Donnerstag, 31. Juli 2014

Wir sind die Neuen

Heißt es nicht, dass man in der Vergangenheit immer glücklicher gewesen zu sein scheint, als in der Gegenwart? Wem passiert es nicht, dass er wehmütig an Früher denkt und nicht selten den Sinn für den Augenblick verliert? Älter wird jeder und jeder durchläuft Phasen seines Lebens, in denen es ihm nicht so gut geht. So ist es vollkommen normal, sich an Zeiten zurück zu erinnern, in denen es einem besser ging. Genau davon handelt der neue Film von Regisseur Ralf Westhoff, „Wir sind die Neuen“. Zu schwermütig wird es jedoch nicht, denn wer den Regisseur und seine früheren Arbeiten kennt, weiß, dass er sich auf eine gehörige Portion, bitter bösen Sarkasmus und unverhohlene Gesellschaftskritik freuen kann.

Anne ist eine Biologin, die in ihrer Studienzeit in den 60er Jahren voll und ganz dem Geist von Liebe, Freiheit und...Ja, Liebe pflegte. Nach Ende ihres Studiums bekam sie schlecht bezahlte, aber hoch motivierende Jobs und sitzt nun in einer wundershönen Wohnung in der Münchner Innenstadt. Aus dieser Wohnung muss sie nun raus, denn die Tochter der Vermieterin erhebt Anspruch und bezahlbarer Wohnraum ist knapp. In ihrer Not kommt Anne eine grandiose Idee. Sie kontaktiert die ehemaligen Mitbewohner aus ihrer alten WG und schlägt vor, wieder zusammen zu ziehen. Zwei der alten Spezies – Eddie und Johannes – lassen sich tatsächlich darauf ein und die Wohnungssuche beginnt. Nach einigen Schwierigkeiten gelingt es den Dreien, eine Wohnung zu bekommen und der Umzug kann los gehen. Die Wohnung befindet sich in einem schönen Viertel und die anderen Wohnungen sind überwiegend von jungen Studenten-WG's belegt. Tolle Voraussetzungen für ein lockeres Zusammenleben. Zumindest denken das die drei Alt-68er, die während des Umzugs vollkommen auf zu blühen scheinen. Die Vorstellungsrunde im Haus läuft dann aber doch anders, als erwartet. Der Nachbar gegenüber, ist nahezu nur unterwegs, kann aber immerhin versprechen, sich für Juli mal einen Abend für n Weinchen frei zu halten. Besonders überrascht wird die frisch gebackene WG aber von Nachbarn über ihnen. Hier leben Katharina, Barbara und Thorsten, zwei Jura-Studenten und eine Kulturstudentin, die den neuen Nachbarn ziemlich unmissverständlich kommunizieren, dass sie unmöglich Kapazitäten aufbringen können, den alten Leuten zu helfen. Abgesehen davon machen sie deutlich, dass es ihnen entschieden zu laut zu gegangen ist, in den letzten Tagen. Schnell entwickelt sich nicht nur ein Interessenskonflikt, sondern ein ausgewachsener Generationen-Kampf zwischen den beiden Mietparteien. Und dann wird es lustig.

Ralf Westhoff ist ein exzellenter Beobachter. Schon 2006 gelang ihm in seiner kleinen, charmanten, aber auch bissigen Speed-Dating-Komödie „Shoppen“ ein treffendes Bild des modernen Stadtmenschen, der sich selbst für so etwas intimes, wie den Akt des Sich-Verliebens in strenge und fest gelegte Regeln verpacken lässt. Die Mischung aus perfekt eingefangenen und wieder gegebene Klischees und den messerscharfen Dialogen, machte „Shoppen“ zu einem ganz besonderen Genuss.
Genau diese Mischung gelingt Westhoff nun auch in „Wir sind die Neuen“. Zunächst amüsiert man sich über die jung gebliebenen Alten, die im Geiste irgendwie in der Zeit stehen geblieben sind und das in allen gängigen Klischees im Film zelebriert wird. Dem gegenüber stehen die jungen Studenten, die ehrgeizig und fast schon besessen ihrem Studium nach gehen; die ihre Wohnung in eine detailgetreue Abbildung eines IKEA-Kataloges verwandelt haben; die ihre Schuhe fotografieren und die Fotos auf die passenden Schuhkartons kleben; die selbst beim kleinsten Geräusch aus der unteren Wohnung laut klopfen; denen die Reinigung eines blitzsauberen Treppenhauses scheinbar über alles geht. Hier spielt Westhoff sehr gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers. Er zeichnet ein schlüssiges Bild, bestehend aus Klischees und suggeriert einen wahrscheinlichen Fortgang der Geschichte. An einem bestimmten Punkt der Geschichte dreht er die Situation einfach und vertauscht die Rollen. Dieser Umschwung der Situation funktioniert perfekt und allein daraus entstehen unfassbar lustige Momente. Gepaart mit den messerscharfen und punktierten Dialogen entsteht eine Komödie, über die man sich förmlich schlapp lachen kann, ohne, dass man merkt, dass mein eigentlich über sich selbst lacht.
Die Auswahl der Darsteller ist auch voller Bedacht geschehen. Gisela Schneeberger vereint in ihrer Person so viele Klischees, die sie ohne große Mühe einfach über den Haufen werfen kann. Heiner Lauterbach, der sozusagen die gesammelte Antipathie seiner bisherigen Rollen aufbringt, um sich am Ende doch als ein liebenswerter, echt netter Typ zu entpuppen.

„Wir sind die Neuen“ ist locker, witzig und sprüht vor Sarkasmus. Eine Mischung, die gut funktioniert und nur von wenigen Regisseuren beherrscht wird. Angesichts der überzeugenden Figuren und der tollen Dialoge lassen sich kleinere handwerkliche Fehler und leichte Defizite im Drehbuch sehr leicht verschmerzen. Unterhaltsam und überaus sehenswert.

Wir sind die Neuen (D, 2014): R.: Ralf Westhoff; D.: Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Karoline Schuch, u.a.; Offizielle Homepage.

In Weimar: lichthaus

Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

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