Einer
der vielen Gründe, weshalb Romanverfilmungen damals noch besser
funktioniert haben, waren sicherlich die weniger ausgebauten
Kommunikationswege. Wenn es heute ein bedeutendes Buch gibt, so ist
die erste Information, die man darüber hört, meistens, dass es sich
um einen Bestseller handelt. Wie kann das sein? Ich jedenfalls habe
von den meisten Bestsellern der letzten Jahre erst gehört, nachdem
es sich offensichtlich schon tausendfach verkauft hat. Manche Bücher
kannte ich schon vorher und jeden, den ich gefragt habe, ob er dieses
oder jenes Buch auch so klasse fand, musste diese Frage verneinen,
weil er das Buch noch gar nicht gelesen hatte. Und wie durch
Zauberhand wurden solche Bücher plötzlich zu Bestsellern, sobald
jemand Interesse bekundet hat, sie zu verfilmen. Derartige
Bestsellerverfilmungen haben für niemanden einen rechten Reiz. Wer
das Buch schon kennt, muss damit rechnen, dass er enttäuscht wird,
weil natürlich alles ganz anders aussieht, als man es sich
vorgestellt hat. Wer das Buch nicht gelesen hat, läuft Gefahr, sich
zu langweilen, denn bei Bestsellern traut sich der Regisseur nicht,
etwas innovatives, oder kreatives zu tun. Schließlich hängt sehr
viel Geld an der ganzen Kiste. Also bleibt all der Erfindergeist
gleich zu Hause, denn man will es sich ja nicht den treuen Fans der
Buchvorlage verscherzen. Bestenfalls sucht sich der Filmemacher also
einen Roman aus, den keiner kennt. Alfred Hitchcock zum Beispiel hat
„Psycho“ gelesen und wusste sofort zwei Dinge. Erstens musste er
dieses Buch verfilmen und zweitens musste er alle Exemplare
aufkaufen, damit so wenig Menschen, wie möglich das Ende kannten.
Das
Leben in der modernen Welt ist nicht einfach. Emanzipierte Frauen,
wie die hübsche Marion Crane, haben es nicht leicht. Sie werden in
Rollen gepresst, die sie nicht zu spielen vermögen, geschweige denn,
spielen möchten. Sie leben allein, denn in den 60er Jahren herrscht
Männermangel. Sie müssen sich einer berauschenden aber unziemlichen
Affäre hingeben, damit sie hin und wieder überhaupt etwas fühlen.
Sie müssen sich den Avancen reicher, alter Männer erwehren. Wenn
die Frauen nicht auf so etwas eingehen, sind sie sofort zickig, oder
gar verdreht. Nicht Gesellschaftskonform, wenn man so will. Wenn so
ein alter Cowboy daherkommt, mit einem Haufen Geld unterm Arm und
dann auch noch Wörter benutzt, wie „Puppe“, oder „Mädel“.
Dann darf man sich freilich nicht wundern, wenn das „Mädel“,
welches aber eigentlich eine emanzipierte Frau sein will, einfach mit
dem Geld abhaut. Sie denkt nämlich, sie kann mit dem Geld eine
Zukunft mit ihrem Liebsten kaufen. An alles hat sie gedacht; der Plan
ist perfekt. Sie wechselt unterwegs das Fahrzeug, um nicht verfolgt
zu werden. Sie hat keine Scheu, ihre Rolle als angepasste, schwache
Frau zu spielen, wenn sie einem Streifenpolizisten begegnet. Doch
dann geschieht etwas unerwartetes. Sie gerät in ein Unwetter und
verfährt sich hoffnungslos. Sie steuert ein abseits gelegenes Motel
an. Der Betreiber ist auch kein typisches Mitglied der Gesellschaft.
Er lebt allein, stopft gerne Vögel aus und hat eine einmalige
Beziehung zu seiner Mutter. An diesem Ort, der nur wenige Meilen von
der großen Stadt entfernt, und dennoch absolut abseits der
Gesellschaft liegt, kann die Frau sie selbst sein. Sie muss sich
nicht verstellen. Die Last ihrer Rolle fällt von ihr und im Licht
der Klarheit erkennt sie, dass es ein Fehler war, das Geld zu
stehlen. Niemand sagt ihr, dass sie etwas falsch gemacht hätte, sie
erarbeitet sich diesen Gedanken selbst. Diese Erkenntnis gibt ihr
neue Kraft und auch Mut, die Verantwortung für ihre Taten zu
übernehmen. Gleich Morgen wird sie sich stellen. Noch eine ruhige
Nacht an diesem stillen Ort verbringen. Doch dann geschieht noch
etwas unerwartetes. Es passiert im Badezimmer, unter der Dusche. Die
Tür öffnet sich und, wie es im Buch so schön heißt: „Es war
dieses Messer, dass ihren Schrei abschnitt. Und ihren Kopf.“
Es
ist unglaublich, aber Hitchcocks „Psycho“ ist immer noch einer
der spannendsten Filme, die ich kenne. Eigentlich ist es ja immer so,
dass sich die Sehgewohnheiten des Publikums rasend schnell entwickeln
und der Filmtechnik immer einen Schritt voraus zu sein scheinen. Was
uns in einem Film vor zehn Jahren Angst gemacht hat, muss uns nicht
mal mehr ein müdes Runzeln entlocken, wenn wir es heute sehen. Aber
manchmal gibt es eben slche Szenen, die immer wieder erschrecken.
In
„Das Schweigen der Lämmer“ gibt es eine Szene, in der Jodi
Foster in einem finsteren Raum gefangen ist und absolut nichts sehen
kann. Der Killer ist mit ihr im Raum und beobachtet sie durch eine
Nachtsichtbrille. Das ist eine Szene, die immer funktionieren wird.
Über „Hostel“ von Eli Roth hingegen habe ich damals im Vorhinein
so viele schreckliche Details gehört, dass ich, als ich ihn mir dann
endlich angesehen habe, zu meinem Erschrecken feststellen musste,
dass ich den Film gar nicht mehr so grausam fand. Hitchcock
jedenfalls ist immer noch absolut spannend. Die Optik und der ganze
Stil ist ganz und gar nicht zeitgemäß, geschweige denn zeitlos,
aber irgendwie hat dieser Film beinahe nichts von seiner Wirksamkeit
eingebüßt. Das mag an der Musik von Bernard Herrmann liegen, die
stets nahe an der Hysterie vorbei zu schrammen scheint. Es liegt
vielleicht auch an der kühlen Darstellung der Frau, die zu Beginn
absolut kein Opfer zu sein scheint. Vielleicht liegt es daran, dass
Hitchcock den Verstand mit Details förmlich bombardiert. Alles an
den beiden Hauptfiguren schreit danach, analysiert zu werden. Norman
Bates stopft Vögel aus und lebt mit seiner Mutter in einem
unheimlichen Haus. Er verbringt gerne Zeit im Büro des Motels. Er
hat Angst vor Frauen. Der Verstand arbeitet unentwegt und klappert
Möglichkeiten und Kategorien ab, wie es weiter gehen könnte. So
präzise diese Gedankengänge im Unterbewusstsein auch sein mögen,
niemand rechnet mit dem Ende und das haben wir nicht nur Hitchcocks
Geistesgegenwart zu verdanken, dass er all die Bücher gekauft hat –
eine Praxis, die von Filmstudios übrigens heute gerne angewendet
wird, um die Verkaufszahlen ihrer Bestseller nach oben zu korrigieren
– sondern weil er es verstand, das Unterbewusstsein des Zuschauers
subtil abzulenken. Damit schaffte er es, vom Offensichtlichen
abzulenken und dadurch entsteht die eigentliche Spannung dieses
Films. Was die Umsetzung und die Technik angeht, hat „Psycho“
neue Maßstäbe gesetzt. Die Duschszene wurde schon tausendmal
kopiert, so wie ziemlich viele einmalige Szenen aus „Das Fenster
zum Hof“, oder „Der unsichtbare Dritte“. Hitchcocks Filme sind
perfekt gewesen. Ihre wegweisende Bedeutung ist schier unermesslich.
Wenn man jetzt noch jemanden erklären muss, warum „Psycho“ so
verdammt gut ist...“Hey, da wird jemand von einer verrückten alten
Frau unter der Dusche abgestochen. Grusliger geht’s wirklich
nicht!“
Psycho
(USA, 1960): R.: Alfred Hitchcock; D.: Anthony Perkins, Janet Leigh,
Vera Miles, u.a.; M.: Bernard Herrmann
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen