Montag, 17. Februar 2014

What Is Left?

Ich habe auf der 64. Berlinale viele Filme verpasst, andere jedoch nicht verpasst. In den kommenden Tagen geht es hier um die Filme, die ich in diesem Jahr auf der und um die Berlinale sehen konnte. Den Auftakt macht ein Dokumentarfilm.

Wie zufrieden sind wir mit unserer Regierung? Kaum jemand, den man fragt, wird absolut nichts daran auszusetzen haben. Steuern zu hoch, Löhne zu niedrig, zu wenig Arbeitsplätze, zu wenig Fachpersonal. Wenn uns – also dem Volk – die Regierung nicht passt, können wir sie durch Wahlen umbesetzen und dann hoffen, die neue Regierung ändert etwas an den Dingen, die uns nicht gefallen. In der Theorie klingt das relativ einfach, in der Praxis läuft das alles etwas komplizierter. Politiker stellen Programme auf, und sprechen Versprechen aus, die sie, falls sie gewählt werden, dann umgehend in die Tat umsetzen werden. Wenn die Politiker das nicht tun, werden sie bei der nächsten Wahl dann entsprechend weniger Stimmen erhalten.
Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass genau das nicht funktioniert und so passiert es, dass Politiker trotz ständiger und unverhohlener Inkompetenz über viele Jahre an der Macht bleiben. Zum Beispiel Silvio Berlusconi.

Italien vor kurzer Zeit: Neuwahlen stehen an und es hat den Anschein, es könnte dem amtierenden Präsidenten diesmal an den Kragen gehen. Doch die Alternativen sind rar. Außerdem ist das Volk unsicher, was es überhaupt noch wählen soll. Die alte Aufteilung von Links und Rechts funktioniert in einem modernen Europa nicht mehr. Darf man als Linker eine Putzfrau beschäftigen oder eine Kreditkarte benutzen? Diesen und anderen Fragen gehen die Regisseure Gustav Hofer und Luca Ragazzi nach. Sie thematisieren ihre Unsicherheit und Ratlosigkeit, um ein unerwartetes Bild des politischen Italiens dar zu zeichnen, welches letztendlich nicht nur die Situation in einem Land zeigt, sondern stellvertretend als Stimmungsbild in ganz Europa erscheint. Neben der Unsicherheit stehen aber auch die Methoden der Politiker im Mittelpunkt. So geschieht es also, dass das ganze Land einen neuen Präsidenten fordert, die ganzen Kandidaten, die in Frage kämen auf den Plan treten und niemand weiß, was man mit diesen Kandidaten anfangen soll. Die Rechten darf man nicht wählen, schließlich will man den alten Präsidenten ja los werden. Die Linken sind allesamt unmotiviert und gesichtslos. Keiner traut ihnen zu, wirklich in der Lage zu sein, das Ruder um zu werfen. Wen gibt es also noch? Ein bekannter Komiker und Kabarettist gründet seine eigene Partei und schlägt vor, die Politiker allesamt nach Hause zu schicken und das Volk lieber direkt regieren zu lassen. Die Wähler – hungrig und lechzend nach Alternativen – nehmen den Mann vielleicht ein bisschen zu ernst und wählen ihn. Diejenigen, die politisch, verantwortungsbewusst wählen möchten, können den Komiker nicht wählen, denn er meint es ja eigentlich nicht ernst. Unterdessen kündigen alle Fraktionen an, sich keinesfalls auf eine Koalition mit der Witzpartei einzulassen. Es kommt der Wahlabend und es kommt, wie es kommen muss. Der Komiker gewinnt die meisten Stimmen, die Linken verlieren und eigentlich ist klar, das Berlusconi auch nicht an der Macht bleiben wird. So bildet sich eine Koalition, die den Komiker auslässt, einen neuen Präsidenten stellt, der aber nach kurzer Zeit schon wieder zurücktritt, nur um von einem Präsidenten ersetzt zu werden, der letztendlich nur die Marionette des ganz alten Präsidenten ist. Der ganze Zirkus also nur, um letztendlich den alten immer noch auf dem Thron sitzen zu haben.

Habe ich das alles richtig verstanden? Ehrlich gesagt, weiß ich das nach Genuss dieses Filmes nicht so genau und auch der Film selbst – beziehungsweise die Off-Stimme – hegt ernste Zweifel, ob das Publikum auch nur im entferntesten verstanden hat, oder nicht noch verwirrter ist, als vor Genuss dieses Filmes. Die beiden Regisseure gehen das Thema sehr locker an und durchsetzen den Inhalt ständig mit satirischen Einwürfen. Obwohl der Film letztendlich kein echtes Mehrwissen vermittelt, bekommt man durch die Interviews, Einspieler und Bilder ein ziemlich gutes Stimmungsbild und denkt sich: „Ich verstehe zwar
nichts von Politik, merke aber, wie es in Italien läuft“. Der unterhaltsame Ton des Films bringt einen aber dazu, zu glauben, in Italien sei alles total verrückt und bei uns ist alles super. Das der Film die italienische Politik nur stellvertretend für Europäische Politik darstellt und im Grunde zeigt, wie es überall längst ist, erkennt man erst, wenn man den Kinosaal verlässt und sich gerade kopfschüttelnd über die verrückten Italiener amüsieren will. In dem Moment fällt mir der Ausgang unserer letzten Wahlen ein. Möglicherweise hatte es nicht ganz so groteske Ausmaße, wie in Italien, aber das wird schon noch kommen.

„What is Left“ ist politische Satire in Reinform. Auf der suche nach der anfänglichen Frage – nämlich, was es heißt, links zu sein – zeichnet er ein treffendes Zeitbild des politischen Italiens und zwinkert dabei so kräftig mit den Augen, dass die Intention nach der Beantwortung der titelgebenden Frage am Ende einfach weg gewischt wird. Unterhaltsam – und die Jahre werden zeigen, ob der Film nicht sogar eine prophetische Ader hatte.

What Is Left? (I, 2013): R.: Luca Ragazzi & Gustav Hofer

Bundesstart: 12. Juni 2014

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