Donnerstag, 12. Dezember 2013

Der Hobbit - Smaugs Einöde

Hört man den Namen Peter Jackson, denken die meisten wohl als erstes an „Der Herr der Ringe“. Manche denken vielleicht auch an sein filmisches Frühwerk – den Splatterbomben „Bad Taste“ und „Braindead“. Die wenigsten dürften an „The Frighteners“ denken, oder das missglückte „In meinem Himmel“. Anderen – eher realistisch verankerten – fällt möglicherweise als erstes Neuseeland ein. Welche Assoziationen man beim Klang dieses Namens auch haben mag: Ich denke als erstes „Noch ein Jahr warten!“

Bilbo Beutlin und seine neuen Zwergenfreunde haben es mit Mühe und Not geschafft und sind den Wargreitern am Fuße des Nebelgebirges entkommen. Mit Hilfe der Riesenadler, die Gandalf rufen konnte, wurden sie weit in die Ebene hinaus geragen und sind ihrem Ziel, dem einsamen Berg ein wenig näher gekommen. Hier nun geht es weiter gen Norden und das nächste große Hindernis ist Düsterwald. Dieser Wald ist nicht unendlich groß, es lauern auch zahlreiche Gefahren im Dickicht. Ohne die Hilfe des Hautwandlers Beorn, würde die Gruppe nicht weit kommen. Zu allem Überfluss wird Gandalf noch in den Westen gerufen. Hier rührt sich ein unbekanntes Grauen, welches es zu erkunden gilt. Ganz hilflos ist die Gruppe aber nicht. Bilbo hat schließlich den geheimnisvollen Ring in den Stollen des Gebirges gefunden. Von diesem Ring wissen die Zwerge allerdings noch gar nichts.
Trotz all der Gefahren, die sie durchlaufen müssen, wartet die größte Herausforderungen am Ende des langen Weges. Der Drache Smaug, der seinerzeit die Zwerge aus ihren Hallen unter dem Berg verjagt hat und seitdem den sagenumwobenen Schatz hütet. Zwar hat man das Ungetüm seit vielen Jahren weder gesehen noch gehört, doch kann man sicher sein, dass sein Schlaf nicht tief sein wird.

Weiter geht das große Abenteuer um den kleinen Hobbit. Peter Jackson hat sich nicht nur Begeisterung zugezogen, als er seine Absicht verkündete, auch aus dieser Tolkienvorlage eine großangelegte Trilogie zu machen. Auch nach „Eine unerwartete Reise“ waren nicht alle Zweifel beseitigt. Zu langatmig und zu detailliert waren für viele die Szenen aus dem eigentlichen Roman; zu losgelöst und gezwungen wirkten die zusätzlichen Erzählstränge. Nicht wenige hatten das Gefühl, dass Jackson nur auf Zeit spielte und nichts an seiner Adaption einen derartigen Umfang rechtfertigen wprde. Wie schon vor zehn Jahren in der ursprünglichen Herr-der-Ringe-Trilogie, nimmt auch hier im zweiten Teil, alles konkrete Formen an und lässt erahnen, dass Jacksons Erzählkonzept auch ein zweites Mal aufgehen wird, wenn die Trilogie erst einmal komplett ist.
Entgegen den Erwartungen steigert Jackson zunächst das Tempo. Innerhalb der ersten dreiviertel Stunde sind zwei prägende Elemente der Haupthandlung abgefrühstückt. Der Düsterwald fällt angenehm kurz aus, war diese Passage im Buch besonders zäh, um zu symbolisieren, wie groß dieser Wald wirklich ist. Die Konfrontation mit den Spinnen ist ebenso dynamisch gelöst. Der Umstand, dass die Monster sprechen, wurde sehr elegant mit den Fähigkeiten und Eigenschaften des Ringes verknüpft. Die Begegnung mit den strengen und manchmal unberechenbaren Waldelben bricht ebenfalls nicht den Rahmen und überhaupt galoppiert der Film gut die erste Hälfte regelrecht durch die Story. Parallel erfährt man, was Gandalf eigentlich treibt, nachdem er die Gruppe am Waldrand sich selbst überlässt. Dadurch sind die zusätzlichen Handlungsstränge sinnvoll in die Haupthandlung eingeflochten. Auch die neuen Charaktere Tanriel und Legolas wirken – trotz ihrer etwas zu bemühten aufkeimenden Liebesbeziehung – sehr überzeugend.
Und dann ändert sich der Stil des Filmes und den großen Rest der Laufzeit widmet Jackson voll und ganz Smaug, dem Großen. Smaug ist ein Ungeheuer unglaublichen Ausmaßes. Aber er ist kein stumpfes Monster. Smaug ist hochintelligent und bösartig und Smaug spricht. Im Original vernimmt man die tiefe und donnernde Stimme Benedict Cumberbatchs; hierzulande lauscht man der nicht minder donnernden Stimme seines Synchronsprechers Sascha Rotermund. Der vielschichtige Dialog zwischen Bilbo und Smaug, in dem beide jeweils den anderen auszuspielen versuchen und Schritt für Schritt ihre Trümpfe legen und bis zum Ende nicht sicher sein können, ob der andere nicht schön längst gewonnen hat, war im Buch immer meine Lieblingsszene. Ähnlich, wie im Rätselspiel mit Gollum im ersten Teil, geht es hier um Worte, die benutzt werden können, mit denen aber ungleich mehr gesagt werden kann. Dabei spielen körperliche Unterschiede der Kontrhenten für eine gewisse Zeit keine Rolle. Jackson kann in dieser Szene allerdings nicht ganz an sich halten. Zu stolz scheint er auf die Leistung der Tricktechniker zu sein, die einen wahrlich beeindruckenden Drachen auf die Leinwand zaubern. Zu kurz kommt der psychologische Aspekt und zu schnell geht die brachiale Action los. Dafür gelingt es Jackson einmal mehr, die Dynamik des Buches zu ändern und einen stimmigen und nachvollziehbaren Punkt für das Ende des zweiten Teils zu finden. So, wie Jackson es verwebt, kann man die Geschichte nur so erzählen und nicht anders und nun ist auch völlig klar, warum es drei Filme braucht.
Wie schon in der ersten Trilogie, bin ich auch diesmal vom zweiten Teil nahezu restlos begeistert. Der Flow stimmt, die Charaktere entwickeln sich sinnvoll weiter, die Bilder und das ganze kleine und detailverliebte Zeugs sind einmal mehr atemberaubend und der Drache sieht wirklich unfassbar gut aus. Peter Jackson hat die Kurve gekriegt und einen durchweg spannenden Abenteuerfilm geschaffen, selbst für jene, die das Buch in und auswendig kennen.

„Smaugs Einöde“ ist obendrein düsterer und lässt seelische Abgründe im Geist all unserer strahlenden Helden erahnen, die sich im finalen Teil „Hin und wieder zurück“ wohl vollends zu ihren dramatischen und auch tragischen Ausmaßen entfalten werden. Alles gut, also in Mittelerde. Wäre da nicht schon wieder diese elende Wartezeit . Noch einmal ein Jahr warten.

The Hobbit – The Desolation of Smaug (USA, NZL, 2013): R.: Peter Jackson; D.: Martin Freeman, Ian McKellen, Benedict Cumberbatch, u.a.; M.: Howard Shore; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus (2D), CineStar(HFR 3D)

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Montag, 9. Dezember 2013

Jung & Schön

Francois Ozon ist ein Regisseur, der stets die Gemüter spaltet. Das liegt daran, dass er seit jeher mit Konventionen bricht. Jeher heißt im Übrigen noch gar nicht so viel. Mir hat sich immer der Eindruck geboten, Ozon sei einer dieser klassischen französischen Regisseure, die seit zig Jahren versuchen, die Novelle Vague aufrecht zu erhalten und sich einfach und konsequent jeder Innovation im Medium Film verweigern. Ozon selbst hat diese prägende Phase des europäischen Kinos gar nicht mitbekommen. Seinen ersten Spielfilm lieferte Ozon 1997 ab. „Besuch am Meer“ fiel schon damals auf, denn vor allem Ende der 90er erhielt das französische Kino mit Luc Besson einen wahnwitzigen Drive, der den Tugenden der großen Regisseure im Sturm davon lief.
„Besuch am Meer“ erhielt 12 Jahre später eine Fortsetzung und nach „Rückkehr ans Meer“, soll es noch einen abschließenden dritten Teil geben. Ozon schwor also in einer Phase, in der sich das Kino seines Heimatlandes in einer Art Aufbruchstimmung befand, auf seine ganz eigenen Vorlieben und etablierte eine Filmreihe, der er vollkommen und erbarmungslos das Tempo nahm, welches im Umkehrschluss direkt in Bessons Filme zu rauschen schien. Unterschiedlicher konnten Regisseure und ihre Filme zur selben Zeit wohl kaum sein. Beide Filmemacher sollten im Zuge ihrer Karriere einige Veränderungen durchlaufen. Ozon legte nach: Beachtung erhielten sein Quasiremake des Krimi-Thrillers „Swimming Pool“ und das ultimative Treffen der buchstäblichen Grand-Dames in „8 Frauen“.
In den letzten Jahren gelang Ozon mit „Das Schmuckstück“ ein weltweit erfolgreicher Film, der trotz seines konsequenten Bruchs mit Konventionen besonders viele Menschen ins Kino lockte.
Was seinen besonderen Stil ausmacht, und wodurch er entsteht, habe ich allerdings erst jetzt erkannt, nachdem ich seinen neuesten Film „Jung und Schön“ gesehen habe.

Isabelle ist gerade 17 Jahre alt geworden. Ihre Familie verbringt den Urlaub an einem wunderschönen Strand, denn das Leben meint es gut mit ihr. In Zeiten von Jobmangel und Finanzkrise fehlt es Isabelle an nichts und – mehr noch – sie bekommt alles, was sie will. Während des Urlaubs bandelt sie mit einem deutschen Touristen an. Was zunächst aussieht, wie eine erste zarte Liebe, entpuppt sich allerdings schnell, als das Sammeln erster, echter sexueller Erfahrungen. Bevor also mehr aus dem ersten Mal am Strand werden kann, ist der Urlaub schon wieder vorbei. Wieder zu Hause, beginnt Isabelle mit ihrem Leben zu hadern und bricht einfach aus den Grenzen ihrer Existenz aus. Sie beginnt, als Prostituierte zu arbeiten. Schnell merkt sie, dass ein Mädchen, welches so ungewöhnlich jung und schön ist, wie sie, sehr viel Geld für die entsprechenden Dienste verlangen kann. Nach anfänglicher Scheu häufen sich die Aufträge und innerhalb kürzester Zeit hat Isabelle eine beeindruckende Summe erwirtschaftet. Eines Tages wird die Polizei auf Isabelle aufmerksam und informiert ihre Mutter.

Bevor man diesen Film sieht, erkundigt man sich natürlich, worum es geht. Francois Ozon hat sich ein Thema heraus gesucht, das unangenehm ist, weil es mit gesellschaftlichen Werten und Tabus bricht. In unserer Gesellschaft hat sich ein festes Bild über minderjährige Prostituierte etabliert. Gepaart mit Menschenhandel und organisierten Verbrechen, sind wir uns dieses Problems bewusst, kapitulieren aber vor der Machtlosigkeit. Solche Dinge liegen im Schatten und wir leben im Licht. Mit diesem Klischee hat „Jung und Schön“ aber nichts zu tun. Isabelle entscheidet sich freiwillig und absolut bewusst für diese Tätigkeit. Teenager sind irgendwann in einem Alter, in dem sie etwas Neues probieren, rebellieren wollen. In den meisten Fällen äußert sich das allerdings anders. Die meisten Kids gehen heimlich auf Partys, saufen sich ins Koma, nehmen Drogen und verüben Ladendiebstähle, klauen das Auto des Vaters und tun immer genau das, was ihnen ihre Eltern verboten haben. Isabelle nun bricht aus ihrem wohl behüteten Leben aus, in dem sie anschaffen geht. Nicht mehr und nicht weniger. Und ebenso nüchtern stellt Ozon diese Geschichte dar. Dabei gelingt ihm das Kunststück, aus dieser Geschichte kein überkanditeltes oder kitschiges Drama werden zu lassen. Ozon entwickelt seine Figuren mit einer gewissen Oberflächlichkeit. Isabelle hat abgesehen von den Titel gebenden Eigenschaften keinerlei Charaktermerkmale, die in irgendeiner Weise ins Gewicht fallen würden. Diese Figur hat keine Skrupel das zu tun, was sie tut. Sie hat kein schlechtes Gewissen und ihr Handeln hat nahezu keinerlei Konsequenzen für sie; es gibt nichts, was sie aus diesen Ereignissen lernen kann. Ob man als Zuschauer etwas mit diesem Stil anfangen kann, oder nicht, spielt keine Rolle. Ozon schert sich nicht darum, wie ein anderer Regisseur diese Geschichte inszeniert hätte. Er erzählt die Geschichte, wie es ihm passt. Man könnte ihm eine fachliche oder gar kreative Unbedarftheit beim Entwickeln seiner Figuren vorwerfen, hätte er sich nicht ganz bewusst für diese blassen Charaktereigenschaften entschieden. Das ist Ozons Stil, den er sich über viele Jahre hinweg erarbeitet hat. In einem Thriller, wie „In ihrem Haus“ kann dieser Stil den ganzen Film vor die Wand setzen. Bei einem vielschichtigen Thriller, der sich erst im allerletzten Moment aufdröselt und entsprechend verzwickt und komplex konstruiert sein muss, funktioniert dieser reduzierte Stil einfach nicht. Bei einem Film über Dinge, die echt sind und in unserem Leben täglich passieren, entfaltet sich dieser Stil nahezu perfekt.

„Jung und Schön“ ist krass. Der Film konfrontiert den Zuschauer mit einer Situation, mit der man im alltäglichen Leben einfach nicht konfrontiert werden will. Im Kino sieht man aber nun mal nicht nur alltägliche Dinge. Ozon vermag es, dieses heftige Thema auf nüchterne, fast schon lieblose Art und Weise zu adaptieren und entwickelt seinen Stil konsequent weiter. Ob man etwas mit diesem Stil anfangen kann, muss jedoch jeder für sich entscheiden. Ich sehe in diesem Film und mit dieser Geschichte allerdings die perfekte Bühne für Ozons eigenwillige Erzählweise.

Jeune & Jolie (F, 2013): R.: Francois Ozon; D.: Marine Vacth, Geraldine Pailhas, Charlotte Rampling, u.a.; M.: Philippe Rombi; OffizielleHomepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.