Warum
werden Romane verfilmt? Bestenfalls, weil der Regisseur eine
besondere Beziehung zu dem Buch hat. Es inspiriert ihn dazu, sich
Gedanken zu machen, wie man das Gelesene auf die Leinwand adaptieren
könnte. Es lässt Bilder in seinem Kopf entstehen und er muss genau
diese Bilder im Film kreieren. Vielleicht gibt ihm das Buch so viel,
dass er genau den richtigen Weg findet – die Formel sozusagen –
die es braucht, damit der Stoff im Kino funktionieren kann. Es geht
ihm natürlich darum, dass es den Zuschauern gefällt, die das Buch
gelesen haben und er bringt sie durch seinen Film dazu, das Buch
genau so zu verstehen und zu sehen, wie er.
Die
meisten Bücher werden allerdings deshalb verfilmt, weil sie sich
verkaufen, wie warme Brötchen und man unbedingt noch mehr Geld damit
verdienen will, nachdem es jeder gelesen hat. Bücher kann man nicht
zweimal verkaufen. Ganz ehrlich! Wer kauft denn ein Buch nochmal,
nachdem er es gelesen hat? Ins Kino kann man immerhin mehrmals gehen.
Und dann kann man ja noch die DVD kaufen und – ganz originell –
das Buch zum Film gibt’s ja dann auch. Und dann die
Fernsehauswertung. Schier unendliche Möglichkeiten, Geld zu
verdienen. Also muss ganz schnell die Verfilmung her. Und zwar jetzt!
Raimund
ist ein einsamer Mann. Er lebt allein und sein Alltag ist nicht
besonders abwechslungsreich. Er ist Literaturlehrer an einer Schule
und widmet sich auch sonst voll und ganz dem geschriebenen Wort.
Eines Tages trifft er eine Frau auf einer Brücke, die ganz
offensichtlich Selbstmord begehen will. Er kann sie davon abhalten
und nimmt sie erst einmal mit in die Schule. Dort bleibt sie nicht
lange und vergisst beim Gehen ihren Mantel. In dessen Tasche findet
Raimund ein kleines Buch. Das Buch wurde von einem gewissen Amadeu,
einem Arzt aus Lissabon. Seine Worte berühren Raimund dermaßen,
dass er völlig aus dem Häuschen ist. Im Buch findet Raimund
außerdem eine Zugfahrkarte nach Lissabon und so steigt er
kurzentschlossen einfach in den Zug. In Lissabon angekommen macht er
sich nun auf die Suche nach dem Autoren. Amadeu hat im Gegensatz zu
Raimund ein bewegtes Leben geführt, voller Leidenschaft, Aufregung
und Revolution. Die Spurensuche führt ihn zu all den Menschen, die
Amadeu kannten und von ihnen erfährt er, welches Geheimnis dem Buch
inne wohnt.
Der
Film beginnt mit denkbar einfachen Bildern. Raimund liegt in einem
Bett. Es ist ein sehr großes Bett und eine Hälfte bleibt unbenutzt.
Raimund sitzt an einem Tisch vor einem Schachbrett und spielt gegen
sich selbst. Dabei guckt er ganz traurig, wie ein zurück gelassenes
Haustier. Auf unkreative und platte Weise wird also suggeriert: Er
ist einsam. Der Unterricht in seiner Schule ist langweilig. Die
Schüler verstehen ihn einfach nicht. Nichts in seinem Leben kann ihn
der Melancholie und Trauer entreißen. Nur dieses kleine Buch,
welches er findet, gibt ihm das Gefühl von Seelenverwandtschaft. Von
einer Sekunde auf die Nächste haut er einfach ab. Hat uns der Film
in den ersten Minuten mit so eindeutigen und unmissverständlichen
Bildern versorgt, lässt er den Zuschauer nun im Regen stehen und man
kann in keinster Weise die Motive des Lehrers nachvollziehen. In
Lissabon wandert er in träumerischem Wankelmut durch die Straßen.
Nichts, was ihm gesagt wird, löst irgendeine sichtbare Reaktion aus.
Es ist immer dieser halb offene Mund und der starre, fragende Blick.
Erstaunlicherweise fühlen sich die Leute, mit denen er redet
trotzdem berufen, ihm alles zu erzählen. Die Szenen, die in der
Vergangenheit spielen sind spannend. Man interessiert sich für die
tragische Geschichte des Arztes, der eigentlich Schriftsteller ist,
sich dann aber der Revolution gegen Salazar anschließt. Er will nie
wieder zulassen, dass ein Mensch Schmerz empfinden soll. Dieser Part
ist tatsächlich schön gemacht und man wird sofort von der
Faszination der Historie gepackt. Erstaunlicherweise wusste ich
selbst gar nicht so viel über die portugiesische Revolution und
deshalb funktioniert dieser Teil der Geschichte für mich am besten.
Aber, ach ja! Es ging ja eigentlich um Raimund, den Einsamen. Wenn
man schon jemanden, wie Jeremy Irons für so eine Rolle besetzt, dann
sollte man ihm auch Freiraum geben, die Figur mit Persönlichkeit zu
füllen. Es gibt da eine Szene, in der er eine neue Brille bekommt.
Ohne, dass er etwas sagen müsste, erkennt der Zuschauer, wie sehr
ihm der Verlust der alten Brille schmerzt. Wenn man Jeremy Irons von
Fotos kennt, weiß man, welche Brille er dort immer trägt. Dieser
Moment ist wunderbar und plötzlich scheint die Figur zu leben. Jede
Faser seines Körpers leidet. Dieser kurze Moment wird mit dem
Holzhammer zertrümmert, indem die Optikerin so etwas ähnliches
sagt, wie „Die alte Brille hat ihnen besser gefallen, richtig?“
Herrje!
„Nachtzug
nach Lissabon“ ist eines jener Bücher, von denen ich immer gehört
habe, sie seien sehr anstrengend. Keiner konnte mir wirklich was
darüber erzählen, weil die meisten es nach der Hälfte weglegen.
Also kann ich davon ausgehen, dass die Geschichte als Roman nicht so
recht funktioniert. Als Film funktioniert es aber noch weniger. Alles
ist so seicht und der Verstand des Zuschauers wird in Watte gepackt.
Ich habe mich relativ schnell gelangweilt. Vielleicht liegt es daran,
dass ich zu jung bin. Aber das kann ich nicht akzeptieren. Ein Film
muss über solche Grenzen hinaus auch funktionieren können.
Vielleicht klappt es nicht, weil ich das Buch nicht gelesen habe. Für
wen, bitte schön, ist dann dieser Film gemacht?
Es
ist einfach nur der Beweis dafür, wie gut und schnell man mit einem
mittelmäßigen Roman plötzlich doch sehr viel Geld verdienen kann,
und man muss sich nicht mal was eigenes ausdenken. Chapeau!
Nachtzug
nach Lissabon (AUT, POR, D, 2013): R.: Bille August; D.: Jeremy
Irons, Charlotte Rampling, Bruno Ganz, u.a.; M.: Annette Focks;
Offizielle Homepage
In
Weimar: lichthaus
Kineast
im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
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