Scientology ist ein echtes Phänomen. Es handelt sich um eine Sekte. Sekten sind eigentlich immer Gruppen, die im Verborgenen agieren. Sie müssen nicht zwingend etwas illegales tun, aber die Tatsache, dass sie als Quasi-Geheimbund nicht verraten, was sie tun, macht sie zwielichtig. Obwohl Scientology aber eine Sekte ist, die sehr stark in der Öffentlichkeit steht, weiß man nicht wirklich, was zum Geier die eigentlich machen. Tom Cruise ist Scientologe und noch einige andere Berühmtheiten Hollywoods. Der Begründer der Sekte heißt wohl Ron Hubbard und sein Werk erinnert an völlig verquere und wirre Science-Fiction-Romane. Was man über diese Gruppe weiß ist, dass sie keinerlei Toleranz aufbringen, wenn jemand ihren Glauben anzweifelt. Hier wird oft ein perfides Machtspiel inszeniert, wenn es darum geht, die Sekte zu kritisieren. Paul Thomas Anderson erzählt nun die Geschichte einer Sekte und deren Anführer, die frappierende Gemeinsamkeiten zu Scientology aufweist.
Freddy Quell ist ein Veteran. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er für die Amerikaner in Japan. Durch seinen Einsatz hat er ein schweres Trauma davon getragen und seine ohnehin anfällige Psyche weist tiefe Störungen auf. Nach Kriegsende eröffnet er einen Fotostand in einem Einkaufszentrum und fertigt Familienfotos an. Dieser Job bringt allerdings kaum Befriedigung, weshalb er viel Alkohol in unterschiedlichster Form zu sich nimmt. Durch Alkohol wird Freddy allerdings aggressiv, weshalb er seinen Job nicht lange behält.
Im Vollrausch landet eines Nachts auf einem Luxusdampfer. Der gehört einem mysteriösen Mann, den viele nur den Meister nennen. Er bietet Freddy an, ihm bei der Lösung all seiner Probleme zu helfen. Freddy hält das Ganze für eine Art Psychotherapie, merkt jedoch nicht, dass er Schritt für Schritt einer Gehirnwäsche unterzogen wird. Der Meister übt, dank gekonnter Manipulation, immer mehr Kontrolle über den Matrosen aus. Doch auch der Meister selbst steht unter der Kontrolle einer noch mächtigeren Person.
Ich finde Sekten gruselig. Ich mag den Gedanken nicht, die Kontrolle über meinen Verstand aufzugeben und ich habe den Eindruck, dass in solchen Gruppen genau das geschieht. Ich fühle mich sogar schon unwohl, wenn ich zu einem Gottesdienst in einer Kirche sitze. Was auch immer der Glaube den Menschen gibt, mir macht er manchmal angst. Manchmal hört man von Sekten und denkt sich: „Was sind das nur für arme Schweine, dass die an so einen Mist glauben?“ Und das ist ja irgendwie das Gefährliche daran. Die Manipulation funktioniert unter bestimmten Umständen bei bestimmten Menschen. Ich bin ein gefestigter Mensch, der ganz schön von sich überzeugt ist. Hätte jemand, wie der Meister eine Chance bei mir?
Im Film jedenfalls hat er mir wirklich angst gemacht. Die Dinge, die er sagt, sind oft wirr und schwer nachvollziehbar. Da ist von Drachen die Rede und sogar von Außerirdischen. Beängstigend ist die Wirkung, die er damit auf seine Zuhörer erzielt. Sie hängen ihm an den Lippen und er hat sie vollkommen in der Hand. Freddy ist jemand, der das alles überhaupt nicht versteht und macht sich damit empfänglicher, denn je. Er hat seinen Verstand geöffnet, denn er will verstehen. In einer Szene gibt es einen Zweifler, der die Argumentation des Meisters mit ein paar wenigen Nachfragen vollkommen aushebelt. Ganz ähnlich, wie Tom Cruise vor ein paar Jahren in einem Interview, verliert auch der Meister relativ schnell die Fassung und wirft mit wüsten Beschimpfungen um sich. Philip Seymour-Hoffman ist großartig und schafft es erneut, durch wenige akzentuierte Aktionen, eine intensive Leistung auf die Leinwand zu zaubern.
Joaquin Phoenix ist nach seiner Pause erstmals wieder in einer Hauptrolle zu sehen. Er spielt den psychisch labilen und unberechenbaren Matrosen, der zum Opfer werden soll, auf derart überzeugende Weise, dass man den Eindruck gewinnt, er sei schon immer so gewesen. Eine derartige Spieltiefe habe ich selten in einem Film gesehen. Mag der Oscar an ihm vorbei gegangen sein. Der hätte meiner Meinung nach sowieso nicht gereicht, um diese Leistung ausreichend zu würdigen.
„The Master“ ist intensiv, beängstigend und manchmal geradezu Übelkeit erregend nah an der Thematik dran. Anderson hat unglaublich gründlich recherchiert und zeichnet ein gleichermaßen trockenes, aber um so realistischeres Bild über ein Phänomen, dass sich der Toleranz und der Gutgläubigkeit der meisten Menschen schamlos bedient.
The Master (USA, 2012): R.: Paul Thomas Anderson; D.: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, u.a.; M.: Johnny Greenwood; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
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