Mittwoch, 17. April 2013

The Best Offer

Es ist immer faszinierend, zu welchen Taten ein Mensch fähig ist, wenn er etwas will. Ich meine damit nicht unbedingt Habgier, sondern das Verlangen nach etwas, das eigentlich unerreichbar ist. Ich meine die Obsession, die entfacht wird und die letztendlich dafür sorgt, dass man um sich herum nichts anderes mehr wahrnehmen kann. Das gibt natürlich Stoff für spannende Geschichten. Wenn sie gut erzählt sind, muss die Figur, um die es sich dreht, gar nicht so präzise konstruiert werden, denn die Charaktereigenschaften, die diese Figur glaubhaft machen, entwickeln sich erst mit zunehmendem Verlauf der Geschichte. Man sitzt also im Kino und beobachtet einen Mann, der Schritt für Schritt in sein Verderben läuft. So etwas ähnliches versucht Giuseppe Tornatore, der italienische Regisseur, bei dem die Filmwelt immer den Atem anzuhalten scheint, wenn er einen neuen Film ankündigt. Nach „Cinema Paradiso“ und „Baaria“ kommt nun „The Best Offer“.

Virgil Oldman ist Londons bedeutendster Kunstauktionator. Wenn jemand auf dem Dachboden etwas findet, was er für annähernd wertvoll hält, geht er zu Virgil und lässt es schätzen. Oldman ist sich seines Rufes und seiner Bedeutung durchaus bewusst, weshalb er in den Luxus kommt, sich seine Kunden aussuchen zu können und sich die ein oder andere Macke zu erlauben. Zum Beispiel spricht er nie sofort mit seinen Kunden, sondern lässt von seinem Mitarbeiterstab gründlich fildern. Die Wartelisten sind also lang und nur wenige Kunden kommen in den Genuss Oldmans persönlicher Anwesenheit. An seinem Geburtstag zum Beispiel geht er ins exklusivste Restaurant am Platz und der ganze Raum beobachtet einen missmutigen Mann, der lustlos in seinem Essen herum stochert. Virgil Oldman ist also ein knorriger alter Mann, der nicht besonders gut mit Menschen umgehen kann. Nebenbei ist er aber auch auf der Suche nach etwas und sammelt wie ein Verrückter Portraits von Frauen. Mit Hilfe seines Freundes Billy ersteht er auf seinen eigenen Auktionen Bilder zu geringen Preisen. Bei Bildern, die er haben will, erstellt er falsche Wertgutachten und bezahlt so nur wenige hundertausend Pfund für ein Werk, welches eigentlich Millionen wert ist.
Eines Tages erhält er den Auftrag, die alte Ibbetson-Villa zu besuchen und ein umfassendes Gutachten zu erstellen. Das Haus ist voller Schätze und er kann sich der Faszination dieses Ortes nicht erwehren. Die Auftraggeberin hingegen strapaziert seine Geduld mehr als einmal. Entgegen seiner üblichen Verfahrensweisen, hält er bisher lediglich telefonischen Kontakt und ganz offensichtlich verheimlicht die Frau etwas. Virgil ist empört und will den Auftrag wieder ablehnen. Doch etwas hält ihn ab.

Tornatore hatte immer einen ganz besonderen Stil, Geschichten zu erzählen. Er sucht sich immer ganz spezielle Gegenstände, an denen er dann eine Story epischen Ausmaßes entfalten kann. In „Cinema Paradiso“ waren es ein paar Schnipsel Filmrolle und in „Baaria“ zum Beispielavancierte ein alter Ring in einem halb abgerissenen Haus auf verblüffende Weise zum Schlüsselsymbol. Das funktioniert sehr gut, denn die Gedanken des Zuschauers haben einen Anker, der alles an einem bestimmten Punkt halten kann, um den sich dann die gesamte Story dreht. Ohne, dass es also zu gekünstelt wirkt, bleibt die Geschichte rund und man kann immer alles nachvollziehen. In „The Best Offer“ fehlt dieser eine Punkt irgendwie. Über lange Strecken scheint der rote Faden zu fehlen und das eigentliche Thema des Films erschließt sich erst in den letzten Minuten. Ich habe nichts gegen überraschende Wendungen oder ein schockierendes Ende. Es muss nur nachvollziehbar sein. In „Prestige“ von Christopher Nolan zum Beispiel – ein Film, der eines der großartigsten Enden der Filmgeschichte parat hält – gibt es während des gesamten Films immer wieder Hinweise. Der Zuschauer wird quasi erdrückt mit Hinweisen, die ihm das Ende eigentlich schon verraten. Allerdings wird vorgegaukelt, dass das Thema des Films ein ganz anderes ist. Deshalb ist man am Ende von „Prestige“ so überrascht, obwohl alles logisch und nachvollziehbar bleibt. Ähnlich gut funktioniert es auch in „The Sixth Sense“ von M. Night Shymalan, der hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt sei.
„The Best Offer“ platzt einfach mit einem völlig unlogischen Story-Twist am Ende heraus und es wird nur dadurch erkennbar, wenn man sich nach dem Film direkt mit anderen Kinogästen austauschen kann. Das trägt zwar zur Konversation bei, hinterlässt aber irgendwie einen unbefriedigenden Eindruck. Das ist schade, denn der Großteil des Films ist sehr gelungen. Der Stil ist sozusagen zweigeteilt. Viel Szenen, die im Freien stattfinden sind grau gehalten. Szenen, die in der Villa spielen, oder bei den Auktionen wirken viel wärmer und ihnen haftet ein leichter goldener Schimmer an. Die Figur des Virgils ist voller Widersprüche. Auf der einen Seite mimt er den pedantischen aber ehrbaren Mann, auf der anderen Seite betrügt er die Leute, deren Respekt er förmlich befiehlt, um all die Bilder zu bekommen. Er ist im Grunde nichts anderes, als ein Dieb, der von Obsessionen getrieben wird. Das soll ihm natürlich irgendwann zum Verhängnis werden. Andere Figuren verkommen dafür relativ schnell zu Platzhaltern, um Schlüsselpositionen einzunehmen. Dadurch wirkt ein Großteil des Films blass.

Vorführer Falko hat mir gesagt, ein Kritiker sein kein guter Kritiker, wenn er in einer Rezension die Floskel „Im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten...“ benutzt. Aber hier muss ich das tun, denn ich verbinde ganz besondere Erinnerungen mit Tornatore. Als Kind hatte ich die Möglichkeit, eine sehr interessante Auswahl an Filmen sehen zu können. Der erste Videorekorder im Haus wurde genutzt, um alle möglichen Filme aufzunehmen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, oft mitten in der Nacht, gelaufen sind. Neben „Apokalypse Now“, „2010“ oder „Lautlos im Weltall“ war es eben besonders „Cinema Paradiso“, der mich total begeistert hat, und den ich einfach immer und immer wieder sehen wollte. Das ist eben ein früheres Werk Tornatores, welches man nicht mehr vergisst. Ein Film, der sich in jeder kleinen Einzelheit ins Gedächtnis gebrannt hat und natürlich muss sich jeder Film, den er nachliefert dem Vergleich mit „Cinema Paradiso“ stellen. Und im Vergleich dazu, ist „The Best Offer“ sicherlich kein schlechter Film, aber eben blass und irgendwie unfertig. Fast so, als würde ein kleiner Schnipsel Filmrolle, irgendwo mittendrin fehlen.

La migliore offerta (I, GB, 2013): R.: Giuseppe Tornatore; D.: Geoffrey Rush, Liya Kebede, Donald Sutherland, u.a.; M.: Ennio Morricone; Offizielle Homepage

Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.