Freitag, 20. Mai 2011

Winter's Bone

Die Oscarverleihung ist schon eine Weile vorbei und der Wirbel und die Aufregung haben sich längst gelegt. Interessanterweise waren damals viele Zuschauer der Meinung, Natalie Portman hätte den Oscar für ihre Rolle in „Black Swan“ voll und ganz verdient. Seit ein paar Wochen läuft nun der hartnäckigste Konkurrent Portmans in den deutschen Kinos und nun sagen viele – wahrscheinlich die gleichen Leute – Jennifer Lawrence wäre viel besser und die Vergabe der Auszeichnung sei nicht nachzuvollziehen. Ob das so ist, sollte man am besten selbst entscheiden, nachdem man sich „Winter's Bone“ angesehen hat

Ree lebt mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern in einer vergammelten Hütte in einer swe trostlosesten Gegenden des amerikanischen Outbacks. Die Zeiten sind hart und es fehlt an allem. Neben der ständigen Sorge um Geld, muss sich Ree auch noch um ihre kranke Mutter kümmern. Ohne tägliche Ausflüge in den Wald, hätte die Familie wohl nicht genug Essen. Eines Tages steht der Sheriff vor der Tür und informiert sich nach dem Aufenthaltsort des Vaters. Der ist nämlich wegen Drogendelikten ins Gefängnis gekommen und nun auf Kaution wieder auf freien Fuß. Als Kautionsbürge hat er das Haus und das Grundstück der Familie verpfändet. Sollte er zu seinem Gerichtstermin nicht erscheinen, verlieren Ree und ihre Familie alles, was sie haben. Da der Sheriff in der Gegend nicht besonders angesehen ist, sieht er sich außerstande, den Gesuchten zu finden. Ree macht sich also selbst auf die Suche.

Zunächst muss man sich mit einer Sache abfinden. Das Gezeigte Leben und die Zustände in der Umgebung Ree's und ihrer Familie sind echt und spielen in der Gegenwart. Im Jetzt! Zu gerne führt einem das Unterbewusstsein nämlich vor Augen, dieser Film spielt in der Vergangenheit, zu Kriegszeiten, oder meinetwegen auch in einer fiktiven Zukunft. Aber diese ungastliche Gegend mit den unfreundlichen und grusligen Bewohnen existiert wirklich, auch wenn man es nicht fassen will. Die Menschen haben nur das nötigste zum Leben und verteidigen es gegen jeden, ob nun Verwandt oder Fremd. Untereinander herrscht eine ständige Feindseligkeit, und wer alleine nicht zurecht kommt, braucht nicht auf die Hilfe des Nachbarn zu hoffen. Dort herrschen ganz bestimmte Regeln. Wer sich nicht an sie hält, verschwindet spurlos. Und dieser lebensfeindlichen Umgebung muss nun ein junges Mädchen das tun, wodurch sie sich den Unmut Aller aufzieht. Sie kommt zu allen möglichen Häusern und stellt unbequeme Fragen. Die Antworten werden ihr verwehrt, weil ihr Onkel einen schlechten Ruf hat oder ihr Vater vielen Menschen Geld schuldet oder weil sie selbst den Ruf hat, viel über andere Menschen zu reden. Und wer redet, verschwindet spurlos. Regisseurin Debra Granik zeichnet ein gleichermaßen trostloses und beängstigendes, wie auch faszinierendes und intensives Bild des Lebens im Outback. Die Atmosphäre ist unglaublich dicht und der Film lässt wenig Hoffnungsschimmer. Viel mehr zieht er das Schreckliche und Unfassbare konsequent durch und peinigt den Zuschauer mit Bildern verbitterter und verwahrloster Menschen, die sich untereinander behandeln, als lebten sie im finsteren Mittelalter. Haben wir uns zum Beispiel bei den Simpsons über die Hinterwäldler lustig gemacht, wird dieses Bild auf erstaunliche Art und Weise korrigiert. Erst sagt man: „Die sind ja, wie bei den Simpsons“ und dann merkt man: „Das ist aber gar nicht lustig, wie die leben müssen“ „Winter's Bone“ beeindruckt außerdem durch Gründlichkeit. Das Zusammenspiel von Ästhetik, Musik und Darstellern ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und verdient an sich schon Anerkennung. Um abschließend auf die Darstellung einer Jennifer Lawrence zu kommen: Sie spielt sehr gut und ihre Rolle trägt im Prinzip den gesamten Film. Dennoch vollzieht ihre Figur keine Entwicklung, was im Grunde den ganzen Film noch tragischer macht. Nichts an ihrer Lebenssituation wird sich je ändern und im besten Fall besteht der Status Quo. Betrachtet man Lawrence' bisherige Rollen, so findet man die üblichen Stationen der Karriere einer amerikanischen Jungschauspielerin. Der Oscar wäre sicher verfrüht gewesen und man sollte abwarten, wie sie sich in ihren nächsten Projekten schlägt.

„Winter's Bone“ ist ein intensives Drama, welches einen kompromisslosen und schockierenden Blick in eine andere Welt gewährt, die aber bei genauerer Betrachtung nicht so weit weg ist, wie man es sich angesichts dieser Bilder wünscht.

Winter's Bone (USA, 2010): R.: Debra Granik; D.: Jennifer Lawrence, Shirley Waggener, Garret Dillahunt, u.a.; M.: Dickon Hinchliffe; Offizielle Homepage

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

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