Donnerstag, 29. März 2012

Schilf

Es ist ein überaus faszinierendes, wie auch beängstigendes Thema. Paralleluniversen können wohl in der Theorie existieren, sind aber in der Praxis nicht nachweisbar. Dadurch werden sie zum perfekten Motiv für utopische Science Fiction Filme oder Fantasyepen. Wirklich ernsthaft hat sich bisher kein Film mit dem Thema auseinander gesetzt, es stattdessen lediglich als Aufhänger genutzt, um dann doch einen Standartgenrefilm zu produzieren. Vielleicht neigt man deshalb dazu, Wissenschaftler zu belächeln, die sich ernsthaft und geflissentlich mit parallel existierenden Welten beschäftigen. Seit einigen Tagen läuft der Film „Schilf“ in Weimar und ich habe mich in die Parallelwelten ziehen lassen und bin einigermaßen verwirrt wieder in unsere Wirklichkeit zurück gekehrt.

Sebastian Wittich ist Physiker und hat eine Professur an der Uni Jena. Sein Fachbereich sind parallel existierende Wirklichkeiten. In seinen Vorlesungen berichtet er, dass jede Entscheidung und jede Möglichkeit zu einer parallelen Wirklichkeit führen kann. Ganz laienhaft gesprochen: In der einen Wirklichkeit gehe ich an der Gabelung nach links und in der anderen Wirklichkeit nach rechts. Uns selbst ist aber immer nur unsere eigene Wirklichkeit bewusst, weshalb es ja auch so schwer ist, die Existenz von anderen Wirklichkeiten zu beweisen. Sebastians bester Freund Oskar ist der Meinung, es sei nicht schwer, sondern unmöglich zu beweisen, und dadurch nichts weiter als Luftschlösser, denen Sebastian nicht länger hinterher jagen sollte. Der lässt sich nicht von seiner Theorie abbringen und stürzt sich in die Arbeit. Dann geschieht allerdings etwas unvorhersehbares. Sebastians Sohn wird entführt und eine mysteriöse Frau meldet sich bei ihm. Sebastian kann nicht glauben, was er hört, aber offensichtlich soll er jemanden aus dem Weg räumen, um seinen Sohn unversehrt wieder zu bekommen...

Trotz des komplexen Themas ist „Schilf“ in einem ganz schlichten Stil gehalten. Das ist einfach nur konsequent, denn so, wie der Protagonist betrachtet man nun alles von der rein wissenschaftlichen Seite. Ohne übernatürlichen Quatsch, wie leuchtende Brücken oder Spiegelbilder von Menschen, die eigentlich nicht da sind. Trotz oder wegen der rein wissenschaftlichen Herangehensweise, ist man sehr gefesselt. Man sagt sich die ganze Zeit: „Das kann einfach nicht sein.“ Und im Laufe des Films merkt man, es ist auch nicht so, sondern viel schlimmer. Zur Sache: Der Film spielt gekonnt mit der Wahrnehmung und den Erwartungen des Zuschauers. Erst denkt man, der Film sei super komplex und man achtet auf jedes noch so kleine Detail, um ja nichts zu verpassen. Kaum hat man das Muster des Films durchschaut und glaubt zu wissen, was gespielt wird, kommt ein völlig überraschender Umschwung. Der sorgt allerdings nicht für Verwirrung oder Frust, sondern zeigt nur ein neues Muster auf und man sagt sich: „Ach so. Ja, dann ergibt das natürlich alles Sinn.“ Pustekuchen, denn auch das ist nur eine weitere Spielart mit dem Zuschauer und am Ende blickt man gar nicht mehr durch.
Technisch bietet der Film alles, was man von einem soliden Erstling erwarten kann. Man zeigt, was man alles tolles mit der Kamera machen kann; hektische Schnitte, weiche Blenden, verschobene Perspektiven, Spiel mit Licht- und Unschärfeeffekten, und so weiter. Dadurch bekommt der Film manchmal einen leicht naiven Touch. Dem Zuschauer wird alles mit dem Presslufthammer eingebläut. Aber Achtung! Auch nur ein gekonnt eingesetztes Stilmittel, nur um den Zuschauer zu ärgern.
Ich gebe zu, dass ich mich ganz schön aufgeregt habe, als ich das Kino verließ, aber trotzdem habe ich den Film genossen. „Schilf“ ist unglaublich spannend, hat einen ganz besonderen ästhetischen Stil und bietet sehr gute und überzeugende Schauspieler. Allein Stipe Erceq ist so herrlich zwielichtig und man denkt die ganze Zeit, mit dem ist irgendwas ganz böse nicht in Ordnung.

„Schilf“ macht Spaß. Die Verwirrung über das Ende weicht einer ganz einfachen Erkenntnis. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten und der Film zeigt eben nur eine davon, vergisst allerdings nicht, ständig durch Einsprengsel daran zu erinnern, dass es eben auch noch zahllose andere gibt. Und diese Erkenntnis kommt Hand in Hand mit einem wohligen Schauer, der über den Rücken läuft. So, als würde jemand aus einer parallelen Wirklichkeit darüber streichen.

Schilf (D, 2012): R.: Claudia Lehmann; D.: Mark Waschke, Stipe Erceq, Bernadette Heerwagen, u.a.; M.: Thomas Kürstner & Sebastian Vogel; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, 12:00 bis 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

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