Montag, 25. März 2013

Hai-Alarm am Müggelsee

Es ist passiert. Nach so vielen Jahren, die ich mich jede Woche aufs Neue ins Kino begebe und mich auf alle möglichen Filme einlasse, um dann das Kunststück zu vollbringen, innerhalb weniger Tage das Gesehene für mich im Kopf zu verarbeiten, zu einem Schluss zu kommen und das Ganze in Worte zu fassen, die das auch noch so ausdrücken, dass es möglichst jeder versteht, ist es nun passiert, dass ich nicht so recht weiß, was ich über den Film sagen soll. Es gab früher schon ähnliche Situation. „Tree Of Life“ zum Beispiel war eine Herausforderung, aber irgendwie hab ich es hingekriegt. Zumindest war ich zufrieden damit. Ähnlich gekämpft habe ich damals bei „Das beste kommt zum Schluss“. Ein Film mit zwei sehr großen Hauptdarstellern, die ich zutiefst verehre. Der Film  selbst war aber irgendwie nicht so verehrenswert. „Righteous Kill“ schlug da in eine ähnliche Kerbe. Aber immer hatte ich es irgendwie geschafft, etwas sinnvolles zu produzieren. Und nun? Keine Klarheit. Mit ratlosem Blick muss ich resigniert die Schultern zucken, wenn mich die zahlreichen Fans fragen, wie der Film denn nun ist. Wer, frage ich, wer kann dafür nur verantwortlich sein? Wieso zum Geier mache ich es mir bei diesem dämlichen Film nur so unglaublich schwer? Warum macht mich „Hai-Alarm am Müggelsee“ nur so fertig?

Krempeln wir das Ganze mal von der inhaltlichen Seite auf. Wir sind am Müggelsee und es ist ein wunderschöner Tag. Der Bademeister Michael Gwisdeck stapft ins seichte Wasser und hält seine Hand hinein, um die Temperatur zu prüfen. Als er sie wieder heraus nehmen will, sprudelt ihm ein blutiger Stumpf entgegen.
„Watt'n Ditte?“ Damit bringt er die ganze Sache auf den Punkt. Was ist das? Nun ja! Aber weiter...
Das Problem mit der Hand scheint keine Misere für den Bademeister zu sein. Sehr schnell bekommt er eine neue. Wichtiger ist, wie Friedrichshagen jetzt mit der Situation umgeht. Es ist ja auch gar nicht erwiesen, ob überhaupt irgendwas im See ist, und wenn, dann ganz sicher kein Hai. Ist ja schließlich ein süßes Gewässer. Snake Müller weiß es aber besser. Der erfahrene Hai-Jäger wurde von Hawaii abgeschoben, weil seine Greencard abgelaufen ist. Er kommt mit seinem Boot zum Müggelsee und weiß sofort, wie der Hase läuft. Allerdings nimmt ihn keiner so richtig ernst. Um eine Panik zu vermeiden, entwirft man einen Drei-Stufen-Plan. Zunächst will man niemanden mehr ins Wasser lassen, allerdings ohne, zu verraten, warum. Das funktioniert nur, so lange das Freibier reicht. Dann tritt der Besitzer des Strandbades auf den Plan und droht mit Schließung des Selben, wenn nicht sofort jemand ins Wasser geht. Das wäre vom touristischen Standpunkt aus gesehen eine Katastrophe für den Ort. Punkt zwei sieht dann vor, so zu tun, als wäre nichts passiert. Eine ziemlich riskante Herangehensweise. Schließlich ist ja der Hai im Wasser. Auch das funktioniert natürlich nicht besonders gut. Der dritte und rabiateste Schritt ist die Ausrufung des Hai-Alarm. Der wird allerdings für einen Touristengag gehalten und irgendwann ist es den Menschen von Friedrichshagen zu blöd. Sie gehen auf die Barrikaden und demonstrieren. Dem Bürgermeister läuft die Zeit davon. Er engagiert Snake Müller, den Hai zu töten. Der hat allerdings eine ganz besonders emotionale Bindung zu dem Untier.


Klingt das nicht toll? Ich meine, die Story ist ja nun wirklich nicht besonders originell, aber würde Stephen Spielberg so einen Film machen, würde das bestimmt ein absoluter Kracher werden. So klingt es schon irgendwie albern. Snake Müller am Müggelsee? Bei Spielberg würde es klappen. Spannung, atemberaubende Kamerafahrten und ein unglaublich beeindruckendes Monster. Das würde funktionieren. Und wisst ihr warum? Weil Spielberg die Sache ernst nimmt. Er kann die beklopptesten Geschichten überzeugend verfilmen, weil er die Sache ernst nimmt. Und das tun Haußmann und Regener nicht. Nüscht! Deshalb kann man auch nichts Plausibles in den Film hinein interpretieren, weil man ja davon ausgehen muss, man wird nur veräppelt. Was höre ich da? Der Film hätte voll viel krasse Gesellschaftskritik? Welche Gesellschaft denn? Die von Frtiedrichshagen, oder was? Der Film zeichnet ein knallhartes Bild unserer Kultur von totorganisierten Großbauprojekten und Wutbürgern. Ha! Ich weiß nicht genau, wofür die Bürger am Müggelsee demonstrieren. Ich glaube, sie wollen einfach nur wieder ins Wasser. Oder wenigstens Freibier. Oder Günther Jauch! Oder Ficken?
Was? Der Film transportiert herrliche Insidergags aus der Welt des Films und der deutschen Theaterlandschaft? Ja, toll! Das liegt daran, dass ein Haufen Filmschauspieler dabei sind, die schon vor 40 Jahren Legenden gewesen sind. Außerdem hat Leander Haußmann ein paar Theater-Menschen an einen Tisch gesetzt, die in einer griechischen Kneipe den Verlauf der Geschichte kommentieren. Das Problem ist nur, die kennt keiner so richtig. Und hier auf Radio Lotte schon gar nicht, denn es gibt ja keine laufende Theatersendung.  Oha! Jetzt geht’s ach bei mir los. Ich sollte wohl doch einmal zu einem Schluss kommen.
Also! Was soll ich über einen Film schreiben, der mir inhaltlich alles und nichts gibt? Soll ich die handwerkliche Seite bewerten? Mal sehen. Gute Dialoge? Gibt es nicht! Überzeugende Darstellungen von großartigen Schauspielern? Hmm. Kann man so irgendwie nicht sagen. Technisch verblüffende Details? Nein, Verdammt! Man sieht den blöden Hai nicht ein einziges Mal. Das ist natürlich mit Absicht so übertrieben schlecht gemacht und die Dialoge so bekloppt hölzern runter gerattert, dass man das unmöglich ernst nehmen kann.
Die Musik hat mir – obwohl ich absolut kein Fan von Element Of Crime bin  - ganz gut gefallen. Zumindest hat sie gepasst.

„Hai- Alarm am Müggelsee“ ist ein Film, der sich selbst und alle anderen nicht ernst nimmt. Das ist der ganze Trick. Man kann keine kosmischen Bedeutungen hinein interpretieren, weil schlicht keine da sind. Aber ein Stück weit sind sie vielleicht doch da. Nur nicht da, wo sie ganz offensichtlich zu sein scheinen. Man sollte diesen Film aber unbedingt sehen, denn meiner Ansicht nach, etabliert der sogar so etwas, wie eine neue Filmgattung. Es ist die Symbiose aus Unterhaltung und Kunst, die so irgendwie noch nie richtig funktioniert hat. Ich glaube, jeder kommt da irgendwie auf seine Kosten. Ich habe für mich übrigens gemerkt, dass der Film am besten dann funktioniert, wenn ich ihn als das betrachte, was er letztendlich auch ist: Das beste „Der weiße Hai“-Remake aller Zeiten!

Hai-Alarm am Müggelsee (D, 2013) R.: Leander Haußmann; D.: Henry Hübchen, Detlev Buck, Michael Gwisdeck, u.a.; M.: Sven Regener; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 auf Radio Lotte Weimar.

Freitag, 22. März 2013

Hitchcock

Biopics funktionieren immer. Ganz gleich, um welche Person es sich handelt, deren Leben da verfilmt wird. Meistens geht es um unnahbare oder historische Figuren; Menschen, denen man normalerweise einfach nie begegnet, um sie zu fragen, wie ihr Leben so ist. Der Zuschauer ist also neugierig und erhofft sich, tiefe Einblicke in die Seele dieser ominösen Person. Besonders neugierig ist man bei Personen, die irgendwie geheimnisvoll daher kommen. Alfred Hitchcock zum Beispiel ist als „Meister des Suspense“ einer der berühmtesten Filmregisseure der Welt gewesen. Eine Biographie über ihn gewährt nicht nur Einblicke in seinen Geist, sondern auch Einblicke in die Welt des Films. Das funktioniert also doppelt so gut, wie andere Biopics. So hofft man zumindest.

1959, Hollywood. An diesem Abend feiert der neue Film von Alfred Hitchcock seine Premiere. Die Menschen überschlagen sich mit Lob und man ist sich einig, „Der unsichtbare Dritte“ ist Hitch's erfolgreichster und bester Film. Der Meister lässt sich feiern und ruht sich dann eine Woche aus. Doch dann kommt bereits die Unruhe. Er muss weiter machen. So begibt er sich auf die Suche nach einer neuen Idee. Zahlreiche Angebote von großen Studios muss er ablehnen, weil sie ihn schlicht nicht interessieren. Der Fall des Serienkillers Ed Gein beschäftigt derzeit die Medien und auch Hitch ist vollkommen fasziniert von diesem Mann. Er will einen Film über dieses Thema machen, denn ihn interessieren die Motive und das Denken des Killers und dessen unerklärliche Affinität zu seiner Mutter. Zufällig gerät ein Exemplar des neuen Romans „Psycho“ in seine Hände, der genau diese Fragen beantwortet. Hitchcock ist sich sicher, das muss sein nächster Film werden. Die Studiochefs sind nicht so begeistert. Paramount hält es für geschmacklos und ist sich sicher, dass so einen Film niemand sehen will. Auch, wenn Hitchcock ein absoluter Meister seines Fachs ist, ist er nicht immer ein Garant für kommerziellen Erfolg gewesen. Zu schmerzich sitzt noch die Erinnerung an den gefloppten „Vertigo“.
Hitch ist aber wild entschlossen und finanziert den Film kurzerhand selbst. Doch bevor es losgehen kann, muss die Zensurbehörde das Siegel erteilen und noch mehr Schwierigkeiten stehen Hitch bevor. Schnell wird allen Beteiligten klar, dass „Psycho“ in jeder Hinsicht sein gewagtester Fiml werden wird.

Biopics müssen sich entscheiden, was sie sein wollen. Wollen sie ein eigenes Kunstwerk sein, oder die Geschichte eines Menschen so erzählen, wie sie geschehen ist? Mit etwas Kreativität und Witz könnte man aus „Hithcock“ einen spannenden Thriller ganz im Sinne des Meisters höchstpersönlich kreieren. Man könnte mit Einstellungen und Musik und Schatten spielen und aus der Biographie ein kleines Meisterwerk machen. Oder man hält sich an die Konventionen des Genres und erzählt die Geschichte abseits der Filmkulissen. „Hitchcock“ hat sich für letzteres entschieden und macht dabei eine sehr solide Figur. Sehr sachlich und geradezu nüchtern erzählt der Film die Produktionsgeschichte von „Psycho“ und suggeriert vor allem ein Bild: Auch Hitchcock kocht nur mit Wasser.
Interessant ist hier vor allem die Beziehung Hitchcocks zu seiner Frau Alma Reville, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Arbeit ihres Mannes auszuüben schien. Auch seine Obsession gegenüber seinen weiblichen Hauptdarstellern wird thematisiert, allerdings ohne die Oberfläche zu durchbrechen. Sehr gelungen ist die Auswahl der Darsteller.
Anthony Hopkins trägt zwar jede Menge Make-Up, schafft es aber, die Figur zu füllen und gleichzeitig seinen eigenen Charme mit einfließen zu lassen. Besonders gut gefallen hat mir Scarlett Johansson, die übrigens nicht nackt zu sehen ist, dafür aber um so überzeugender die blonde Newcomerin spielt, die bisher nur überaus brave Rollen verkörperte und nun in einem waschechten Horrorfilm das Opfer des beängstigensten Duschmordes der Filmgeschichte wird. Ihr reduziertes Spiel macht diese Figur sehr glaubhaft. Die Szene, in der man sieht, wie der Mord gedreht wurde, zeigt sehr anschaulich, wie es zu dieser Intensität kommen konnte und ist einer der Höhepunkte von „Hitchcock“.

„Hitchcock“ ist kein großer Film, der den Horizont erweitert, oder eben einen Thriller aus der Biographie eines Mannes macht, der nur mit Morden beschäftigt ist. Allerdings schafft er es, ohne die Illusion zu zerstören, zu zeigen, wie Filme gemacht wurden und wie viel mehr dazu gehört, als nur die Kamera drauf zu halten. Vor allem vermag der Film das Verlangen und die Lust zu steigern, sich nicht nur mal wieder „Psycho“ anzusehen, sondern endlich mal all die Hitchcockfilme nachzuholen, die man bisher noch nicht gesehen hat. Dort findet man dann übrigens auch die tiefen Einblicke in den Geist und die Seele von Alfred Hitchcock.

Hitchcock (USA, 2012): R.: Sacha Gervasi; D.: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, u.a.; M.: Danny Elfman; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Montag, 11. März 2013

Mal wieder gesehen - Psycho

Einer der vielen Gründe, weshalb Romanverfilmungen damals noch besser funktioniert haben, waren sicherlich die weniger ausgebauten Kommunikationswege. Wenn es heute ein bedeutendes Buch gibt, so ist die erste Information, die man darüber hört, meistens, dass es sich um einen Bestseller handelt. Wie kann das sein? Ich jedenfalls habe von den meisten Bestsellern der letzten Jahre erst gehört, nachdem es sich offensichtlich schon tausendfach verkauft hat. Manche Bücher kannte ich schon vorher und jeden, den ich gefragt habe, ob er dieses oder jenes Buch auch so klasse fand, musste diese Frage verneinen, weil er das Buch noch gar nicht gelesen hatte. Und wie durch Zauberhand wurden solche Bücher plötzlich zu Bestsellern, sobald jemand Interesse bekundet hat, sie zu verfilmen. Derartige Bestsellerverfilmungen haben für niemanden einen rechten Reiz. Wer das Buch schon kennt, muss damit rechnen, dass er enttäuscht wird, weil natürlich alles ganz anders aussieht, als man es sich vorgestellt hat. Wer das Buch nicht gelesen hat, läuft Gefahr, sich zu langweilen, denn bei Bestsellern traut sich der Regisseur nicht, etwas innovatives, oder kreatives zu tun. Schließlich hängt sehr viel Geld an der ganzen Kiste. Also bleibt all der Erfindergeist gleich zu Hause, denn man will es sich ja nicht den treuen Fans der Buchvorlage verscherzen. Bestenfalls sucht sich der Filmemacher also einen Roman aus, den keiner kennt. Alfred Hitchcock zum Beispiel hat „Psycho“ gelesen und wusste sofort zwei Dinge. Erstens musste er dieses Buch verfilmen und zweitens musste er alle Exemplare aufkaufen, damit so wenig Menschen, wie möglich das Ende kannten.

Das Leben in der modernen Welt ist nicht einfach. Emanzipierte Frauen, wie die hübsche Marion Crane, haben es nicht leicht. Sie werden in Rollen gepresst, die sie nicht zu spielen vermögen, geschweige denn, spielen möchten. Sie leben allein, denn in den 60er Jahren herrscht Männermangel. Sie müssen sich einer berauschenden aber unziemlichen Affäre hingeben, damit sie hin und wieder überhaupt etwas fühlen. Sie müssen sich den Avancen reicher, alter Männer erwehren. Wenn die Frauen nicht auf so etwas eingehen, sind sie sofort zickig, oder gar verdreht. Nicht Gesellschaftskonform, wenn man so will. Wenn so ein alter Cowboy daherkommt, mit einem Haufen Geld unterm Arm und dann auch noch Wörter benutzt, wie „Puppe“, oder „Mädel“. Dann darf man sich freilich nicht wundern, wenn das „Mädel“, welches aber eigentlich eine emanzipierte Frau sein will, einfach mit dem Geld abhaut. Sie denkt nämlich, sie kann mit dem Geld eine Zukunft mit ihrem Liebsten kaufen. An alles hat sie gedacht; der Plan ist perfekt. Sie wechselt unterwegs das Fahrzeug, um nicht verfolgt zu werden. Sie hat keine Scheu, ihre Rolle als angepasste, schwache Frau zu spielen, wenn sie einem Streifenpolizisten begegnet. Doch dann geschieht etwas unerwartetes. Sie gerät in ein Unwetter und verfährt sich hoffnungslos. Sie steuert ein abseits gelegenes Motel an. Der Betreiber ist auch kein typisches Mitglied der Gesellschaft. Er lebt allein, stopft gerne Vögel aus und hat eine einmalige Beziehung zu seiner Mutter. An diesem Ort, der nur wenige Meilen von der großen Stadt entfernt, und dennoch absolut abseits der Gesellschaft liegt, kann die Frau sie selbst sein. Sie muss sich nicht verstellen. Die Last ihrer Rolle fällt von ihr und im Licht der Klarheit erkennt sie, dass es ein Fehler war, das Geld zu stehlen. Niemand sagt ihr, dass sie etwas falsch gemacht hätte, sie erarbeitet sich diesen Gedanken selbst. Diese Erkenntnis gibt ihr neue Kraft und auch Mut, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Gleich Morgen wird sie sich stellen. Noch eine ruhige Nacht an diesem stillen Ort verbringen. Doch dann geschieht noch etwas unerwartetes. Es passiert im Badezimmer, unter der Dusche. Die Tür öffnet sich und, wie es im Buch so schön heißt: „Es war dieses Messer, dass ihren Schrei abschnitt. Und ihren Kopf.“

Es ist unglaublich, aber Hitchcocks „Psycho“ ist immer noch einer der spannendsten Filme, die ich kenne. Eigentlich ist es ja immer so, dass sich die Sehgewohnheiten des Publikums rasend schnell entwickeln und der Filmtechnik immer einen Schritt voraus zu sein scheinen. Was uns in einem Film vor zehn Jahren Angst gemacht hat, muss uns nicht mal mehr ein müdes Runzeln entlocken, wenn wir es heute sehen. Aber manchmal gibt es eben slche Szenen, die immer wieder erschrecken.
In „Das Schweigen der Lämmer“ gibt es eine Szene, in der Jodi Foster in einem finsteren Raum gefangen ist und absolut nichts sehen kann. Der Killer ist mit ihr im Raum und beobachtet sie durch eine Nachtsichtbrille. Das ist eine Szene, die immer funktionieren wird. Über „Hostel“ von Eli Roth hingegen habe ich damals im Vorhinein so viele schreckliche Details gehört, dass ich, als ich ihn mir dann endlich angesehen habe, zu meinem Erschrecken feststellen musste, dass ich den Film gar nicht mehr so grausam fand. Hitchcock jedenfalls ist immer noch absolut spannend. Die Optik und der ganze Stil ist ganz und gar nicht zeitgemäß, geschweige denn zeitlos, aber irgendwie hat dieser Film beinahe nichts von seiner Wirksamkeit eingebüßt. Das mag an der Musik von Bernard Herrmann liegen, die stets nahe an der Hysterie vorbei zu schrammen scheint. Es liegt vielleicht auch an der kühlen Darstellung der Frau, die zu Beginn absolut kein Opfer zu sein scheint. Vielleicht liegt es daran, dass Hitchcock den Verstand mit Details förmlich bombardiert. Alles an den beiden Hauptfiguren schreit danach, analysiert zu werden. Norman Bates stopft Vögel aus und lebt mit seiner Mutter in einem unheimlichen Haus. Er verbringt gerne Zeit im Büro des Motels. Er hat Angst vor Frauen. Der Verstand arbeitet unentwegt und klappert Möglichkeiten und Kategorien ab, wie es weiter gehen könnte. So präzise diese Gedankengänge im Unterbewusstsein auch sein mögen, niemand rechnet mit dem Ende und das haben wir nicht nur Hitchcocks Geistesgegenwart zu verdanken, dass er all die Bücher gekauft hat – eine Praxis, die von Filmstudios übrigens heute gerne angewendet wird, um die Verkaufszahlen ihrer Bestseller nach oben zu korrigieren – sondern weil er es verstand, das Unterbewusstsein des Zuschauers subtil abzulenken. Damit schaffte er es, vom Offensichtlichen abzulenken und dadurch entsteht die eigentliche Spannung dieses Films. Was die Umsetzung und die Technik angeht, hat „Psycho“ neue Maßstäbe gesetzt. Die Duschszene wurde schon tausendmal kopiert, so wie ziemlich viele einmalige Szenen aus „Das Fenster zum Hof“, oder „Der unsichtbare Dritte“. Hitchcocks Filme sind perfekt gewesen. Ihre wegweisende Bedeutung ist schier unermesslich. Wenn man jetzt noch jemanden erklären muss, warum „Psycho“ so verdammt gut ist...“Hey, da wird jemand von einer verrückten alten Frau unter der Dusche abgestochen. Grusliger geht’s wirklich nicht!“

Psycho (USA, 1960): R.: Alfred Hitchcock; D.: Anthony Perkins, Janet Leigh, Vera Miles, u.a.; M.: Bernard Herrmann

Nachtzug nach Lissabon

Warum werden Romane verfilmt? Bestenfalls, weil der Regisseur eine besondere Beziehung zu dem Buch hat. Es inspiriert ihn dazu, sich Gedanken zu machen, wie man das Gelesene auf die Leinwand adaptieren könnte. Es lässt Bilder in seinem Kopf entstehen und er muss genau diese Bilder im Film kreieren. Vielleicht gibt ihm das Buch so viel, dass er genau den richtigen Weg findet – die Formel sozusagen – die es braucht, damit der Stoff im Kino funktionieren kann. Es geht ihm natürlich darum, dass es den Zuschauern gefällt, die das Buch gelesen haben und er bringt sie durch seinen Film dazu, das Buch genau so zu verstehen und zu sehen, wie er.
Die meisten Bücher werden allerdings deshalb verfilmt, weil sie sich verkaufen, wie warme Brötchen und man unbedingt noch mehr Geld damit verdienen will, nachdem es jeder gelesen hat. Bücher kann man nicht zweimal verkaufen. Ganz ehrlich! Wer kauft denn ein Buch nochmal, nachdem er es gelesen hat? Ins Kino kann man immerhin mehrmals gehen. Und dann kann man ja noch die DVD kaufen und – ganz originell – das Buch zum Film gibt’s ja dann auch. Und dann die Fernsehauswertung. Schier unendliche Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Also muss ganz schnell die Verfilmung her. Und zwar jetzt!

Raimund ist ein einsamer Mann. Er lebt allein und sein Alltag ist nicht besonders abwechslungsreich. Er ist Literaturlehrer an einer Schule und widmet sich auch sonst voll und ganz dem geschriebenen Wort. Eines Tages trifft er eine Frau auf einer Brücke, die ganz offensichtlich Selbstmord begehen will. Er kann sie davon abhalten und nimmt sie erst einmal mit in die Schule. Dort bleibt sie nicht lange und vergisst beim Gehen ihren Mantel. In dessen Tasche findet Raimund ein kleines Buch. Das Buch wurde von einem gewissen Amadeu, einem Arzt aus Lissabon. Seine Worte berühren Raimund dermaßen, dass er völlig aus dem Häuschen ist. Im Buch findet Raimund außerdem eine Zugfahrkarte nach Lissabon und so steigt er kurzentschlossen einfach in den Zug. In Lissabon angekommen macht er sich nun auf die Suche nach dem Autoren. Amadeu hat im Gegensatz zu Raimund ein bewegtes Leben geführt, voller Leidenschaft, Aufregung und Revolution. Die Spurensuche führt ihn zu all den Menschen, die Amadeu kannten und von ihnen erfährt er, welches Geheimnis dem Buch inne wohnt.

Der Film beginnt mit denkbar einfachen Bildern. Raimund liegt in einem Bett. Es ist ein sehr großes Bett und eine Hälfte bleibt unbenutzt. Raimund sitzt an einem Tisch vor einem Schachbrett und spielt gegen sich selbst. Dabei guckt er ganz traurig, wie ein zurück gelassenes Haustier. Auf unkreative und platte Weise wird also suggeriert: Er ist einsam. Der Unterricht in seiner Schule ist langweilig. Die Schüler verstehen ihn einfach nicht. Nichts in seinem Leben kann ihn der Melancholie und Trauer entreißen. Nur dieses kleine Buch, welches er findet, gibt ihm das Gefühl von Seelenverwandtschaft. Von einer Sekunde auf die Nächste haut er einfach ab. Hat uns der Film in den ersten Minuten mit so eindeutigen und unmissverständlichen Bildern versorgt, lässt er den Zuschauer nun im Regen stehen und man kann in keinster Weise die Motive des Lehrers nachvollziehen. In Lissabon wandert er in träumerischem Wankelmut durch die Straßen. Nichts, was ihm gesagt wird, löst irgendeine sichtbare Reaktion aus. Es ist immer dieser halb offene Mund und der starre, fragende Blick. Erstaunlicherweise fühlen sich die Leute, mit denen er redet trotzdem berufen, ihm alles zu erzählen. Die Szenen, die in der Vergangenheit spielen sind spannend. Man interessiert sich für die tragische Geschichte des Arztes, der eigentlich Schriftsteller ist, sich dann aber der Revolution gegen Salazar anschließt. Er will nie wieder zulassen, dass ein Mensch Schmerz empfinden soll. Dieser Part ist tatsächlich schön gemacht und man wird sofort von der Faszination der Historie gepackt. Erstaunlicherweise wusste ich selbst gar nicht so viel über die portugiesische Revolution und deshalb funktioniert dieser Teil der Geschichte für mich am besten. Aber, ach ja! Es ging ja eigentlich um Raimund, den Einsamen. Wenn man schon jemanden, wie Jeremy Irons für so eine Rolle besetzt, dann sollte man ihm auch Freiraum geben, die Figur mit Persönlichkeit zu füllen. Es gibt da eine Szene, in der er eine neue Brille bekommt. Ohne, dass er etwas sagen müsste, erkennt der Zuschauer, wie sehr ihm der Verlust der alten Brille schmerzt. Wenn man Jeremy Irons von Fotos kennt, weiß man, welche Brille er dort immer trägt. Dieser Moment ist wunderbar und plötzlich scheint die Figur zu leben. Jede Faser seines Körpers leidet. Dieser kurze Moment wird mit dem Holzhammer zertrümmert, indem die Optikerin so etwas ähnliches sagt, wie „Die alte Brille hat ihnen besser gefallen, richtig?“
Herrje!

Nachtzug nach Lissabon“ ist eines jener Bücher, von denen ich immer gehört habe, sie seien sehr anstrengend. Keiner konnte mir wirklich was darüber erzählen, weil die meisten es nach der Hälfte weglegen. Also kann ich davon ausgehen, dass die Geschichte als Roman nicht so recht funktioniert. Als Film funktioniert es aber noch weniger. Alles ist so seicht und der Verstand des Zuschauers wird in Watte gepackt. Ich habe mich relativ schnell gelangweilt. Vielleicht liegt es daran, dass ich zu jung bin. Aber das kann ich nicht akzeptieren. Ein Film muss über solche Grenzen hinaus auch funktionieren können. Vielleicht klappt es nicht, weil ich das Buch nicht gelesen habe. Für wen, bitte schön, ist dann dieser Film gemacht?
Es ist einfach nur der Beweis dafür, wie gut und schnell man mit einem mittelmäßigen Roman plötzlich doch sehr viel Geld verdienen kann, und man muss sich nicht mal was eigenes ausdenken. Chapeau!

Nachtzug nach Lissabon (AUT, POR, D, 2013): R.: Bille August; D.: Jeremy Irons, Charlotte Rampling, Bruno Ganz, u.a.; M.: Annette Focks; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Montag, 4. März 2013

The Master

Scientology ist ein echtes Phänomen. Es handelt sich um eine Sekte. Sekten sind eigentlich immer Gruppen, die im Verborgenen agieren. Sie müssen nicht zwingend etwas illegales tun, aber die Tatsache, dass sie als Quasi-Geheimbund nicht verraten, was sie tun, macht sie zwielichtig. Obwohl Scientology aber eine Sekte ist, die sehr stark in der Öffentlichkeit steht, weiß man nicht wirklich, was zum Geier die eigentlich machen. Tom Cruise ist Scientologe und noch einige andere Berühmtheiten Hollywoods. Der Begründer der Sekte heißt wohl Ron Hubbard und sein Werk erinnert an völlig verquere und wirre Science-Fiction-Romane. Was man über diese Gruppe weiß ist, dass sie keinerlei Toleranz aufbringen, wenn jemand ihren Glauben anzweifelt. Hier wird oft ein perfides Machtspiel inszeniert, wenn es darum geht, die Sekte zu kritisieren. Paul Thomas Anderson erzählt nun die Geschichte einer Sekte und deren Anführer, die frappierende Gemeinsamkeiten zu Scientology aufweist.

Freddy Quell ist ein Veteran. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er für die Amerikaner in Japan. Durch seinen Einsatz hat er ein schweres Trauma davon getragen und seine ohnehin anfällige Psyche weist tiefe Störungen auf. Nach Kriegsende eröffnet er einen Fotostand in einem Einkaufszentrum und fertigt Familienfotos an. Dieser Job bringt allerdings kaum Befriedigung, weshalb er viel Alkohol in unterschiedlichster Form zu sich nimmt. Durch Alkohol wird Freddy allerdings aggressiv, weshalb er seinen Job nicht lange behält.
Im Vollrausch landet eines Nachts auf einem Luxusdampfer. Der gehört einem mysteriösen Mann, den viele nur den Meister nennen. Er bietet Freddy an, ihm bei der Lösung all seiner Probleme zu helfen. Freddy hält das Ganze für eine Art Psychotherapie, merkt jedoch nicht, dass er Schritt für Schritt einer Gehirnwäsche unterzogen wird. Der Meister übt, dank gekonnter Manipulation, immer mehr Kontrolle über den Matrosen aus. Doch auch der Meister selbst steht unter der Kontrolle einer noch mächtigeren Person.

Ich finde Sekten gruselig. Ich mag den Gedanken nicht, die Kontrolle über meinen Verstand aufzugeben und ich habe den Eindruck, dass in solchen Gruppen genau das geschieht. Ich fühle mich sogar schon unwohl, wenn ich zu einem Gottesdienst in einer Kirche sitze. Was auch immer der Glaube den Menschen gibt, mir macht er manchmal angst. Manchmal hört man von Sekten und denkt sich: „Was sind das nur für arme Schweine, dass die an so einen Mist glauben?“ Und das ist ja irgendwie das Gefährliche daran. Die Manipulation funktioniert unter bestimmten Umständen bei bestimmten Menschen. Ich bin ein gefestigter Mensch, der ganz schön von sich überzeugt ist. Hätte jemand, wie der Meister eine Chance bei mir?
Im Film jedenfalls hat er mir wirklich angst gemacht. Die Dinge, die er sagt, sind oft wirr und schwer nachvollziehbar. Da ist von Drachen die Rede und sogar von Außerirdischen. Beängstigend ist die Wirkung, die er damit auf seine Zuhörer erzielt. Sie hängen ihm an den Lippen und er hat sie vollkommen in der Hand. Freddy ist jemand, der das alles überhaupt nicht versteht und macht sich damit empfänglicher, denn je. Er hat seinen Verstand geöffnet, denn er will verstehen. In einer Szene gibt es einen Zweifler, der die Argumentation des Meisters mit ein paar wenigen Nachfragen vollkommen aushebelt. Ganz ähnlich, wie Tom Cruise vor ein paar Jahren in einem Interview, verliert auch der Meister relativ schnell die Fassung und wirft mit wüsten Beschimpfungen um sich. Philip Seymour-Hoffman ist großartig und schafft es erneut, durch wenige akzentuierte Aktionen, eine intensive Leistung auf die Leinwand zu zaubern.
Joaquin Phoenix ist nach seiner Pause erstmals wieder in einer Hauptrolle zu sehen. Er spielt den psychisch labilen und unberechenbaren Matrosen, der zum Opfer werden soll, auf derart überzeugende Weise, dass man den Eindruck gewinnt, er sei schon immer so gewesen. Eine derartige Spieltiefe habe ich selten in einem Film gesehen. Mag der Oscar an ihm vorbei gegangen sein. Der hätte meiner Meinung nach sowieso nicht gereicht, um diese Leistung ausreichend zu würdigen.

„The Master“ ist intensiv, beängstigend und manchmal geradezu Übelkeit erregend nah an der Thematik dran. Anderson hat unglaublich gründlich recherchiert und zeichnet ein gleichermaßen trockenes, aber um so realistischeres Bild über ein Phänomen, dass sich der Toleranz und der Gutgläubigkeit der meisten Menschen schamlos bedient.

The Master (USA, 2012): R.: Paul Thomas Anderson; D.: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, u.a.; M.: Johnny Greenwood; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Quellen des Lebens

Der deutsche Film steht an einem Wendepunkt. Es gab früher immer die großen deutschen Produktionen, die vor Starpower nur so strotzten und unfassbar hohe Budgets verschlangen. Hinter solchen Filmen stand früher meistens der Name Eichinger. Dann gab es die kleinen Produktionen, von denen außerhalb Deutschlands kaum jemand etwas mitbekommen hat. Beide Seiten hatten ihre Reize. Nun gibt es aber keinen Eichinger mehr und die deutsche Filmwelt steht sozusagen vor den Hinterlassenschaften des Großproduzenten; Einen Natascha-Kampusch-Film, der lange vor seinem Start schon in der Luft zerfetzt wurde und eine Constantin, die seit Jahren mit dem Bankrott kämpft. Höchste Zeit für einen neuen Weg, sollte man meinen. Doch es bleibt bei der bekannten Aufteilung und so kommt es, dass die beiden bedeutendsten deutschen Regisseure Andreas Dresen und Tom Tykwer heißen. Groß und Klein. Und Tykwer gibt derzeit mit X-Filme richtig Gas. Er hat innerhalb eines Jahres gleich zwei Großproduktionen absolviert. Nach „Cloud Atlas“ ist nun Oskar Roehler zurück mit einer beeindruckenden, filmischen Autobiographie.

Wir sind im Nachkriegsdeutschland. Der Soldat Erich Freytag kommt nach vielen Jahren vom Krieg nach Hause und findet hier mehr oder weniger alles in Trümmern. Die Fabrik im Ort ist zerstört und er merkt, dass seine Familie ganz und gar nicht begeistert ist über seine Rückkehr. Seine intrigante Schwester wirft er sofort raus und übernimmt wieder das Zepter. Als erstes baut er die Fabrik auf und produziert Gartenzwerge. Sein Sohn Klaus hat indes keine Lust, als Fabrikant zu arbeiten. Er will lieber Schriftsteller werden. Eines Tages lernt er die schöne Gisela kennen, eine Tochter aus sehr reichem Hause. Er verliebt sich sofort in sie, denn ihre lockere Art und ihre freien Gedanken, inspirieren ihn sehr stark. Später stellt er übrigens fest, sie ist weder locker, noch inspirierend; sie ist einfach verrückt. Mit ihr bekommt er einen Sohn – den Protagonisten der Geschichte – namens Robert. Robert erlebt eine sehr schwere Kindheit, denn die Mutter steigt selbst zur Starautorin auf und hurt sich durch die Highsociety im Berlin der 60er Jahre. Klaus ist völlig am Boden, denn er scheint als Autor weniger talentiert zu sein, als er dachte. Robert bleibt also die elterliche Fürsorge und Liebe verwehrt. Nach einem verheerenden Italien-Urlaub, nehmen ihn seine Großeltern wieder bei sich auf. Hier lernt Robert nicht nur das Nachbarmädchen Laura kennen, er erlebt das erste Mal Glück und eine Ahnung dessen, was ihm bisher versagt geblieben ist. Sein Vater kommt jedoch zurück und holt ihn wieder ab. Für Robert steht nach diesem glücklichen Sommer fest, er will sich nicht mehr mit seinem trostlosen Dasein abfinden. Er beginnt, zu rebellieren.

Dieser Film macht in jeder Hinsicht einen Rundumschlag. Beinahe lückenlos lässt er die historischen Ereignisse in Deutschland zwischen 1949 und den 70ern mit in die Handlung einfließen. Ausstattung und Kostüme sind gründlich recherchiert und die Darstellung der westdeutschen Gesellschaft mit allen überspitzten und angemessenen Elementen bildet ein verblüffend realistisches Zeitbild. Die spannende Familiengeschichte voller tragischer und komischer Momente füllt diese Kulisse und die manchmal etwas eigentümlichen Roehler-Anwandlungen machen den Film dann einzigartig.
Zum Beispiel gibt es am Anfang eine derart groteske Szene, die mich als Zuschauer erst einmal abschreckt und mich denken lässt, „Worauf hab ich mich da eingelassen“
Überhaupt wirkt das erste Drittel des Films total unwirklich. Die Kulissen sehen bühnenhaft aus, es gibt verblüffende Effekte durch Lichtverfremdungen und die Dialoge sind sehr knapp, geradezu hölzern. Mit fortschreitender Handlung werden die Bilder aber immer präziser. Roehler symbolisiert dadurch auf sehr schlichte und wirkungsvolle Weise die Unterschiede seiner eigenen Wahrnehmung als Kind und als Erwachsener. Ein großartiger Einfall, der seine Wirkung nicht verfehlt. Abschließend sei noch zu bemerken, dass alle Schauspieler – die man im Übrigen alle irgendwie kennt und schon gesehen hat – nahezu perfekt besetzt sind und unglaubliche Leistungen vollbringen. Ich mag Jürgen Vogel zum Beispiel nicht mehr sehen. Seine Art, sein Gesicht, seine Rollen hatte ich einfach über. Hier spielt er unfassbar gut und zeigt nicht nur, was für ein guter Darsteller er noch immer ist, sondern auch, wie gründlich und präzise Oskar Roehler offensichtlich arbeiten kann. Dieser Effekt tritt bei allen Darstellern gleichermaßen verblüffend auf.

„Quellen des Lebens“ ist bombastisch, rührend, unterhaltsam und schockierend zugleich. Ein Epos, dass mit einer unerwarteten Leichtigkeit seine gigantischen Ausmaße ausbreitet. Sehr lange schon habe ich keinen deutschen Film mehr gesehen, der so viel richtig gemacht hat. Lange hat mich ein deutscher Film schon nicht mehr so begeistert und jede Minute des Films ist packend. Dabei scheint es ganz einfach zu gehen. Keinerlei Firlefanz mit digitalen Effekten. Keine Action, oder überzogener Slapstick. Ein Film, der einfach nur Geschichte erzählt. Toll!

Quellen des Lebens (D, 2013): R.: Oskar Roehler; D.: Jürgen Vogel, Meret Becker, Moritz Bleibtreu, u.a.; M.: Martin Todsharow; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.