Francois
Ozon ist ein Regisseur, der stets die Gemüter spaltet. Das liegt
daran, dass er seit jeher mit Konventionen bricht. Jeher heißt im
Übrigen noch gar nicht so viel. Mir hat sich immer der Eindruck
geboten, Ozon sei einer dieser klassischen französischen Regisseure,
die seit zig Jahren versuchen, die Novelle Vague aufrecht zu erhalten
und sich einfach und konsequent jeder Innovation im Medium Film
verweigern. Ozon selbst hat diese prägende Phase des europäischen
Kinos gar nicht mitbekommen. Seinen ersten Spielfilm lieferte
Ozon 1997 ab. „Besuch am Meer“ fiel schon damals auf, denn vor
allem Ende der 90er erhielt das französische Kino mit Luc Besson
einen wahnwitzigen Drive, der den Tugenden der großen Regisseure im
Sturm davon lief.
„Besuch
am Meer“ erhielt 12 Jahre später eine Fortsetzung und nach
„Rückkehr ans Meer“, soll es noch einen abschließenden dritten
Teil geben. Ozon schwor also in einer Phase, in der sich das Kino
seines Heimatlandes in einer Art Aufbruchstimmung befand, auf seine
ganz eigenen Vorlieben und etablierte eine Filmreihe, der er
vollkommen und erbarmungslos das Tempo nahm, welches im Umkehrschluss
direkt in Bessons Filme zu rauschen schien. Unterschiedlicher konnten
Regisseure und ihre Filme zur selben Zeit wohl kaum sein. Beide
Filmemacher sollten im Zuge ihrer Karriere einige Veränderungen
durchlaufen. Ozon legte nach: Beachtung erhielten sein Quasiremake
des Krimi-Thrillers „Swimming Pool“ und das ultimative Treffen
der buchstäblichen Grand-Dames in „8 Frauen“.
In
den letzten Jahren gelang Ozon mit „Das Schmuckstück“ ein
weltweit erfolgreicher Film, der trotz seines konsequenten Bruchs mit
Konventionen besonders viele Menschen ins Kino lockte.
Was
seinen besonderen Stil ausmacht, und wodurch er entsteht, habe ich
allerdings erst jetzt erkannt, nachdem ich seinen neuesten Film „Jung
und Schön“ gesehen habe.
Isabelle
ist gerade 17 Jahre alt geworden. Ihre Familie verbringt den Urlaub
an einem wunderschönen Strand, denn das Leben meint es gut mit ihr.
In Zeiten von Jobmangel und Finanzkrise fehlt es Isabelle an nichts
und – mehr noch – sie bekommt alles, was sie will. Während des
Urlaubs bandelt sie mit einem deutschen Touristen an. Was zunächst
aussieht, wie eine erste zarte Liebe, entpuppt sich allerdings
schnell, als das Sammeln erster, echter sexueller Erfahrungen. Bevor
also mehr aus dem ersten Mal am Strand werden kann, ist der Urlaub
schon wieder vorbei. Wieder zu Hause, beginnt Isabelle mit ihrem
Leben zu hadern und bricht einfach aus den Grenzen ihrer Existenz
aus. Sie beginnt, als Prostituierte zu arbeiten. Schnell merkt sie,
dass ein Mädchen, welches so ungewöhnlich jung und schön ist, wie
sie, sehr viel Geld für die entsprechenden Dienste verlangen kann.
Nach anfänglicher Scheu häufen sich die Aufträge und innerhalb
kürzester Zeit hat Isabelle eine beeindruckende Summe
erwirtschaftet. Eines Tages wird die Polizei auf Isabelle aufmerksam
und informiert ihre Mutter.
Bevor
man diesen Film sieht, erkundigt man sich natürlich, worum es geht.
Francois Ozon hat sich ein Thema heraus gesucht, das unangenehm ist,
weil es mit gesellschaftlichen Werten und Tabus bricht. In unserer
Gesellschaft hat sich ein festes Bild über minderjährige
Prostituierte etabliert. Gepaart mit Menschenhandel und organisierten
Verbrechen, sind wir uns dieses Problems bewusst, kapitulieren aber
vor der Machtlosigkeit. Solche Dinge liegen im Schatten und wir leben
im Licht. Mit diesem Klischee hat „Jung und Schön“ aber nichts
zu tun. Isabelle entscheidet sich freiwillig und absolut bewusst für
diese Tätigkeit. Teenager sind irgendwann in einem Alter, in dem sie
etwas Neues probieren, rebellieren wollen. In den meisten Fällen
äußert sich das allerdings anders. Die meisten Kids gehen heimlich
auf Partys, saufen sich ins Koma, nehmen Drogen und verüben
Ladendiebstähle, klauen das Auto des Vaters und tun immer genau das,
was ihnen ihre Eltern verboten haben. Isabelle nun bricht aus ihrem
wohl behüteten Leben aus, in dem sie anschaffen geht. Nicht mehr und
nicht weniger. Und ebenso nüchtern stellt Ozon diese Geschichte dar.
Dabei gelingt ihm das Kunststück, aus dieser Geschichte kein
überkanditeltes oder kitschiges Drama werden zu lassen. Ozon
entwickelt seine Figuren mit einer gewissen Oberflächlichkeit.
Isabelle hat abgesehen von den Titel gebenden Eigenschaften keinerlei
Charaktermerkmale, die in irgendeiner Weise ins Gewicht fallen
würden. Diese Figur hat keine Skrupel das zu tun, was sie tut. Sie
hat kein schlechtes Gewissen und ihr Handeln hat nahezu keinerlei
Konsequenzen für sie; es gibt nichts, was sie aus diesen Ereignissen
lernen kann. Ob man als Zuschauer etwas mit diesem Stil anfangen
kann, oder nicht, spielt keine Rolle. Ozon schert sich nicht darum,
wie ein anderer Regisseur diese Geschichte inszeniert hätte. Er
erzählt die Geschichte, wie es ihm passt. Man könnte ihm eine
fachliche oder gar kreative Unbedarftheit beim Entwickeln seiner
Figuren vorwerfen, hätte er sich nicht ganz bewusst für diese
blassen Charaktereigenschaften entschieden. Das ist Ozons Stil, den
er sich über viele Jahre hinweg erarbeitet hat. In einem Thriller,
wie „In ihrem Haus“ kann dieser Stil den ganzen Film vor die Wand
setzen. Bei einem vielschichtigen Thriller, der sich erst im
allerletzten Moment aufdröselt und entsprechend verzwickt und
komplex konstruiert sein muss, funktioniert dieser reduzierte Stil
einfach nicht. Bei einem Film über Dinge, die echt sind und in
unserem Leben täglich passieren, entfaltet sich dieser Stil nahezu
perfekt.
„Jung
und Schön“ ist krass. Der Film konfrontiert den Zuschauer mit
einer Situation, mit der man im alltäglichen Leben einfach nicht
konfrontiert werden will. Im Kino sieht man aber nun mal nicht nur
alltägliche Dinge. Ozon vermag es, dieses heftige Thema auf
nüchterne, fast schon lieblose Art und Weise zu adaptieren und
entwickelt seinen Stil konsequent weiter. Ob man etwas mit diesem
Stil anfangen kann, muss jedoch jeder für sich entscheiden. Ich sehe
in diesem Film und mit dieser Geschichte allerdings die perfekte
Bühne für Ozons eigenwillige Erzählweise.
Jeune
& Jolie (F, 2013): R.: Francois Ozon; D.: Marine Vacth, Geraldine
Pailhas, Charlotte Rampling, u.a.; M.: Philippe Rombi; OffizielleHomepage
In
Weimar: lichthaus
Kineast
im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
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