Donnerstag, 27. Oktober 2011

The Guard - Ein Ire sieht schwarz

Es gab schon allerlei merkwürdige Filmpärchen, die allein wegen ihrer, oft übertrieben dargestellten Gegensätze für Lacher gesorgt haben. Dieses Konzept bot in den letzten Jahren Stoff für viele, meist platte Komödien, die allein durch ihre Masse auffielen und im Gespräch blieben, selten aber wirklich anspruchsvoll unterhalten konnten. Genau an solche Filme denkt man nun auch, wenn man den Trailer zu „The Guard – Ein Ire sieht schwarz“ betrachtet.

Gerry Boyle ist Polizist in der Provinz. Vor allem aber ist er, wie viele andere auch ein Ire. „Polizist“ ist seine Berufsbezeichnung, aber egal, ob er die Uniform trägt oder nicht: Er ist irischer, als U2 und Kerrygold zusammen. Im Laufe vieler Dienstjahre hat er nicht viel Aufregendes erlebt. Hin und wieder ein paar besoffene Kids, die sich mit ihren Sportwagen um Bäume wickeln und Leute, die spurlos verschwinden, ihre Autos aber am Selbstmord-Hot-Spot des Dorfes abstellen. Eines Tages kommt der FBI-Agent Wendell nach Irland. Er kündigt die Ankunft einer großen Ladung Koks aus Kolumbien an. Die irischen Hintermänner der Drogentransaktion sind bekannt und nun gilt es, mittels gezielter Ermittlungsarbeit und gründlicher Befragung der Einheimischen, den Zeitpunkt und den Ort der Übergabe heraus zu finden. Boyle hat allerdings mit einem Mord in einem Ferienhaus zu tun und nimmt sich außerdem seinen freien Tag. Nicht nur, dass er sich sehr unkooperativ verhält, er macht auch noch durch sehr unangemessene rassistische Bemerkungen gegenüber seines schwarzen FBI-Kollegen auf sich aufmerksam. Aber so sind Iren nun mal.

Eines merkt man ganz schnell: Der irische Humor ist für unsere Verhältnisse sehr bissig und schwarz. Vor allem kommen die Schläge ganz unerwartet und insgeheim gluckst man auch bei den härtesten Rassistensprüchen. Boyle lässt derartige Bemerkungen mit einer Beiläufigkeit vom Stapel, dass man sich stets vor lauter Überraschung am Guinness verschluckt. Trotz des derben Tons, ist der Film sehr präzise und sauber gemacht. Es gibt stets ganz klare Bilder und fast schon klinisch-perfekte Kamerafahrten. Die raue irische Landschaft bietet einen krassen Kontrast zu diesem sauberen Stil. Sehr klar umrissen und präzise gespielt sind auch die Figuren im Film. Die Rollenverteilung ist völlig klar. Es gibt den typischen Antihelden, es gibt den typischen Recht schaffenden, moralisch gefestigten Helden, es gibt die trotteligen Dorfpolizisten, typische Frauen, weniger typische Frauen und ganz klassische Bösewichte. Diese klaren Charakterdefinitionen verwischen aber immer wieder und sehr coole Dialoge machen alle Figuren – ob Gute oder Böse – sehr sympathisch. Das macht es manchmal schwer, sich als Zuschauer für eine Seite zu entscheiden und das sorgt für eine ungewohnte Dynamik in der Story. Brendan Gleeson und Don Cheadle zeigen in dieser Zusammenarbeit, wie gut sie mit Gegensätzen umgehen können und beweisen einmal mehr, dass sie gute Schauspieler sind.

„The Guard – Ein Ire sieht schwarz“ ist eine Komödie mit bitterbösen Einwürfen, bei denen man manchmal fast peinlich berührt ist, dass man sie trotzdem so witzig findet. Ansonsten ist der Film absolut untypisch für alle Genreschubladen, in die man ihn vielleicht vorher stecken wollte. Es ist kein typischer Gangsterfilm und auch keine typische Buddykomödie. Es ist wohl einfach nur ein irischer Film.

The Guard (IRL, 2011): R.: John Michael McDonagh; D.: Brendan Gleeson, Don Cheadle, Mark Strong, u.a.; M.: Calexico; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Freitag, 21. Oktober 2011

Contagion

Erinnert ihr euch noch an die Schweinegrippe? Oder wie lief das bei der Vogelgrippe? Nicht zu vergessen, die alljährliche Warnung vor irgendeinem Bazillus, der uns immer wieder und ständig ans Leder will. Doch ist das auch wahr? Nicht wenige vertreten da die Meinung, dass dieses ganze Theater lediglich Panikmache sei, um den multinationalen Pharmakonzernen die Taschen voll mit Geld zu schaufeln. Also ignoriert man diese ganzen Impfungen und tut einfach das, was man schon immer getan hat, wenn man sich eine Erkältung eingefangen hat. Aber was ist, falls es doch mal ernst wird?

Beth Emhoff ist viel unterwegs und ist gerade von einer Geschäftsreise aus China ins nordamerikanische Heimatstädtchen zurück gekehrt. Allerdings fühlt sie sich nicht so gut, schiebt das Unwohlsein aber der Erschöpfung und dem Jetlag zu. Ihr Ehemann kann allerdings gar nicht so schnell gucken, so schnell bricht sie plötzlich unter Krämpfen zusammen, fällt anschließend ins Koma und stirbt nur wenige Stunden später. Die Ärzte haben gar keine Zeit, sich all zu lange darüber zu wundern, denn überall auf der Welt erkranken die Menschen an einem unbekannten, aber unglaublich aggressiven Virus und sterben den Ärzten in einem nie da gewesenem Tempo unter den Händen weg. Wissenschaftler begeben sich nun auf die fieberhafte Suche nach einem Gegenmittel, während überall die sozialen Strukturen aus den Fugen geraten. In Städten sind die Menschen nun den Gefahren von Paniken, Unruhen und Plünderungen ausgeliefert und müssen sich zusätzlich des Krankheitserregers erwehren.

Steven Soderbergh ist kein Künstler. Er ist purer Handwerker und hat auch nie Zweifel darüber aufkommen lassen. Eben weil er sich auf das Handwerk konzentriert und sich nicht durch solchen Firlefanz, wie Ästhetik, oder gar dem Kreieren metaphorischer Sinnbilder ablenken lässt, hat er ironischer Weise einen ganz eignen und typischen Stil geschaffen. Bei Soderbergh ist immer alles ganz klar und detailliert dargestellt und dieser Stil funktioniert gut, egal, ob er nun eine Komödie oder einen Thriller produziert. Ganz schlicht und nüchtern – ja geradezu kalt – berichtet der Film von den Ereignissen und sorgt so für ein Gefühl der Echtheit, welches man bei diesem Thema vielleicht gar nicht so intensiv erleben möchte. Logische Konsequenz dieses Konzepts – und vielleicht der einzige kleine Wermutstropfen: Insgesamt hätte ich mir den Film spannender gewünscht. Eigentlich ist man ja froh, dass es eben kein reißerischer und übertriebener Actionfilm geworden ist, aber wenn man sich an Dustin Hofmann in „Outbreak“ erinnert, vermisst man bei „Contagion“ schon ein bisschen das aufregende Gefühl des Hin-und Herrutschens im Kinosessel. Ebenso schlicht, wie der Erzählstil des Films, sind die Darstellungen des sagenhaften Casts. Alle Darsteller scheinen perfekt für die jeweilige Rolle besetzt zu sein – selbst Gwyneth Paltrow – und füllen diese Rollen entsprechend überzeugend. Und durch den Verzicht auf allerlei Schmuckwerk funktioniert dieser Film so gut. Dieser fast schon dokumentarische Stil sorgt eigentlich für die meiste Gänsehaut. Wir haben Angst vor Finanzkrisen, Terroristen oder Außerirdischen? Es reicht ein kleiner verdammter Bazillus, den man einatmet, um den ganzen Planeten leer zu fegen. Das finde ich gruslig.

„Contagion“ tickt anders, als Genre-Brüder. Das merkt man spätestens dann, wenn eine der Hauptrollen bereits nach etwa drei Minuten das Zeitliche segnet. Obendrein bietet der Film eine unverhohlene und sehr mutig inszenierte Gesellschaftskritik und durch das starke und massenwirksame Szenario kommt diese Kritik sogar bei einer sehr großen Zahl von Menschen an und verbreitet sich vielleicht. So ähnlich, wie ein Virus.

Contagion (USA, 2011): R.: Steven Soderbergh; D.: Matt Damon, Kate Winslet, Gwyneth Paltrow, u.a.; M.: Cliff Martinez; Offizielle Homepage

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Mittwoch, 19. Oktober 2011

Restless

Gus Van sant ist ein regisseur, der sich stets für die einfachere Lösung entscheidet, wenn er einen Film macht. Nie wird es bei ihm spektakuläre Actionszenen oder noch nie dagewesene Spezialeffekte geben. Er schafft es aber immer, trotz – oder wegen – seines schlichten Stils, einen enormen Tiefgang zu erzielen. Er widmet sich immer in erster Linie den Menschen in seinen Geschichten. Immer geht es um ihre Gefühle, darum, wohin sie von ihren entscheidungen gebracht werden. Das war bei „Good Will Hunting“ so, ebenso bei „Elephant“ und so ist es auch in seinem neuen Film „Restless“

Es geht um Enoch, der ein bisschen seltsam ist. Er spricht mit dem Geist eines japanischen Kamikazepiloten und besucht gerne Beerdigungen völlig fremder Menschen. Er kann nicht genau sagen, was ihm daran so fasziniert. Eines Tages trifft er auf einer Trauerfeier Annabel. Sie teilt seine Vorliebe für Trauerfälle, interessiert sich im Gegensatz zu Enoch nicht für den Tod, sondern für alle Facetten des Lebens. So ist sie zum Beispiel eine leidenschaftliche Vogelkundlerin und zeichnet gerne. Überhaupt scheint sie mit ihrem wachen Verhalten den etwas in sich gekehrten Enoch aus der Reserve zu locken. Zwei Dinge sind schnell klar. Die beiden verlieben sich und trotz ihres Glücks hat alles einen ganz furchtbar tragischen Haken.

Gus Van Sant hatte zusammen mit Matt Damon und Ben Affleck mit „Good Will Hunting“ einen wunderbaren kleinen Film geschaffen, der irgendwie perfekt die Waage hielt zwischen einer ganz zarten, anmutigen Schönheit und tiefer Tragik. Besonders die Stimmungen und Dialoge zwischen den Figuren waren gleichermaßen voller Hingabe und etwas, was man irgendwie schwer fassen konnte. Ganz klar war die Botschaft. Das Leben schenkt dir nichts und du musst es selbst in die Hand nehmen. Bei „Good Will Hunting“ bestand die Tragik noch in dem Umstand, dass die Hauptfigur es eben einfach nicht in die Hand nahm und sich ihr Lebensglück aus Stolz immer wieder versagte. Bei „Restless“ funktioniert es ein bisschen anders. Hier gibt es nicht einmal die Möglichkeit, etwas in die Hand zu nehmen. Hier steht ein junges und glückliches Liebespaar ganz alleine der geballten Macht der höheren Gewalt gegenüber. Klingt sehr nach einer typischen Tragödie. Aber der Film handelt all diese schwermütigen Themen auf eine dezent lockere und sehr natürliche Art und Weise ab. Eben wieder diese anmutige Schönheit und die leise Tragik, die in perfekter Harmonie Hand in Hand gehen. Die beiden Hauptdarsteller Henry Hopper und Mia Wasikowska spielen ganz dezent und schlicht, schaffen es aber auf überzeugende Art, den beiden klar umrissenen Figuren Leben ein zu hauchen. Eigentlich straft jede weitere Hervorhebung einer Sache, die mir besonders aufgefallen ist, den ganzen Stil des Films Lügen, denn eigentlich gibt es nichts, was hervorstechen kann. Alles ist ein stimmiges Ganzes. Eine schöne Geschichte, mit tollen Schauspielern, schöner Musik und einem talentierten Regisseur, der das Gefühl für die Geschichte nie aus den Augen verliert.

„Restless“ ist schön, aber auch tragisch. Es geht um das Finden des Glücks und das Festhalten des Selben. Und wie kein anderer Film, erinnert uns „Restless“ daran, dass alles irgendwann endet. Wie in einem Elliot Smith Song.

Restless (USA, 2011): R.: Gus Van Sant; D.: Henry Hopper, Mia Wasikowska. Ryo Kase, u.a.; M.: Danny Elfman; Offizielle Homepage

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Dienstag, 4. Oktober 2011

Melancholia

Bundesstart: 6. Oktober 2011

Über Lars von Trier muss man an dieser Stelle gar nicht mehr viel sagen. Oft gelobt und noch öfter diskutiert, hat er sich in der Filmwelt einen festen Platz als ambitionierter Künstler geschaffen. Seine Filme heben sich stets von allem anderen ab und lassen sich schwer in eine bestimmte Genre-Schublade stecken. Es gibt viele Fans, die seine Arbeiten abgöttisch lieben und es gibt mindestens genau so viele Menschen, die oft nichts damit anfangen können. Ich zähle mich eher zu Letzreren. Anstatt mich darüber aufzuregen, erkenne ich von Triers Werk als abstrakte Kunst an, die das Medium Film nicht nur auf unkonventionelle Weise nutzt, sondern es jedes Mal aufs neue zu revolutionieren versucht. Genug der Wortklaubereien und Zeit für Klartext: Hier kommt „Melancholia“

Justin ist frisch verheiratet und ist mit ihrem Bräutigam auf dem Weg zur Hochzeitsfeier. Diese findet im nagelneu errichtetem Familienanwesen ihres Schwagers John statt. Die ganze Familie ist versammelt. Die Stimmung ist gedrückt, denn das Brautpaar hat sich verspätet und es gilt ein langes Programm zu absolvieren. Während des Essens, des Tanzes und des Anschneidens der Hochzeitstorte werden viele Reden geschwungen und schnell wird klar, dass die Familie tief gespalten ist und Justin zum Dreh- und Angelpunkt des familiären Glücks geworden ist. Sie sieht sich also enormen Druck ausgesetzt und ist sich sicher, diesem nicht standhalten zu können. Ihre Schwester Claire sorgt sich derweil um etwas völlig anderes. Aus den Tiefen des Weltalls kommt der Planet Melancholia auf die Erde zugerast. Auch, wenn die Wissenschaftler allesamt versichern, der Planet würde die Erde nur knapp passieren und das Ereignis als spektakuläres Naturschauspiel feiern, verbreitet die Ankunft des Planeten eine gedrückte Stimmung und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die gesamte Hochzeit unter keinem guten Stern steht.

Die beiden Storyteile sind sehr simpel und durch lediglich sehr groben Elementen miteinander verbunden. Trotzdem hängt alles zusammen und ist mit schlichten, aber wirkungsvollen Bildern untermalt. Die Einführung des Films ist in hochauflösender Suprazeitlupe gedreht und bildet den visuellen Höhepunkt des gesamten Films. Hier tobt sich von Trier richtig aus, nur um dann die eigentliche Geschichte in einem sehr harten Dogma-Stil zu erzählen. Durch den reduzierten Stil haben allerdings die Schauspieler alle Möglichkeiten, sich zu entfalten und sie liefern allesamt eine sehr intensive Darstellung ab. Sie wirken in diesem Film ganz natürlich. Man bekommt den Eindruck, ganz normale Menschen zu beobachten und keine Schauspieler, die so tun, als wären sie ganz normale Menschen. Das hätte ich Kirsten Dunst zum Beispiel nicht zugetraut. Doch besonders sie wächst enorm über sich hinaus und vermittelt eine tiefgespaltene Person, die im Verlauf des Films unglaublich viele Facetten des menschlichen Verhaltens zeigt. Trotz des abstrakten Stils des Films, wird die Geschichte auf sehr klare Weise erzählt. Die Story ist sowieso das Wichtigste und gewinnt immer mehr an Intensität und man ist förmlich zum Zerreißen angespannt. Das ist eine Eigenschaft, die fast alle von Trier-Filme teilen. Ob der Mann jetzt Künstler, oder Visionär ist, er weiß, wie man Geschichten erzählt. Das führt mich zu der Vermutung, dass er durch seinen unkonventionellen Stil bewusst provoziert. Andere Regisseure seines Formats haben diesen radikalen Kunststil nämlich wesentlich konsequenter durchgezogen.

„Melancholia“ ist anders. Anders, als andere Filme und anders, als „Antichrist“, der schockierende von Trier-Vorgänger. Doch auch hier verarbeitet der Künstler tief verwurzelte Depressionen, die durch die unglaublichen Dimensionen des Filmes sogar noch intensiver rüber kommen, als bei all seinen Filmen davor. Unabhängig davon, ob man alles versteht, oder ob man von Triers Auffassung über das Leben und der Menschheit teilen kann, „Melancholia“ ist beeindruckend. Auf gewisse Art der Höhepunkt von Triers' Schaffens. Doch auch hier gilt die Regel des schwer Einzuordnenden. Superlative funktionieren hier nicht, denn der Film lässt sich eigentlich mit nichts vergleichen.

Melancholia (DK, S, GB, 2011): R.: Lars von Trier; D.: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, u.a.; Offizielle Homepage

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