemlich stolz ist. Alles an diesem Typen stimmt. Zach Braff ist genau so, wie man sich das immer gewünscht hat, wenn man ihn in „Scrubs“ oder „Garden State“ gesehen hat. Irgendwie hat er nicht so richtig damit gerechnet, dass er in Deutschland so warm empfangen wird. Sein neuer Film ist nun tatsächlich fertig gestellt und hat in Deutschland einen Verleih gefunden, so dass „Wish I Was Here“ nun endlich im Kino laufen kann. Es war ein weiter Weg bis da hin. Kein Studio wollte den Film produzieren. So griff Zach Braff auf Kickstarter zurück und schaffte es, den Film zu finanzieren. Nach Fertigstellung wollte kein Verleih den Film in die Kinos bringen. So tourte Braff durch die Welt, um den Unterstützern den Film zu zeigen und gleichzeitig ein bisschen Werbung zu machen. Letzte Station war die Leipziger Filmkunstmesse und hier konnte das Fachpublikum direkt bewerten, ob „Wish I Was Here“ nach beinahe zehn Jahren Arbeit und der ganzen aufregenden Produktionsgeschichte obendrein auch noch ein sehenswerter Film geworden ist.

Aiden ist Familienvater und Schauspieler. Er lebt mit seinen zwei Kindern und seiner Frau in einem kleinen Haus. Die Kinder gehen auf ein jüdisches Internat. Seine Frau Sarah arbeitet in einer Bürfirma und schafft das Geld heran. Aiden hat schon lange keine Rolle mehr bekommen. Durch den Job seiner Frau und der finanziellen Unterstützung seines Vaters kann Aiden seinen Traum als Schauspieler leben und sich voll und ganz auf Castings und Bewerbungen konzentrieren. Eines Tages erfährt Aiden von seinem Vater, dass dieser schwer krank ist und nun den Rest seines Geldes für eine experimentelle Behandlungsmethode ausgeben will. Durch das fehlende Geld kann die Ausbildung der Kinder in dieser Form nicht mehr bezahlt werden. Aiden sieht nun zwei Möglichkeiten. Entweder er gibt seinen Traum auf, und nimmt sich einen Aushilfsjob, oder er übernimmt die Ausbildung seiner Kinder selbst. Eine dieser beiden Möglichkeiten hat eine Zukunft. Die andere nicht.

Zach Braff hat mit „Garden State“ vor zehn Jahren einen wundervollen, unfassbar rührenden und einprägsamen Film gemacht. Er lebte von einer echten Geschichte, skurrilen Figuren, absurden Situationen und einem ganz besonderen charmanten Humor. Vor allem aber gibt es unfassbar rührende Momente, ohne dass es in den Kitsch rutscht.
Genau diese Formel hat Zach Braff in der Serie „Scrubs“ schon etabliert. Gepaart mit einer sehr sorgfältigen und bewussten Soundtrackauswahl, ist hier ein sehr zugänglicher und typischer Stil entstanden, den man sofort mit Zach Braff in Verbindung bringt. Genau diesen Stil hat er nun konsequent weiter geführt und in seinem neuen Film gesteckt. Im Grunde ist es die gleiche Figur, nur eben zehn Jahre weiter. Diesmal muss er sich eben mit Problemen beschäftigen, die in diesem Alter auftauchen können. Wie erziehe ich meine Kinder? Wie gehe ich mit dem Tod um? Wie bekomme ich Zugang zu meinem Bruder? Wie kann ich meine Familie ernähren und gleichzeitig meinen Traum leben?
„Wish I Was Here“ thematisiert alltägliche Situationen und Probleme und schafft es dennoch, diese Themen zu etwas Besonderem werden zu lassen und durch gezielten Einsatz ganz bestimmter Bilder, einen entrückten, fast schon magischen Eindruck zu erwecken.
Dadurch entsteht obendrein eine unglaubliche Immersion, der man sich nicht entziehen kann. Man sitzt also im Kino, ist ab der ersten Minute regelrecht im Film, wird regelmäßig zum Lachen und Weinen gebracht und am Ende schnieft das ganze Kino vor lauter Rührung.
In solchen Momenten frage ich mich: Wie macht er das nur?

„Wish I Was Here“ ist die konsequente Weiterführung des Garden-State-Konzepts! Zach Braff gelingt in jeder Hinsicht der perfekte Mittelweg. Ja, es ist irgendwie ein zweiter „Garden State“, ohne aber ein Abklatsch oder Aufguss zu sein. Ja, es ist alles irgendwie rührend und wunderschön, ohne aber in den Kitsch ab zu rutschen. Am aller schönste ist aber der Gedanke, dass Zach Braff selbst glücklich ist, diese Geschichte erzählen zu dürfen. Ein durch und durch lieber Mensch, der nur an das Gute glaubt. Dieser Menschenschlag ist doch dieser Tag enorm selten geworden.

Wish I Was Here (USA, 2014): R.: Zach Braff; D.: Zach Braff, Kate Hudson, Josh Gad, u.a.; M.: Rob Simonsen; Offizielle Homepage

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

FlimmerCASTen # 19 - Video On Demand

Netflic gibt's jetzt auch in Deutschland! Grund genug für uns, mal den Markt zu betrachten und uns ausführlich über das "Fernsehen" im Internet zu unterhalten.



Wie sieht's bei Euch aus? Seid Ihr schon voll im VOD-Wahn, oder wartet Ihr lieber noch ein bisschen ab, um die Kinderkrankheiten zu überspringen?

Donnerstag, 7. August 2014

No Turning Back

Kammerspiele in Filmform sind immer eine Herausforderung für alle. Für Regisseur, für Hauptdarsteller und – wenn es schief geht – für das Publikum. So faszinierend der Gedanke auch ist, mit wenigsten Mitteln und Menschen, eine spannende und eindrückliche Geschichte zu erzählen, so schwierig ist es, diese Aufgabe zu erfüllen. Es gibt ein paar Vertreter der Regie-Zunft, die die Inszenierung von Kammerspielen perfektioniert haben. Roman Polanski ist so ein Regisseur. Sein „Der Tod und das Mädchen“ gehört mit zu den intensivsten Filmerfahreungen, die ich gemacht habe, und das, obwohl nur drei Schauspieler beteiligt sind.  Nicht weniger intensiv war „Der Gott des Gemetzels“. Doch nicht nur Polanski beherrscht dieses Genre. Rodrigo Cortes inszenierte 2010 „Buried“, der eineinhalb Stunden nur in einem vergrabenen Sarg spielt. Joel Schumacher gelang 2002 eine passable Fassung von Hitchcock's nie realisierten Traumprojekt „Nicht Auflegen“ über einen Mann, der von einem skrupellosen Erpresser in einer Telefonzelle fest gehalten wird. Zu guter Letzt spielte sich Robert Redford vor Kurzem in „All is Lost“ förmlich die Seele aus dem Leib. Hier gab es nur einen Mann und das Meer.
Regisseur Steven Knight hat nun ein weiteres Experiment gewagt, das vor allem durch absolute Reduktion zu einem wahren Hingucker wird.

Ein Mann steigt ins Auto und fährt los. Der Mann sieht müde aus und so, als gingen einige Dinge in seinem Kopf vor. Nach wenigen Minuten wählt er eine Nummer und man erfährt, dass er ganz unverhofft und dringend nach London fahren muss. Einige Telefonate später wissen wir schon mehr. Ivan ist offensichtlich Bauleiter eines Millionenprojekts und gerade in dieser Nacht ist das Projekt an einem wichtigen und heiklen Punkt angelangt, welches eigentlich seiner uneingeschränkte Aufmerksamkeit bedarf. Doch Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Gleichzeitig findet ein wichtiges Fußballspiel statt und eigentlich wollte Ivan mit seinen Söhnen und seiner Frau einen gemütlichen Fernsehabend verbringen. Aber Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Aus einem ganz bestimmten Grund lässt er sein ganzes stabiles und perfekt funktionierendes Leben hinter sich. Während der Fahrt bemüht er sich nun fieberhaft um Schadensbegrenzung.

Der Grund für Ivans nächtliche Fahrt wird an dieser Stelle übrigens bewusst nicht erwähnt. Überhaupt sollte man über diesen Film im Vorfeld so wenig, wie möglich sehen, oder lesen. Nur dann vermag „No Turning Back“ seine komplette Wirkung zu entfalten. Steven Knight reduziert tatsächlich alles aus dem Film heraus, was man nicht braucht. Auf visueller Ebene passiert nahezu nichts. Tom Hardy sitzt hinter dem Steuer seines Autos und stiert auf die Straße. Man sieht nicht einmal, wie er lenkt, oder schaltet. Selbst diese nebensächlichen Handlungen spart der Film aus. Die Umgebung wird stets unscharf gezeigt. Im Fokus ist immer nur Ivan. Die eigentliche Geschichte wird nur durch die Telefonate transportiert, die man als Zuschauer dank modernster Freisprechanlage mithören kann. Und auf dieser Ebene entfaltet sich das gesamte Drama um Ivan Lockes Person. Durch die reduzierte Darstellung wird man nicht abgelenkt und kann sich voll und ganz auf die Gespräche konzentrieren. Durch diese Gespräche entwickelt der Film die gesamte tragische Figur und nach und nach erschließt sich die Tragweite der Ereignisse.
Dabei funktioniert „No Turning Back“ nicht als Thriller, obwohl dies natürlich der einfachste Weg gewesen wäre, aus so wenigen Mitteln einen packenden Film zu machen. Immer, wenn man denkt, jetzt passiert gleich etwas Aufregendes, Unvorhersehbares, wie ein Unfall, oder eine Polizeikontrolle, klingelt wieder das Telefon und konsequent wird die Struktur des Films aufrecht erhalten, ohne, dass es langweilig wird. Tom Hardy ist ein Schauspieler, den man bisher stets in sehr extremen Rollen sehen durfte. Man erinnere sich an seine Darstellung des charismatischen Bösewichts in „Star Trek Nemesis“, oder sein unvergleichlicher Auftritt in „Bronson“. Nicht zu vergessen seine überzeichnete, aber sehr überzeugende Darstellung in „The Dark Knight Rises“. Als Ivan Locke reduziert er seine Darstellung mindestens genau so stark, wie Steven Knight es mit seiner Inszenierung tut. Tom Hardy tut tatsächlich nicht viel, aber was er macht, ist prägend für seine Figur. Tatsächlich ist Ivan Locke eine Figur, die wesentlich mehr Charakter aufbringen kann, als es in vielen anderen Filmen, die weitaus mehr zeigen und aufwendiger inszeniert sind, gelingen kann.

„No Turning Back“ ist ein echtes Erlebnis. Wenn man sich darauf einlässt, kann der Film mit geringsten Mitteln innerhalb von 90 Minuten das Leben eines Mannes rekapitulieren, über den Haufen werfen und anschließend neu aufbauen. Ob das auch so überzeugend gelungen wäre, wenn man die Geschichte in einem umfangreicheren Rahmen verpackt hätte, ist die große Frage, die wohl nur sehr schwer beantwortet werden kann. Hier vollzieht sich auf jeden Fall der Vorsatz „Weniger ist mehr“ auf eine Art und Weise, wie ich es vorher noch nicht gesehen habe.

Locke (GB, 2014): R.: Stephen Knight; D.: Tom Hardy; M.: Dickon Hinchliffe ; Offizielle Homepage

Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Donnerstag, 31. Juli 2014

Wir sind die Neuen

Heißt es nicht, dass man in der Vergangenheit immer glücklicher gewesen zu sein scheint, als in der Gegenwart? Wem passiert es nicht, dass er wehmütig an Früher denkt und nicht selten den Sinn für den Augenblick verliert? Älter wird jeder und jeder durchläuft Phasen seines Lebens, in denen es ihm nicht so gut geht. So ist es vollkommen normal, sich an Zeiten zurück zu erinnern, in denen es einem besser ging. Genau davon handelt der neue Film von Regisseur Ralf Westhoff, „Wir sind die Neuen“. Zu schwermütig wird es jedoch nicht, denn wer den Regisseur und seine früheren Arbeiten kennt, weiß, dass er sich auf eine gehörige Portion, bitter bösen Sarkasmus und unverhohlene Gesellschaftskritik freuen kann.

Anne ist eine Biologin, die in ihrer Studienzeit in den 60er Jahren voll und ganz dem Geist von Liebe, Freiheit und...Ja, Liebe pflegte. Nach Ende ihres Studiums bekam sie schlecht bezahlte, aber hoch motivierende Jobs und sitzt nun in einer wundershönen Wohnung in der Münchner Innenstadt. Aus dieser Wohnung muss sie nun raus, denn die Tochter der Vermieterin erhebt Anspruch und bezahlbarer Wohnraum ist knapp. In ihrer Not kommt Anne eine grandiose Idee. Sie kontaktiert die ehemaligen Mitbewohner aus ihrer alten WG und schlägt vor, wieder zusammen zu ziehen. Zwei der alten Spezies – Eddie und Johannes – lassen sich tatsächlich darauf ein und die Wohnungssuche beginnt. Nach einigen Schwierigkeiten gelingt es den Dreien, eine Wohnung zu bekommen und der Umzug kann los gehen. Die Wohnung befindet sich in einem schönen Viertel und die anderen Wohnungen sind überwiegend von jungen Studenten-WG's belegt. Tolle Voraussetzungen für ein lockeres Zusammenleben. Zumindest denken das die drei Alt-68er, die während des Umzugs vollkommen auf zu blühen scheinen. Die Vorstellungsrunde im Haus läuft dann aber doch anders, als erwartet. Der Nachbar gegenüber, ist nahezu nur unterwegs, kann aber immerhin versprechen, sich für Juli mal einen Abend für n Weinchen frei zu halten. Besonders überrascht wird die frisch gebackene WG aber von Nachbarn über ihnen. Hier leben Katharina, Barbara und Thorsten, zwei Jura-Studenten und eine Kulturstudentin, die den neuen Nachbarn ziemlich unmissverständlich kommunizieren, dass sie unmöglich Kapazitäten aufbringen können, den alten Leuten zu helfen. Abgesehen davon machen sie deutlich, dass es ihnen entschieden zu laut zu gegangen ist, in den letzten Tagen. Schnell entwickelt sich nicht nur ein Interessenskonflikt, sondern ein ausgewachsener Generationen-Kampf zwischen den beiden Mietparteien. Und dann wird es lustig.

Ralf Westhoff ist ein exzellenter Beobachter. Schon 2006 gelang ihm in seiner kleinen, charmanten, aber auch bissigen Speed-Dating-Komödie „Shoppen“ ein treffendes Bild des modernen Stadtmenschen, der sich selbst für so etwas intimes, wie den Akt des Sich-Verliebens in strenge und fest gelegte Regeln verpacken lässt. Die Mischung aus perfekt eingefangenen und wieder gegebene Klischees und den messerscharfen Dialogen, machte „Shoppen“ zu einem ganz besonderen Genuss.
Genau diese Mischung gelingt Westhoff nun auch in „Wir sind die Neuen“. Zunächst amüsiert man sich über die jung gebliebenen Alten, die im Geiste irgendwie in der Zeit stehen geblieben sind und das in allen gängigen Klischees im Film zelebriert wird. Dem gegenüber stehen die jungen Studenten, die ehrgeizig und fast schon besessen ihrem Studium nach gehen; die ihre Wohnung in eine detailgetreue Abbildung eines IKEA-Kataloges verwandelt haben; die ihre Schuhe fotografieren und die Fotos auf die passenden Schuhkartons kleben; die selbst beim kleinsten Geräusch aus der unteren Wohnung laut klopfen; denen die Reinigung eines blitzsauberen Treppenhauses scheinbar über alles geht. Hier spielt Westhoff sehr gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers. Er zeichnet ein schlüssiges Bild, bestehend aus Klischees und suggeriert einen wahrscheinlichen Fortgang der Geschichte. An einem bestimmten Punkt der Geschichte dreht er die Situation einfach und vertauscht die Rollen. Dieser Umschwung der Situation funktioniert perfekt und allein daraus entstehen unfassbar lustige Momente. Gepaart mit den messerscharfen und punktierten Dialogen entsteht eine Komödie, über die man sich förmlich schlapp lachen kann, ohne, dass man merkt, dass mein eigentlich über sich selbst lacht.
Die Auswahl der Darsteller ist auch voller Bedacht geschehen. Gisela Schneeberger vereint in ihrer Person so viele Klischees, die sie ohne große Mühe einfach über den Haufen werfen kann. Heiner Lauterbach, der sozusagen die gesammelte Antipathie seiner bisherigen Rollen aufbringt, um sich am Ende doch als ein liebenswerter, echt netter Typ zu entpuppen.

„Wir sind die Neuen“ ist locker, witzig und sprüht vor Sarkasmus. Eine Mischung, die gut funktioniert und nur von wenigen Regisseuren beherrscht wird. Angesichts der überzeugenden Figuren und der tollen Dialoge lassen sich kleinere handwerkliche Fehler und leichte Defizite im Drehbuch sehr leicht verschmerzen. Unterhaltsam und überaus sehenswert.

Wir sind die Neuen (D, 2014): R.: Ralf Westhoff; D.: Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Karoline Schuch, u.a.; Offizielle Homepage.

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Mittwoch, 30. Juli 2014

Die geliebten Schwestern

Auf der diesjährigen Berlinale im Februar war dieser Film der, von den Medien und der Festivalleitung immens gehypte Star. Es ist ein Film, der von einem nahezu unbekannten Regisseur inszeniert wurde, dessen Arbeiten in den letzten Jahren vor allem im Fernsehen zu sehen waren. Hier durchlief Dominik Graf die üblichen Stationen, die für einen deutschen Regisseur, der nicht den standardisierten Leuchtfeuer-Hollywood-Karriere-Weg gehen will, anscheinend unvermeidbar sind. So führten diverse Tatorte und Polizeirufe zu seinem Ruf, ein Krimiexperte zu sein. Dabei scheint das in Deutschland die einzige Möglichkeit zu sein, halbwegs kreative, oder zumindest bezahlte Regiearbeit zu praktizieren. Doch halt! Ein weiteres Genre gibt es, nämlich das der Biografie. Wenn es nicht gerade um Hitlers Helfer oder eben deren Gegner gehen soll, und man leider auch gerade keine zündende Idee für mehr oder weniger packendes Wendedrama in der Tasche hat, müssen eben die klassischen Komponisten / Dichter unseres traditionsreichen Landes her halten. So stand ich also auf der Berlinale und dachte mir „Nicht noch ein Schillerfilm“.
Das ist nun ein halbes Jahr her und jetzt endlich startet „Die geliebten Schwestern“ in den deutschen Kinos.

Sommer in Weimar. Die junge Charlotte von Lengefeld sitzt in einem Zimmer der Parterre der Weimarer Fürstenresidenz und macht, was heiratsfähige Frauen in ihrem Alter so machen. Sie wartet auf einen Günstling. Die ehrenwerte Frau von Stein hat sich nämlich ihrer angenommen, um sie endlich unter die Haube zu bringen. Damals, wie heute, schien die Auswahl in der Dichterstadt nicht all zu berauschend zu sein. Der einzige mögliche Kandidat ist ein schottischer Käpt'n mit schrecklichem Akzent und noch schrecklicherem Humor. Charlotte will ihn aber unbedingt heiraten, um endlich ihre Familie zu entlasten. Während die junge Frau also wartet, hört sie von draußen eine rufende Stimme. Diese Stimme gehört zu einem – im Vergleich zu den restlichen Einwohnern der kleinen Stadt – auffallend gutaussehenden, jungen Mann. Der scheint sich verlaufen zu haben und erkundigt sich nach dem Weg. Eine kokette Schäkerei entsteht, der die Anstandsdame des Hauses direkt ein Ende bereitet.
Über Charlotte erfährt man nun, dass sie eine Schwester, namens Caroline hat, die sie nach Ende der anbandelnden Liaison mit dem Käpt'n in Weimar besucht, um ihr in dieser schweren und aussichtslosen Zeit Beistand zu leisten. Caroline erfährt vom kurzen Besuch des jungen Mannes am Fenster und bringt dessen Namen in Erfahrung. Tags darauf wird ein weiterer Besucher angekündigt und sein Name lautet Friedrich Schiller.

Mehr möchte ich an dieser Stelle über die Story nicht sagen. Zum einen hört an dieser Stelle des Films der vorhersehbare Teil der Geschichte auf und es geht tatsächlich einigermaßen frisch erzählt weiter; zum anderen basiert die gesamte Thematik des Films auf nichts weiter, als Mutmaßungen und Gerüchten – was in diesem Fall überaus positiv zu bewerten ist, beweist es doch die Kreativität der Autoren des Films.
„Die geliebten Schwestern“ schlägt insgesamt eine andere Gangart an, als man es bei derartigen Filmen erwartet hätte. Die Immersion ist, trotz aufwändiger Ausstattung und toller Kostüme, erstaunlich gering. Das liegt an der Form, die Graf wählt, um die Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlich, um einen authentischeren Eindruck zu schaffen, hat der Rahmen einen dokumentarischen Stil. Dominik Graf selbst gibt den Erzähler der Geschichte. Einblendungen in klobiger Schrift verstärken den Eindruck. Auch wenn dieser Stil am Anfang etwas befremdlich wirkt, sorgt er doch für ein gutes Tempo, so dass mir die doch recht stolze Laufzeit von zweieinhalb Stunden nicht zu lang wurde. An einigen Stellen läuft dieser Stil allerdings etwas konträr zur eigentlichen Geschichte, die natürlich voller Gefühle und Drama und dem ganzen anderen kitschigen Zeug sein muss. So wirken solch klischeehafte Szenen, wie die Rettung eines ertrinkenden Kindes im Fluss, sowie das anschließende Gruppenkuscheln auf einem Feld irgendwie absurd. All die Nüchternheit verschwindet in diesen Szenen, wird danach aber sofort wieder entfaltet und sorgt so dafür, dass man die Motive der Schwestern und die Schillers nicht ganz nachvollziehen, oder ernst nehmen kann.
Auch an anderer Stelle schlägt dieser Twist zu. Graf hat sich entschieden, seinen Schiller reduziert und knapp zu konstruieren, womit ich persönlich überhaupt kein Problem hätte. Das zieht nach sich, dass Schiller oft sehr reduziert und knapp redet. Nie kommt Leidenschaft durch, die aber nicht schlecht gewesen wäre, zumal es ja bei dieser Dreiecksbeziehung um etwas sehr ungewöhnliches und skandalöses ging. Aber vielleicht kann man so eine Geschichte nicht erzählen, ohne den ganzen Kitsch, auf den Graf offensichtlich verzichten wollte. Mit dem Kitsch wäre es ein zweiter „Goethe“ geworden, eine oberflächliche Kostümromanze. Davon ist „Die geliebten Schwestern“ zum Glück weit entfernt und vermag es, neben den zahlreichen unterhaltsamen Momenten auch ein packendes und ziemlich wirklichkeitsnahes Zeitbild zu schaffen.
Zur schauspielerischen Leistung muss man im Grunde nichts sagen. Alle spielen gut; es gibt keine Totalausfälle; den Oscar wird Hannah Herzsprung auch dafür nicht bekommen (obwohl ihre Unterlippe so schön beben kann, wenn sich aufgeregt werden soll).

Bei all der Aufregung vor einem halben Jahr in Berlin und jetzt hier in Weimar selbst, ist „Die geliebten Schwestern“ ein ganz normaler, gut gemachter, aber nicht über zu bewertender Film, der den großen Dichter Friedrich Schiller auf eine angenehm andere, aber nicht unbedingt neue Art beleuchtet. Unterhaltsam und sehenswert – das muss Kino ja generell leisten. In einem halben Jahr wird wohl keiner mehr darüber sprechen.

Die geliebten Schwestern (D, 2014): R.: Dominik Graf; D.: Henriette Confurius, Florian Stetter, Hannah Herzsprung, u.a.; M.: Sven Rossenbach & Florian van Volxem; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus, CineStar

Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Freitag, 25. Juli 2014

Kineast...Back in Action!

Ihr werdet es mitgekriegt haben: Hier ist lange nichts passiert. Da es für mich vor allem ein Leben außerhalb dieses Blogs gibt, und manchmal Prioritäten gesetzt und Konsequenzen gezogen werden müssen, lag der „Kineast“ eine Weile brach. Doch jetzt habe ich die Zeit gefunden, mich wieder ein wenig darum zu kümmern und möchte zunächst ein paar Dinge nach holen.

Los geht’s mit „Nymphomaniac“. Natürlich habe ich mittlerweile den zweiten, abschließenden Teil des Trierschen Sex-Epos gesehen und muss zugeben, dass sich die Tendenz, die sich bereits zum Ende des ersten Teils angedeutet hat, auch im zweiten Teil vertieft wurde. Storytechnisch geht es natürlich, wie erwartet weiter. Joe liegt im Bett und lässt sich von Seligman gesund pflegen. Als Gegenleistung erzählt sie ihm die Geschichte, wie es dazu kommen konnte, dass sie übel zugerichtet in einer dunklen Gasse lag. All die Dinge, die auf sexueller Ebene im ersten Teil noch fehlten, werden hier noch nach geliefert. Dreier, Auspeitschungen und Masturbation mit einer gebundenen Ausgabe der Bibel. Wie schon im ersten Teil, ist die Darstellung weniger explizit, als erwartet und versteckt sich hinter wenig subtilen Kunstgriffen, wie Weichzeichnern und verdunkelten Einstellungen, so dass es letztendlich gar nicht so viel zu erkennen gibt. Das nimmt dem Film natürlich seine provokante Brisanz, die aber im Vorfeld so ausschweifend beworben wurde. Wenn also der Sex in seiner visuellen Vielfalt fehlt, bleibt nur noch die Story. Und hier schafft es Lars von Treir tatsächlich, für eine Weile zu fesseln. Erzählerisch ist es bestimmt kein Meisterwerk, aber es entsteht ein runder Bogen, der gegen Ende des Films tatsächlich alle losen Enden der Story zu verknüpfen vermag und zu einem sinnvollen, durchaus befriedigenden Abschluss der Geschichte bringt. Tja! Wäre da nicht das wirkliche Ende des Films. Ohne all zu viel spoilern zu wollen, geschehen plötzlich zwanzig Sekunden vor Schluss Dinge, die absolut nicht nachvollziehbar sind und jeglichen gesunden Menschenverstand entbehren. Selten bin ich dermaßen frustriert und verärgert aus einem Film gegangen. Ist Lars von Treir ein Mensch, der es nicht ertragen kann, zumindest ein klitzekleines bisschen Harmonie in der Welt zu wissen? Oder ist das alles Teil der großen Show um seine eigene Person? Ist er wirklich depressiv, oder hat er seine Depression nur zu einem Produkt gemacht, welches er seit vielen Jahren überaus erfolgreich verkauft? Das würde zumindest in Ansätzen dieses völlig sinnentfremdete Ende erklären.

Genug davon! Lassen wir Lars von Trier für eine Weile in Ruhe. In den nächsten Jahren wird sich da sowieso nicht so wahnsinnig viel tun. Widmen wir uns stattdessen den wirklich wichtigen Filmen des letzten viertel Jahres: „X-Men – Days Of Future Past“!
Zu Beginn muss ich voraus schicken, dass ich die X-Men-Filme generell mag. Besonders der erste Teil (2000) galt als richtungsweisend auf dem Gebiet der Comic-Verfilmungen. Durch einfachste Mittel, die aber handwerklich perfekt inszeniert wurden, gelang es Bryan Singer, die schiere Kraft der Mutanten darzustellen. Wenn die aufeinander getroffen sind, flogen nur so die Fetzen durch die Gegend. Obendrein gab es eine Story, die dem Anspruch einer Comicverfilmung perfekt entsprach. Nicht zu ernst, aber auch weit von Over-The-Top! Zusätzlich servierte uns Singer mit Patrick Stewart und Ian McKellen zwei, meiner absoluten Lieblingsschauspieler und es gelang ihm obendrein, ein überzeugender Bezug zu solch historischen Ereignissen, wie dem Holocaust, ohne, dass es unpassend wirkte. „X-Men“ war erfolgreich, aber bei weitem nicht so erfolgreich, wie das heutige Comicverfilmungen schaffen. Dafür gelang dem Film die Vorreiterrolle und Singer diente als Inspiration sämtlicher folgender Comic-Blockbuster, die seine anfänglichen Konzepte einfach weiter führten und perfektionierten. Man denke nur an „Spder-Man“! Hach! Spider-Man! Dann wurde es etwas tragisch. Für den zweiten X-Men-Film zog Singer sämtliche Register. Komplexere Story, geilere Effekte und viel, viel mehr Mutanten. Das funktionierte an der Kinokasse nicht so gut und vielen Comic-Fans kam es so vor, als sähen sie nur eine weitere, spektakuläre, aber austauschbare Comicverfilmung. Für den dritten Teil gab Singer die Regie ab, um sein Herzensprojekt „Superman Returns“ zu realisieren – ein Film dessen unglaubliche Ambitionen nur von seinem kolossalen Scheitern übertroffen wurde. „X-Men 3“ wirkte aber firscher, als sein Vorgänger und brachte die Mutanten-Trilogie gleichermaßen dramatisch, wie auch schlüssig zu einem Abschluss. Damit war noch lange nicht Schluss, den Hugh Jackman glaubte, in Wolverine die Rolle seines Lebens entdeckt zu haben. Leider gab es noch nicht den entsprechend beeindruckenden Film zu dieser Rolle, weshalb er Gavin Hood ins Boot holte, der „X-Men Origins: Wolverine“ inszenierte. Damit sollte eine Spin-Of-Reihe etabliert werden, die der Reihe nach, die einzelnen Mitglieder des Superhelden-Teams vorstellen sollte. Der Film spielt zeitlich einige Jahre vor dem ersten X-Men-Film und erzählt, wie Logan und sein Bruder durch die Zeiten wandeln und letztendlich zu den Mutanten werden, die wir kennen. Einen weiteren Teil der „X-Men-Origins“-Idee gab es nicht, denn der finanzielle Erfolg des Films entsprach nicht den Erwartungen von 20th Century Fox.
War dies das Aus für die X-Men? Schon klingelten die Avengers und es deutete sich an, dass Marvel und Disney die Sache mit der Franchise-Bildung irgendwie besser hinkriegten. Als schon niemand mehr damit rechnete gab Fox grünes Licht für einen neuen X-Men-Film. Der sollte die Vorgeschichte der ursprünglichen X-Men erzählen. Die sehr frühe Vorgeschichte. Von Kindesbeinen an begleiten wir also Professor X, Mystique und Magneto. Erstaunlicherweise funktionierte diese Prequel-Geschichte erstaunlich gut und ich konnte diesen Film richtig genießen. Coole Schauspieler, tolle Effekte, gute Story und eine (fast) nackte Jennifer Lawrence. Auch hier blieb der erhoffte Riesenerfolg aus, der Film spielte aber dennoch eine beachtliche Summe ein und es stand schnell fest, dass das Prequel fortgesetzt werden soll. Vorher geschah noch etwas verwirrendes. Der Wolverine-Film, der einige Jahre zuvor noch als eingestellt galt, weil Daren Aronowsky wohl doch keinen Bock auf Comic-Verfilmungen hatte, tauchte plötzlich wieder auf. Einmal mehr schlüpfte Hugh Jackman in die Rolle des Klingen-schwingenden Mutanten. Dieses Solo-Abenteuer war plötzlich wieder nach den Ereignissen des dritten X-Men-Films angesiedelt und strotzte nur so vor Logik-Fehlern. Wer das Ende von „X-Men 3“ kennt, weiß vielleicht, was ich meine. Die Story führte Logan nach Japan und mehr will ich darüber gar nicht sagen. Der Film war für mich eine Qual und ich habe das meiste vergessen. Gleichzeitig wurde „X-men – Days Of Future Past“ gedreht. Das führte übrigens zu einigen lustigen Verwechslungen. Hugh Jackman tauchte als Wolverine mehrfach am falschen Set auf, weil er wohl selbst den Überblick verloren hatte, in welchem Film er nun grade wie und wo Wolverine spielen sollte. Der neue Film sollte nun die ganzen Verwirrungen auflösen und sozusagen sämtliche Kontinuitäten zusammen führen. Was in Comicform vor einigen Jahren sehr gut funktioniert hatte – die Storyline wurde zwei Jahre lang in 4 durchlaufenden Serien veröffentlicht und gilt als eines der spektakulärsten zusammenhängenden Comic-Abenteuer der Geschichte – konnte in Filmform nur misslingen. Zeitlich befinden wir uns ein paar Jahre in der Zukunft. Alle Mutanten haben plötzlich ihre Mutantenkräfte zurück, obwohl zum Ende des dritten Teils ziemlich unmissverständlich deutlich gemacht wurde, dass das eigentlich nicht sein kann. Außerdem lebt Professor X plötzlich wieder, obwohl auch an dessen Ableben am Ende des dritten Teils kein großer Zweifel bestand. In dieser, also sehr verwirrenden Zeit, werden Mutanten von Sentinels gejagt – übermächtige Terminator-Roboter, die in der Lage sind, die Kräfte ihrer mutierten Gegner zu absorbieren und sie gegen sie selbst einzusetzen. Man ist sogar so verzweifelt, dass alte Feindschaften begraben werden und Magneto plötzlich ein Guter ist. Nun muss jemand in die Vergangenheit geschickt werden, um ein bestimmtes Ereignis zu verhindern, welches zur Herstellung der Killermaschinen führt. Der einzige Mutant der die Strapazen einer Zeitreise überstehen würde, ist Wolverine. In der Vergangenheit muss er also seine Verbündeten finden und sie irgendwie davon überzeugen, dass sie eigentlich keine Feinde sind. Das dadurch die gesamte, bisherige X-Men-Kontinuität mit samt der bekannten Ereignissen obsolet wird, ist eine andere Sache. Fakt ist, der Film macht eine bessere Figur, als gedacht. Die Story wird erstaunlich tiefgründig konstruiert und versucht, allen Figuren die entsprechende Bühne zu verschaffen. Das gelingt tatsächlich ganz gut, auch wenn sich Singer gegen Ende ein bisschen verstrickt, weil es einfach zu viele Dinge gibt, von denen erzählt werden muss. Insgesamt hat der Film ein angenehmes Tempo und bewegt sich etwas abseits der mörderisch schnellen Verfilmungen der Kollegen von Disney. Dennoch versucht „Days Of Future Past“ zu sehr, alles auf einmal zu sein und wieder muss man sagen, der bahnbrechende Supererfolg bleibt aus. Der Film ist okay, aber eben kein Meisterwerk. Aber Singer gibt nicht auf. Niemals! 2016 kommt „X-Men Apocalypse“

Ein weiterer wichtiger – wenn nicht gar einer der wichtigsten Filme des ganzen Jahres – war „12 Years a Slave“, ein Film, den ich zum Kinostart gesehen habe, über den ich einen seitenlangen Text verfasst habe, der wiederum nicht gepostet wurde, weil ich nicht dazu gekommen bin, ihn Korrektur zu lesen. Als ich ihn endlich fertig hatte, war es zu spät und mittlerweile wurde alles wichtige und unwichtige über diesen Film auch an anderer Stelle gesagt und geschrieben. Eine sache fehlt allerdings, weswegen ich den Film an dieser Stelle noch einmal erwähne. Wer „12 Years a Slave“ nicht gesehen hat, möge das unverzüglich nachholen. Steve McQueen hat es geschafft, dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte, packend und absolut ungeschönt auf die Leinwand zu bannen. Es ist erstaunlich, welche Wirkung die einfachsten Bilder auf den Zuschauer haben können. Mir stiegen ständig Vergleiche zum Holocaust in den Kopf und wenn man es nüchtern betrachtet und mal von einigen Details absieht, und man wirklich ein historisches Ereignis suchen will, welches mit den Ausmaßen der Grausamkeit und Menschenverachtung der amerikansichen Sklaverei zu vergleichen ist, kommt man unweigerlich zum Holocaust in Europa. Diese Erkenntnis hat mir dieser Film gebracht. Plötzlich wird einem die Tragweite bewusst und es wird einem klar, dass es nichts schlimmeres gibt, als das, was Menschen anderen Menschen antun können. Der Film hat viele Menschen berührt und letztlich ist er auch mit den prestigeträchtigen Preisen belohnt wurden, die Hollywood ja anscheinend über alles gehen. Ob dieser Film jedoch langfristig etwas in den Köpfen der Menschen verändern konnte, bleibt ab zu warten. Ich jedenfalls, werde „12 Years a Slave“ nie vergessen.

Ich habe noch viele Filme gesehen, über die ich in letzter Konsequenz hier nichts geschrieben habe. Sie alle hier und jetzt ausführlich zu besprechen, würde den Rahmen sprengen. Natürlich müsste ich ausufernd über „Inside Llewyn Davis“ schreiben. Ich belasse es bei zwei Ratschlägen: Seht Euch den Film an! Hört Euch danach den Soundtrack an! Tatsächlich sind diese beiden - nennen wir es mal – Medien in der Lage alles zu transportieren, was man über Film wissen muss.

Mal wieder gesehen habe ich zum Beispiel „Blade Runner“, nachdem nun bekannt wurde, dass Ridley Scott ernsthaft eine Fortsetzung realisieren will. „Blade Runner“ funktioniert immer noch, trotz seiner verstörend Anmutigen Skurrilität. Es ist eben ein Genre-Definierendes Werk, welches auf so viele Arten und Weisen, neue Dinge ausprobiert und teilweise auch etabliert hat. Muss der Film gefallen? Nicht unbedingt, aber gesehen haben sollte man ihn, ohne Frage!

Mal wieder gesehen habe ich „Star Wars“. Bevor jemand die unerhörte Freichheit besitzen kann, zu fragen, welche Star-Wars-Filme ich gesehen habe, beantworte ich sie lieber gleich. Natürlich habe ich die alten, die originalen – ja eigentlich die einzig wahren – Teile gesehen. Ich gehöre zu der Sorte von Menschen, die sich „Star Wars“ niemals in chronologischer Reihenfolge ansehen würden und zu jenen Menschen, für die die Episoden 1 bis 3 eigentlich nicht existieren. Aber auch hier steht uns in den nächsten Jahren eine Fortsetzung an, über die ich persönlich eigentlich gar nichts wissen möchte, bis sie fertig ist und in einem Kino meiner Wahl an zu sehen ist. Jedem Gerücht, welches Hoffnung auf einen gelungenen Film säen könnte, folgt sowieso sehenden Fußes ein Gerücht, welches das Gegenteil bewirkt. Also, warum sollte ich mich verrückt machen. Stattdessen gucke ich mir die Episoden 4-6 noch tausend Mal an und genieße etwas, was mich und meine Faszination für Filme so dermaßen geprägt hat, als das, was es ist: Eine Legende. Und Legenden kann man nicht neu schreiben, egal, was J.J. Abrahms und Disney dazu sagen.

Kurz vor Ende möchte ich noch auf zwei kleinere, weil deutsche Filme aufmerksam machen. Zum einen durfte ich in dieser Woche der Deutschland-Premiere von „Die geliebten Schwestern“ beiwohnen. Ein Film über den großen Dichter Friedrich Schiller und dessen angeblicher Dreier-Beziehung zu den Schwestern Lengefeld aus Rudolstadt. Entgegen sämtlicher Befürchtungen, geht der Film keine oberflächlichen Pfade und hat weitaus mehr zu bieten, als so manche Kostüm-Romanze der letzten Jahre. Mehr dazu gibt es übrigens in der Radio-Sendung am kommenden Sonntag und anschließend auch hier an dieser Stelle. Des weiteren wird es hier demnächst auch um „Wir sind die Neuen“ gehen, den neuen Film von Ralf Westhoff. Dieser Film hat auf zahlreichen Festivals in den letzten Wochen einige Preise eingeheimst und feiert im Moment entsprechende Erfolge an den deutschen Kinokassen. Abseits dieser kalten Fakten hat der Film noch viel mehr zu bieten. Darüber lasse ich mich dann ebenfalls in aller Ausführlichkeit aus.

War's das jetzt wieder für die nächsten sechs Monate? Wo sind die angekündigten Veränderungen? Wo bleibt der nächste „FlimmerCASTen“? Hat Jan wirklich Jennifer Lawrence getroffen? Das sind dringliche Fragen, die ich zumindest teilweise noch beantworten kann. Das war's nicht für das nächste Jahr. Meine berufliche Situation hat sich etwas verändert und gestattet mir, sehr viel zu Hause zu arbeiten. Zeit für's Kino werde ich mir nun auch einfacher frei schaufeln können und so wird es nun auch wieder regelmäßige Beiträge hier geben. Die angedachten Veränderungen für „Kineast“ bleiben noch auf dem Zettel, werden aber momentan nicht praktikabel sein. Irgendwann wird es soweit sein. Der „FlimmerCASTen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Antonia, die selbst nicht weniger zu tun hatte, als ich, in den letzten Monaten. Eine Weiterführung des Podcasts wird demnächst mal bei nem Weinchen diskutiert. Aber keine Bange! Wir sind nach wie vor filmaffine, vor verbaler Inkontinenz nur so strotzende Cracks. Eigentlich die besten Voraussetzungen für ein derartiges Projekt!

Nicht vergessen, am Sonntag, das Radio (bzw. den Stream) ein zu schalten! 14 Uhr geht’s los, ich freu mich auf Euch. Demnächst wird es hier an dieser Stelle noch einen packenden Tatsachenbericht über die schlechteste Sci-Fi-Messe der Welt geben und mal sehen, was sich noch ergibt.

-Jan-

Dienstag, 3. Juni 2014

Da geht nochwas...

Da haben wir sie mal wieder: Die Sinnkrise, die dafür sorgt, dass es auf diesem Blog nichts Neues gibt. Ich kenne das und nichts nervt mehr, als auf seinen Lieblingsblog zu gehen und zu merken, dass dort nix mehr passiert. Ich habe lange überlegt, welchen Sinn ich noch darin sehe, weiter zu machen und zu einer richtigen Lösung bin ich noch nicht gekommen. Auf jeden Fall wrid sich hier einiges ändern. Wahrscheinlich kürzere Beiträge in kürzeren Abständen zu unterschiedlichen Themen. Um Filme wird's aber weiterhin gehen und das Design behalte ich auch. Sieht irgendwie immer noch okay aus. Also: Das Herz schlägt noch (oder wieder) und in den nächsten Wochen geht es hier hoffentlich hoch motiviert und frisch weiter.
-Jan-

Dienstag, 1. April 2014

FlimmerCASTen # 18 - Keanu Reeves

Viel zu lange hat es gedauert, und jetzt müsst ihr gleich mit so vielen Hämmern gleichzeitig klar kommen. Nicht nur, dass es Keanu Reeves derzeit gleich mit zwei Filmen ins Kino zurück geschafft hat, ihr habt hier auch noch die neue Ausgabe unseres Podcasts vor euch. Nahezu anderthalb Stunden geballtes Fachwissen über den sanftmütigen Superstar. Viel Spaß!



Feedback und Kommentare sind wie immer herzlich willkommen!

Mittwoch, 26. März 2014

Her

Was für ein Comeback! Joaquin Phoenix, der ganz offensichtlich wahnsinnig geworden war und seine Schauspielkarriere aufgegeben hatte, um fortan ein Rap-Superstar zu werden, sich anschließend in oberpeinlichen Auftritten volltrunken und pöbelnd an der Geilheit seiner eigenen Person ergötzte, nur um dann der Welt mit zu teilen, alles sei nur ein Fake gewesen; dieser Joaquin Phoenix kehrt plötzlich auf die große Leinwand zurück und spielt sich in „The Master“ förmlich die Seele aus dem Leib. Weil es ein böser Film ist, der von großmächtigen und manipulativen Sekten handelt- mit denen Hollywood nicht all zu gerne in Verbindung gebracht wird – wird seine Leistung nicht im verdienten Maße honoriert. Also schaltet der Underdog einen Gang zurück und dreht mit einem anderen Underdog einen niedlichen, kleinen Liebesfilm und wird prompt mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Und wem verdankt er das alles? „Her“!

Theodore ist der beste Briefeschreiber, den es gibt. In einer nahezu vollständig digitalisierten Welt, sind Briefe out. Kaum jemand nimmt sich noch die Zeit, sich hin zu setzen und seinen Lieben einen Brief zu schreiben. Dafür gibt es jetzt Dienstleister, wie Theodore. Weil er in einer kalten, technisierten Welt ein so sensibler Mensch ist, kann er damit seinen Lebensunterhalt verdienen. Privat geht es ihm allerdings nicht so gut. Er hat gerade eine Trennung hinter sich und lebt allein. Eines Tages sieht er die Werbung für ein neuartiges Operatingsystem, welches die brandneue Technik der künstlichen Intelligenz nutzt. Theodore legt sich das Betriebssystem zu und nach einer Reihe von Fragen, die er beantworten muss, piepst es plötzlich und Samantha ist da. Beziehungsweise ihre Stimme. Die wirkt nicht weniger real, als die eines echten Menschen und Theodore versteht sich prächtig mit ihr. Ihre Neugier und Auffassungsgabe gibt Theodore neue Perspektiven und sie gibt ihm die Gesellschaft und das Verständnis, nach dem sich seine verletzte Seele so sehnt. Er weiß, dass Samantha nur ein Stück Software ist, und doch fühlt er sich immer mehr zu ihr hingezogen. Doch kann sich ein Mensch in ein Operatingsystem verlieben?

Ja! Denn das ist ein Film von Spike Jonze. Seinen Filmen haftet immer etwas skurriles und abgedrehtes an. Denken wir nur an „Being John Malkovich“, in dem John Cussack durch eine geheime Tür in den Kopf des berühmten Schauspielers gelangt und ihn steuern kann. So abgedreht dieses Szenario auch daher kommt, lässt es sich auf wenige essenzielle Kernmotive reduzieren. Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Wäre ich gern jemand anderes? Habe ich angst vor dem Leben? Oder eher vor dem Tod? „Wo die wilden Kerle wohnen“ ist das eskapisrische Abenteuer eines kleinen Jungen, der sich in seiner Welt von allen Mitmenschen missverstanden sieht. Und „Her“ erzählt von der Liebe zwischen zwei Wesen, die sich über eventuelle technische oder physische Grenzen hinaus entfalten kann und genau so viel Glück oder Leid bringt, wie die Liebe zwischen zwei Menschen. Spike Jonze schafft es also erneut, eine fundamentale Botschaft in einen etwas abedrehten Rahmen zu stecken. Das macht Spike Jonze immer so und in den meisten Fällen funktioniert es auch. Besonders stolz ist er immer auf seine ausgefallenen Design-Ideen. „Her“ ist einige Jahre in der Zukunft angesiedelt. Überall Plexiglas und weiße Monitore. Menschenleere Bergregionen, völlig überfüllte Strände und alles glitzert ein bisschen in einer leicht angestaubten 60er-Jahre-Ästhetik. Es entsteht ein etwas merkwürdiges Bild voller Kontraste. So, wie die Hauptcharaktere. Einer ist ein Mensch und einer ist ein Stück Software und trotzdem haben sie so viel gemeinsam.
Joaquin Phoenix spielt hier einen sensiblen, verletzlichen Menschen, der sich nur nach Wärme sehnt, in einer Welt, die zunehmend kälter zu werden scheint. Und das macht er gut. Mit seinem, etwas schiefen Gesicht, dem leichten Genuschel wirkt er stets unsicher und verschüchtert und man möchte sich die ganze Zeit um ihn kümmern. Scarlett Johansson ist eine tolle Sprecherin. Sie hat mich in dieser Sprechrolle mehr überzeugt, als in allen Filmen, in denen sie zu sehen war. Auch, wenn sie sich eine Gesangseinlage nicht verkneifen kann, funktioniert sie als Stimme einer faszinierenden künstlichen Persönlichkeit total gut. Beeindruckend ist mal wieder Amy Adams, die immer häufiger ihre Wandlungsfähigkeit beweist und vermuten lässt, dass sie wohl noch einiges mehr auf dem Kasten hat, als man bisher vielleicht gesehen hat.
Spike Jonze hatte eben schon immer ein Händchen für spannende Besetzungen.
Insgesamt ist „Her“ sehr schlicht und angesichts der ausschweifenden Werbekampagne und der Vorberichterstattung könnte es sein, dass hier Erwartungen geschürt wurden, die der Film gar nicht erfüllen will. Es ist ein kleiner Film, der nicht übertreibt. Weder in seiner visuellen Darstellung, noch bei der Thematisierung tiefster Gefühle. Will sagen, der Film ist weder überinszeniert, noch zu kitschig. Unspektakulär, könnte man vielleicht sagen, wenn man es auf die positiven Aspekte dieses Wortes bezieht.

„Her“ bietet eben einfach ein vergnügliches Kinoerlebnis, welches man nicht überbewerten sollte. Für eine dicke Portion der visuellen Gewalt eines Spike Jonze müssen wir eben einfach noch auf seinen nächsten Film warten, in welchem er sich aber ruhig wieder richtig austoben darf.

Her (USA, 2013): R.: Spike Jonze; D.: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, u.a.; M.: Arcade Fire; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Dienstag, 25. März 2014

Berlin - Grand Budapest Hotel

Das kleine Kino, in dem ich arbeite, würde Wes Anderson bestimmt gefallen. Es bietet genau die richtige Mischung aus kuscheliger Nostalgie auf alten Sofas und Sesseln und der unvermeidlichen Technisierung des Kinohandwerks. Schön auf durchgesessenen Sofas hocken, sich Sprungfedern in den Rücken pieksen lassen; dafür aber bitte glasklares, digitales Bild und dicken Surround-Sound. Außerdem wird dieses kleine Kino derzeit regelrecht von Scharen heimgesucht, die sich alle Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ ansehen wollen.

Wir befinden uns auf einem Friedhof, irgendwo im ehemaligen Staat Zubrowka. Ein junges Mädchen sucht das Grab eines Schriftstellers auf und beginnt vor Ort, ein Buch zu lesen. Wir werden sozusagen in das Buch hinein gesaugt und erleben die Geschichte des Schriftstellers, der wiederum von seinem Besuch in einem der beeindruckendsten Hotels der Welt berichtet. Er selbst besuchte das Grand Budapest Hotel in Nebelsbad allerdings erst lange, nach dessen Glanzzeit. Inzwischen ist es etwas heruntergekommen und erfreut sich außerhalb der Saison nur noch weniger Besucher. Genau das mag unser Autor. Die Ruhe und der nostalgisch-goldene Frieden, der dem Haus innewohnt, bietet die perfekte Inspiration. Besonders faszinierend ist der Besuch des Hotelbesitzers, Mr. Moustafa. Von ihm lässt sich der Schriftsteller wiederum die Geschichte erzählen, wie das Hotel in seinen Besitz gelangte. Und diese Geschichte beginnt mit Monsieur Gustave. Und diese Geschichte hat es in sich. Es geht um Liebe, Geld, Macht, Leben und Tod. Alle Facetten des Lebens schlagen sich in irgendeiner Form in dieser wirklich aufregenden Geschichte nieder. Man kann sich der Geschichte nicht entziehen und es wird die ein oder andere Träne – ob nun aus Freude oder Trauer – vergossen werden.

Wes Anderson ist der letzte große Künstler Hollywoods. All die zahlreichen großen Kollegen sind müde oder anderweitig indisponiert. Ridley Scott zum Beispiel flieht sich in wirre Neuinterpretationen seiner früheren Meisterwerke, die lediglich zu müden Tech-Demos verkommen. Steven Spielberg vermittelt ebenfalls den Eindruck, hängen geblieben zu sein. All seine Filme kommen etwa zwanzig Jahre zu spät. Innovation sucht man auch bei Krawallmachern, wie Roland Emmerich oder Michael Bay vergeblich. Und der fast schon kindliche-naive Bombast-Feldzug eines J.J. Abrams quer durch die Erinnerungen einer wirklich schönen Kindheit, fällt auf Dauer eben einfach der Entzauberung durch virales Merchandising zum Opfer.
Und in dieser Zeit, in der sich das Kino in festgefahrenen Bahnen nur noch vor oder zurück bewegt, ohne jemals wirklich die Chance zu ergreifen, etwas wirklich Neues auszuprobieren, kommt Wes Anderson. Und er scheißt auf Konventionen. Er erzählt Geschichten, wie er es möchte und auch, wenn all seine Kollegen sagen, er sei verrückt, filmt er seine Werke nach, wie vor mit klassischer analoger Filmtechnik. Für „Moonrise Kingdom“ besorgte er sogar Kameras und Filmmaterial aus den 60er Jahren, um diesen leicht blassen und staubigen Look besser hin zu kriegen. Für „Grand Budapest Hotel“ wurden riesige Filmbühnen und Kulissen gebaut und Anderson stellte einen Cast zusammen, der jeden anderen Regisseur in den sicheren Ruin getrieben hätte. Und dann trabt der Film in wahnwitzigen Tempo durch seine zwei Stunden und erzählt ohne jeden Druck und absoluter Lockerheit eine wahnwitzige Geschichte voller Abenteuer, Witz und Drama. Alle Schauspieler bieten eine Performance sondergleichen. Ralph Fiennes war für mich in der letzten Zeit irgendwie angekommen. Hat er früher noch durch charakterstarke Darstellungen geglänztm leuchtete er in den letzten Jahren weniger hell. Ich hätte nicht gedacht, dass er sein festgefahrenes Nebenrollendasein noch einmal aufgeben würde und dass er es dann schaffen würde, diese Hauptrolle dermaßen überzeugend zu spielen. Gleiches gilt für alle Kollegen, insbesondere Jeff Goldblum, Adrian Brody, oder Willem Dafoe. Zu dem hohen Tempo passt auch das fast schon comichafte Spiel der Darsteller. Alle bewegen sich auch schnell und sprechen, ohne Punkt und Komma, beziehungsweise, ohne Luft zu holen. Dazu kommt ein bühnenhafter Puppenhauslook, dem man seine pappene Herkunft sofort ansieht, der sich aber trotzdem perfekt zum Gesamtbild hinzufügt. Anderson spielt außerdem mit Formatwechseln, farblichen Verfremdungen, unorthodoxen Perspektiven und Zeichentrickkosaken.

„Grand Budapest Hotel“ ist – mehr, als jemals zuvor – ein nostalgischer Trip in die ganz besondere Welt des Wes Anderson. Mit einer unglaublichen Detailverliebtheit – ja, echter Liebe – dürfen wir diese Welt besuchen und mehr denn je, war ich fast traurig, als der Abspann über die Leinwand lief, denn das bedeutete, dass ich diese Welt wieder verlassen hatte. Nun fiebere ich dem nächsten Besuch entgegen und kann es schon jetzt kaum erwarten.

Grand Budapest Hotel (USA, D, 2014): R.: Wes Anderson; D.: Ralph Fiennes, Jude Law, Jeff Goldblum, Bill Murray, u.a.; M.: Alexandre Desplat; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Mittwoch, 5. März 2014

Das finstere Tal

Wenn man an Genrefilme aus Deutschland denkt, erinnert man sich nicht unbedingt an positive Kinoerfahrungen. „Hell“ hat irgendwie nicht funktioniert, obwohl die Idee mit einem zur Wüste erstarrten Deutschland gar nicht so weit her geholt ist. „Anatomie“ hat versucht, eine Slasher-Reihe im deutschen Kino zu etablieren. Kann man dem ersten Teil noch eine gewisse Spannung zusprechen und ihm vielleicht noch die Star-Power anrechnen, ging es mit der Fortsetzung mächtig schief. Andere Versuche, klassische Hollywoodgenres zu bedienen waren ebenfalls selten von Erfolg gekrönt. Man denke nur an den durchaus gelungenen, aber kolossal gefloppten „Cloud Atlas“. Das Publikum möchte derartige Filme eben lieber mit echten Hollywood-Stars sehen. Das ist im Großen und Ganzen eine Frage der Sehgewohnheiten. Etwas, wogegen Til Schweiger zum Beispiel seit vielen Jahren anzukämpfen versucht. Andreas Prochaska aus Wien versucht das auch und möglicherweise hat er es mit seinem neuesten Film auch geschafft.

Finster fängt es an. Es ist ein trüber Herbstmorgen, irgendwann, gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einem entlegenen Tal, mitten in den Alpen. Ein einsamer Reiter kommt nach einer langen Reise in einem kleinen Dorf an und bittet um Quartier. Die ansässigen Bauern sind sehr skeptisch und fragen sich, was der Fremde hier will. Besonders, da der Wintereinbruch kurz bevor steht und niemand dass Tal verlassen kann, solange es eingeschneit ist. Sein Name sei Greider und er möchte gerne Fotografien anfertigen. Eigentlich ganz harmlos, würde er nur nicht die ganze Zeit den eindringlichen Blick zelebrieren. Trotz aller Skepsis überwiegt die Neugier. Man bringt ihm bei einer verwittweten Frau und der deren Tochter unter. Der Fremde interessiert sich sehr für das Leben im Dorf und vor allem für die Familie des Großbauern, die den Ort und seine Bewohner offensichtlich fest im Griff haben. Und es dauert nicht lange, da kommt es zu merkwürdigen Todesfällen. Immer sind es die Söhne des Bauern, die auf brutale Weise zu Tode kommen. Bald ist auch klar, dass der Fremde aus einem ganz anderen Grund im Tal ist, als Fotos zu schießen.

Vor dem Kinobesuch habe ich nicht gewusst, was mich erwartet. Im Vorfeld habe ich weder Synopsis gelesen, noch Trailer gesehen. Tobias Moretti wurde an verschiedenen Stellen lobend erwähnt. Mehr wusste ich nicht. Ab der ersten Minute baut der Film sehr gekonnt eine düstere und bedrohliche Atmosphäre auf und verwendet hierfür die klassischen Kniffe. Bombastische Landschaftsaufnahmen, denen aber irgendwie die Farbe und das Leben fehlt. Musik, die nicht weniger bombastisch daher kommt, sich aber munter bei gängigen Komponistengrößen bedient. Während des gesamten Intros sieht man einen einsamen Reiter mit Cowboyhut und Sporen. Die Ankunft dieses Reiters wird von argwöhnischen Blicken beobachtet. Die ersten Dialoge bestehen aus wenigen Worten. Ein Schelm, wer böses denkt, aber so etwas hab ich doch schon mal irgendwo gesehen. Der Einstieg zeichnet also ein nahezu perfektes Bild einer Homage an eines der ältesten Filmgenres überhaupt. Es fühlt sich etwas befremdlich an, dass alle Dialoge in breiter Alpen-Mundart geführt werden. Mir erschließt sich nach einer Weile, was „Das finstere Tal“ versucht; der Film entfaltet ein stilechtes Racheepos mit all den Dingen, die dazu gehören. Der mysteriöse Fremde knöpft sich seine Gegner der Reihe nach vor und dann gibt es sogar einen klassischen Showdown in dem Gewehrkugeln und Blut nur so durch die Gegend spritzen. Jeder Szene dieses Films merkt man die Hingabe zum Genre an und endlich funktioniert der Versuch, einen hiesigen Genrefilm zu kreieren. Das liegt an der Umgebung. Dieses Szenario in die Alpen zu verlegen, wirkt vielleicht abwegig, aber es funktioniert. Was wissen wir denn schon, was um die Jahrhundertwende in irgendeinem einsamen Tal dort los war? Außerdem ist der Stil auf visueller Ebene dermaßen konsequent, dass man vollkommen hineingezogen wird. Zusätzlich scheint der Film keinerlei überflüssige Elemente einzupflegen. Alles passt genau da hin, wo es ist. Die Story ist simpel, aber nicht oberflächlich. Das gleiche gilt für die Charaktere. Zusätzlich sprüht der Film vor Zitaten an „High Noon“, „Der Name der Rose“ oder auch „Django Unchained“.Bevor das aber alles ausartet, entdeckt man immer noch genug eigene Ideen.

„Das finstere Tal“ ist also ein stilechter Western, der sich nicht davpr scheut, bei Genre-Referenzen zu klauen, ohne das ganze aber zu einem Remake, oder Persiflage verkommen zu lassen. Es ist eben einfach irgendwie etwas Eigenes, erinnert aber stark an Bekanntes.
Es fällt mir ein bisschen schwer, ausschweifend über den Film zu schreiben. Einerseits gibt es gar nicht so viel, über das man berichten kann. Das Gesamtbild dieses Films ist einfach total stimmig, so dass es kaum markante, oder besonders auffällige Sequenzen gibt. Außerdem will ich nicht zu viel verraten, denn für mich hat „Das finstere Tal“ vor allem deshalb so gut funktioniert, weil ich im Vorfeld nahezu keinerlei Informationen hatte. Man sollte sich allerdings auf harten Tobak einstellen. Die FSK hat dem Film zwar eine Ab-12-Freigabe erteilt, was das Entscheidungsgremium aber dabei geritten hat, versteht wohl kein Mensch.

Das finstere Tal (AUT, D, 2014): R.: Andreas Prochaska; D.: Sam Riley, Tobias Moretti, Paula Beer, u.a.; M.: Matthias Weber; OffizielleHomepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Donnerstag, 27. Februar 2014

FlimmerCASTen # 17 - Wie war's auf der Berlinale, Jan?

Während ihr hier nach und nach die Texte zu den einzelenen Filmen lesen könnt, die ich in Berlin gesehen habe, geht es im Podcast um das ganze Drumherum. Antonia und ich erklären zum Beispiel auch, warum hier solch merkwürdige Filme besprochen werden, die im diesjährigen Festival-Programm gar nicht aufgetaucht sind...



Wart Ihr schon auf der Berlinale? Sollten Papiertüten auf dem Kopf im nächsten Jahr der neue Modetrend auf dem Festival werden? Teilt's uns mit!

Dienstag, 25. Februar 2014

Berlin: Nyphomaniac 1

Kaum ein anderer Film wurde in den letzten Monaten mehr diskutiert und nicht wenige haben nach all dem Wirbel schmerzlich den Kinostart herbei gesehnt. Ob diese Aufregung gerechtfertigt war und nicht die Erwartungen so hoch geschraubt hat, dass sie dieser Film nicht erfüllen kann, ist dem Regisseur wahrscheinlich egal. Was man von Lars von Triers neuestem Machwerk „Nymphomaniac 1“ hingegen halten soll, weiß man wohl auch erst, wenn man im Kino war.

Es ist eine kalte Nacht, die an rostige und keimig, verklebte Wände, an denen Brackwasser herunter rinnt denken lässt und an Rammstein. In einer solchen Nacht findet der alte Mann namens Seligman eine übel zugerichtete Frau auf dem Fußweg liegend. Er kümmert sich um sie und schafft sie zu sich nach Hause. Hier packt er sie ins Bett und flößt ihr warmes Essen und Getränke ein. Ob er die Polizei oder einen Krankenwagen rufen soll, verneint sie. Sie sei ein schlechter Mensch und das sei in Ordnung so. (Hat nicht ein berühmter Regisseur vor klurzem etwas ganz Ähnliches gesagt?) Seligman glaubt nicht, dass sie ein schlechter Mensch ist. Deshalb beginnt sie, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen, um zu beweisen, dass sie doch ein schlechter Mensch ist. Dieses Leben besteht ausschließlich aus extremen, sexuellen Erfahrungen, die sie seit ihrer frühesten Kindheit sammelt. Der alte Mann zeigt sich von all den expliziten Schilderungen nicht sehr schockiert und kontert mit Analogien vom Fliegenfischen, dem Komponieren eines Orgelstückes und der Weltliteratur. Während sie also ungeniert von ihrem Leben berichtet, wird sie von ihm bemuttert und moralisch durchgefüttert.

Die Story klingt ziemlich banal. Bei den meisten Pornofilmen gibt es so etwas, wie eine Story gar nicht erst und so gesehen, könnte man sagen, ist „Nymphomaniac 1“ regelrecht tiefgründig. Lange habe ich überlegt, wie dieser Film zu bewerten ist und ich bin zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Manche bezeichnen diesen Film, als ein wildes Kunstwerk, welches im Grunde nur die Gewalt und Vielfältigkeit des Lebens nachzeichnet. Lars von Treir selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er einen Pornofilm gedreht hat. Ich finde, so sollte ich das auch halten. Zwischen den einzelnen Kapiteln, die alle jeweils ein neues Sexabenteuer schildern, gibt es Einschübe, die sehr verkrampft wirken und an die tatsächliche Bildgewalt früherer von-Trier-Filme erinnern sollen, hier aber total unpassend daher kommen. Alles wirkt dadurch eher konfus. In einer Szene beschreibt sie ausführlich von ihrer Entjungferung, in der nächsten zitiert er den Text irgendeines romantischen Autors. Einmal wird der Zuschauer mit einer beispiellosen Galerie männlicher Geschlechtsteile bombardiert, gleich darauf mit perfekten Bildern eines spektakulären Sonnenuntergangs verwöhnt. All das kann nicht verbergen, dass es in diesem Film nur um eines geht: Um Sex. Um Sex in all seinen faszinierenden, wie auch abstoßenden Formen. Ästhetische Liebesszenen wird man hier kaum finden. So etwas gibt es in Pornofilmen nun mal nicht. Stattdessen findet man eine beeindruckend gespielte, aber leider vollkommen überflüssige Szene mit ihrem Vater, der irgendwie noch zum Schlüsselsymbol werden soll. Vielleicht. Das kommt möglicherweise im zweiten Teil erst. Womit wir bei einem weiteren, großen Problem von „Nymphomaniac“ wären. Lars von Trier hat nach Fertigstellung seines Filmes den sogenannten Final Cut abgegeben. Dieser Cut legt fest, welche Version letztendlich in den Kinos laufen soll. Aus vermarktungstechnischen Gründen, wurde der Film erstens regelrecht kastriert – Sorry, aber anders kann man es in diesem Fall schwerlich nennen – und damit sämtlicher diskutabler Szenen, die im Vorfeld für so viel Gesprächsstoff sorgten beraubt; zweitens wurde „Nymphomaniac“ in zwei Teile gehackt. Der deutsche Verleih möchte dem deutschen Publikum also weder eine Laufzeit von 5 Stunden, noch explizit dargestellte, kopulierende Paare zumuten. Als Dank dafür bittet man aber natürlich doppelt zur Kasse.

Das Ergebnis ist eben eher unspektakulär, entspricht überhaupt nicht den Erwartungen – ob nun negativ, oder positiv - die man an einen Film dieses Regisseurs hat und zeigt vor allem, wie toll es noch immer in der Filmwelt funktioniert, wenn man auf möglichst platte und unkreative Art und Weise einfach mal drauf los provoziert.
Ich hatte nicht einmal Freude am durchaus sehenswerten Cast des Filmes. Einzig Uma Thurman zeigt gutes Schauspiel und rettet um Haaresbreite den Ruf ihrer Zunft. Alle anderen sind austauschbar. Vor allem der Typ mit der Papiertüte auf dem Kopf.

Nymphomaniac 1 (DK, D, B, F, GB, 2013): R.: Lars von Trier; D.: Charlotte Gainsbourgh, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater, Jamie Bell, Uma Thurman, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Mittwoch, 19. Februar 2014

Nebenbei: Von Stöckchen und dem Soundtrack zum Leben

Mir wurde ein Stöckchen zugeworfen. So kommt es, dass ich plötzlich über ein Thema nachdenke, welches nicht unbedingt etwas mit FIlmen zu tun hat und mich dazu bringt, olle Platten heraus zu wühlen und an früher zu denken.


In meinem Leben gibt es – und gab es schon immer – unglaublich viel Musik. Das fing schon als Kind an. Mein Papa war schon immer sehr interessiert und zu DDR-Zeiten als Schallplattenunterhalter mit extra DJ-Diplom unterwegs. In den 70er Jahren war es wichtig, sich mit der Musik zu identifizieren. Solche denkwürdigen Ereignisse, wie Woodstock zumindest aus der Ferne mitzukriegen, war schon irgendwie wichtig. Meine Eltern haben also schon immer viel Wert auf ihren Musikgeschmack gelegt. Das heißt, ich bin mit den Beatles, den Rolling Stones, Neill Young, Bob Dylan, und so ziemlich allen Ikonen des Rock und Pop aufgewachsen. Mir hat dann irgendwann eine Band besonders zugesagt. Ich weiß nicht warum, aber im Alter von sechs Jahren oder so, habe ich unentwegt Supertramp gehört. Das war irgendwann der Soundtrack zu allem, was ich so erlebt habe. Der Ostsee-Urlaub wurde von „Crime Of The Century“ begleitet, meine Grundschulzeit von „Chrisis? What Chrisis?“. Ununterbrochen hörte ich das Livealbum rauf und runter, während die Mitschüler auf die Eurodance-Welle und Schlumpfentechno abgingen. Aus heutiger Sicht ist Supertramp irgendwie weniger ernst zu nehmen und aus irgendeinem Grund werden die Fans unverhohlen belächelt. Möglicherweise liegt das daran, dass Supertramp seit vielen Jahren mit ein und dem selben Song ein eher mitleiderregendes Dasein auf den Servicewellen der deutschen Radiolanfschaft fristet. Lustigerweise wurde vor einiger Zeit „Give A Little Bit“ wieder neu entdeckt, weil Coca Cola den Song für die aktuelle Imagekampagne durch sämtliche Kanäle dudeln ließ. Irgendwann war bei mir dann chluss mit Supertramp. Von einem Tag auf den nächsten erschloss sich mir eine völlig neue Musik, die mit großflächig arrangierten Pop-Balladen über den Frieden in der Welt gar nichts zu tun hatte. Wenn man den kontrastreichen Schritt von Supertramp zu Drum'n'Bass beobachtet, könnte man vielleicht denken, mein Leben hätte einen ebenso gravierenden Einschnitt verzeichnet. Dem war nicht so. Plötzlich wollte ich hämmernde Bässe, wahnwitzige BPMs und kreischende Vocalsamples. Drum'n'Bass ist an sich keine Musik, die man sich geruhsam anhört, aber ab da an gab es für mich nichts anderes mehr. Mir gefiel es, eine Musik zu hören, die die meisten meiner Bekannten einfach nicht verstanden. Das mangelnde Verständnis schlägt sich übrigens auch in Filmsoundtracks nieder. Immer wieder haben Filmemacher versucht, diesen Sound in ihre Werke einzubauen – meist mit fatalen Ergebnissen. Der Soundtrack von „pi“ oder das Intro von „Event Horizon“ bieten da die seltene Ausnahme von gelungenen Einsätzen des Amen-Beats. Aber zurück zum Thema: Dadurch, dass ich so konsequent und unaufhörlich Musik höre, gibt es keinen Peak oder besonderen Moment, den ich mit einem bestimmten Song verbinde. Bei den denkwürdigen Ereignissen in meinem Leben, lief dann erstaunlicherweise keine Musik. Ich habe meine Freundin gefragt, welcher Song vielleicht sowas ähnliches, wie unser Song sein könnte. Sie antwortete: „Brauchen wir einen Song?“
Als DJ werde ich oft gefragt, was meine Lieblingsplatte ist. Wenn ich nur eine Lieblingsplatte hätte, könnte ich wohl kaum ein abwechslungsreiches Set spielen.
Zerdenke ich die ganze Sache vielleicht zu sehr? Okay! Ich sage jetzt einfach, welcher Song, mir ganz spontan durch den Kopf geht: „Lass das mal den Papa machen...“ Oha!

Das Stöckchen haben mir übrigens die Kollegen von Schöner Denken zu geworfen. Wie deren musikalischer Nostalgietrip aussieht, könnt Ihr hier nachlesen.

Dienstag, 18. Februar 2014

Berlin: Enemy

Bei diesem Film fühlt man sich versucht, ihn mit Dingen zu vergleichen, die man schon aus anderen Werken kennt. Eindringlich, wie „Drive“. Spannend und intensiv, wie „Vertigo“ vielleicht. Aufregend und erotisch, wie „Black Swan“. Aber diese Vergleiche halten nicht lange stand, denn „Enemy“ nutzt diese bekannten Elemente allenfalls als Sprungbrett für seinen ganz eigenen und – ironischer Weise – unverwechselbaren Stil.

Adam ist Professor für Geschichte an einer Universität. Auch, wenn er einen gut bezahlten Job hat, wäre er sehr unzufrieden mit seinem Leben, würde es ihn nicht so furchtbar langweilen. Seine Vorlesungen sind uninspiriert und verlaufen immer nach dem selben Strickmuster, seine Freundin bringt ihm mehr Ärger, als Glück und überhaupt fehlt seinem Leben das Besondere. Im Rahmen seines Lebensstils und seiner eigenen Motivation ist es Adam allerdings unmöglich, dieses besondere Etwas zu finden. Adam weiß genau, was er tun könnte, um diesen Zustand zu ändern, doch will er es im Grunde nicht, was seinen Frust noch verstärkt. Ein Kollege macht ihn eines Tages darauf aufmerksam, dass er ihn an einen Schauspieler erinnere. Adam schaut sich einige Filme mit besagtem Schauspieler an und stellt fest, der andere Mann sieht ihm zum Verwechseln ähnlich. Aus Neugier beginnt Adam, dem Schauspieler nach zu stellen und arrangiert sogar ein Treffen. Bei diesem Treffen kommt allerdings etwas zu Tage, was Adam nicht erwartet hätte.

Regisseur Denis Villeneuve nutzt diese Story, die im Grunde ganz klaren Linien und Rahmen folgt, um einen regelrechten Trip zu entfesseln. Von Beginn an versetzt er den Film mit abgedrehten Traumsequenzen. Immer wieder taucht hier das Motiv einer riesenhaften Spinne auf, die sich durch die Häuserschluchten der Großstadt hangelt. Außerdem ist der ganze Film in blassen Gelbtönen gehalten. Dadurch wirkt alles etwas fiebrig. Ein Großteil der dichten und oft auch bedrohlichen Atmosphäre entsteht durch die fast schon gewaltige Musik. Mächtige Hörner und quälende Streicher entfesseln ein ständiges Gefühl der Aufregung.
Außerdem kostet Villeneuve immer wieder ganz bestimmte Momente besonders aus. Die Treffen der beiden Doppelgänger zum Beispiel. Oder, wenn die Frau des Schauspielers die Bedeutung der ganzen Situation zu erkennen glaubt. Dieser Moment der Erkenntnis ist unglaublich eindrucksvoll und verliert seine Wirksamkeit auch nicht dadurch, dass dem Publikum diese Erkenntnis bis zum Ende des Films verwehrt bleibt. Ist dies die Geschichte getrennter Zwillinge? Ist es Zufall? Ist es Schicksal? Der Film liefert keine Erklärung, sondern packt lieber noch ein skurriles Abschlussbild auf das Ende.

„Enemy“ ist großartige Unterhaltung. Schauspieler, Musik und Inszenierung ergeben einen stilvollen, spannenden und eigenwilligen Thriller, der im Gedächtnis bleibt. Hitchcock wäre vielleicht stolz darauf gewesen.

Enemy (Can, Esp, 2013): R.: Denis Villeneuve; D.: Jake Gyllenhaal, Melanie Laurent, Isabella Rosselini, u.a.; M.: Danny Bensi

Bundesstart: 15. Mai 2014

Montag, 17. Februar 2014

What Is Left?

Ich habe auf der 64. Berlinale viele Filme verpasst, andere jedoch nicht verpasst. In den kommenden Tagen geht es hier um die Filme, die ich in diesem Jahr auf der und um die Berlinale sehen konnte. Den Auftakt macht ein Dokumentarfilm.

Wie zufrieden sind wir mit unserer Regierung? Kaum jemand, den man fragt, wird absolut nichts daran auszusetzen haben. Steuern zu hoch, Löhne zu niedrig, zu wenig Arbeitsplätze, zu wenig Fachpersonal. Wenn uns – also dem Volk – die Regierung nicht passt, können wir sie durch Wahlen umbesetzen und dann hoffen, die neue Regierung ändert etwas an den Dingen, die uns nicht gefallen. In der Theorie klingt das relativ einfach, in der Praxis läuft das alles etwas komplizierter. Politiker stellen Programme auf, und sprechen Versprechen aus, die sie, falls sie gewählt werden, dann umgehend in die Tat umsetzen werden. Wenn die Politiker das nicht tun, werden sie bei der nächsten Wahl dann entsprechend weniger Stimmen erhalten.
Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass genau das nicht funktioniert und so passiert es, dass Politiker trotz ständiger und unverhohlener Inkompetenz über viele Jahre an der Macht bleiben. Zum Beispiel Silvio Berlusconi.

Italien vor kurzer Zeit: Neuwahlen stehen an und es hat den Anschein, es könnte dem amtierenden Präsidenten diesmal an den Kragen gehen. Doch die Alternativen sind rar. Außerdem ist das Volk unsicher, was es überhaupt noch wählen soll. Die alte Aufteilung von Links und Rechts funktioniert in einem modernen Europa nicht mehr. Darf man als Linker eine Putzfrau beschäftigen oder eine Kreditkarte benutzen? Diesen und anderen Fragen gehen die Regisseure Gustav Hofer und Luca Ragazzi nach. Sie thematisieren ihre Unsicherheit und Ratlosigkeit, um ein unerwartetes Bild des politischen Italiens dar zu zeichnen, welches letztendlich nicht nur die Situation in einem Land zeigt, sondern stellvertretend als Stimmungsbild in ganz Europa erscheint. Neben der Unsicherheit stehen aber auch die Methoden der Politiker im Mittelpunkt. So geschieht es also, dass das ganze Land einen neuen Präsidenten fordert, die ganzen Kandidaten, die in Frage kämen auf den Plan treten und niemand weiß, was man mit diesen Kandidaten anfangen soll. Die Rechten darf man nicht wählen, schließlich will man den alten Präsidenten ja los werden. Die Linken sind allesamt unmotiviert und gesichtslos. Keiner traut ihnen zu, wirklich in der Lage zu sein, das Ruder um zu werfen. Wen gibt es also noch? Ein bekannter Komiker und Kabarettist gründet seine eigene Partei und schlägt vor, die Politiker allesamt nach Hause zu schicken und das Volk lieber direkt regieren zu lassen. Die Wähler – hungrig und lechzend nach Alternativen – nehmen den Mann vielleicht ein bisschen zu ernst und wählen ihn. Diejenigen, die politisch, verantwortungsbewusst wählen möchten, können den Komiker nicht wählen, denn er meint es ja eigentlich nicht ernst. Unterdessen kündigen alle Fraktionen an, sich keinesfalls auf eine Koalition mit der Witzpartei einzulassen. Es kommt der Wahlabend und es kommt, wie es kommen muss. Der Komiker gewinnt die meisten Stimmen, die Linken verlieren und eigentlich ist klar, das Berlusconi auch nicht an der Macht bleiben wird. So bildet sich eine Koalition, die den Komiker auslässt, einen neuen Präsidenten stellt, der aber nach kurzer Zeit schon wieder zurücktritt, nur um von einem Präsidenten ersetzt zu werden, der letztendlich nur die Marionette des ganz alten Präsidenten ist. Der ganze Zirkus also nur, um letztendlich den alten immer noch auf dem Thron sitzen zu haben.

Habe ich das alles richtig verstanden? Ehrlich gesagt, weiß ich das nach Genuss dieses Filmes nicht so genau und auch der Film selbst – beziehungsweise die Off-Stimme – hegt ernste Zweifel, ob das Publikum auch nur im entferntesten verstanden hat, oder nicht noch verwirrter ist, als vor Genuss dieses Filmes. Die beiden Regisseure gehen das Thema sehr locker an und durchsetzen den Inhalt ständig mit satirischen Einwürfen. Obwohl der Film letztendlich kein echtes Mehrwissen vermittelt, bekommt man durch die Interviews, Einspieler und Bilder ein ziemlich gutes Stimmungsbild und denkt sich: „Ich verstehe zwar
nichts von Politik, merke aber, wie es in Italien läuft“. Der unterhaltsame Ton des Films bringt einen aber dazu, zu glauben, in Italien sei alles total verrückt und bei uns ist alles super. Das der Film die italienische Politik nur stellvertretend für Europäische Politik darstellt und im Grunde zeigt, wie es überall längst ist, erkennt man erst, wenn man den Kinosaal verlässt und sich gerade kopfschüttelnd über die verrückten Italiener amüsieren will. In dem Moment fällt mir der Ausgang unserer letzten Wahlen ein. Möglicherweise hatte es nicht ganz so groteske Ausmaße, wie in Italien, aber das wird schon noch kommen.

„What is Left“ ist politische Satire in Reinform. Auf der suche nach der anfänglichen Frage – nämlich, was es heißt, links zu sein – zeichnet er ein treffendes Zeitbild des politischen Italiens und zwinkert dabei so kräftig mit den Augen, dass die Intention nach der Beantwortung der titelgebenden Frage am Ende einfach weg gewischt wird. Unterhaltsam – und die Jahre werden zeigen, ob der Film nicht sogar eine prophetische Ader hatte.

What Is Left? (I, 2013): R.: Luca Ragazzi & Gustav Hofer

Bundesstart: 12. Juni 2014