In unserer Jubiläumsausgabe quatschen Antonia und ich über die Filme, auf die wir uns im restlichen Kinojahr 2014 freuen!
Welche Filme wollt Ihr noch unbedingt sehen, dieses Jahr? Was haben wir vergessen? Der Kommentarbereich ist eröffnet!
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Donnerstag, 25. September 2014
Wish I Was Here
Zach Braff ist schon ganz schön cool. Da steht er nun und lächelt verschmitzt, spielt verlegen an seinem Bart herum, auf den er ziemlich stolz ist. Alles an diesem Typen stimmt. Zach Braff ist genau so, wie man sich das immer gewünscht hat, wenn man ihn in „Scrubs“ oder „Garden State“ gesehen hat. Irgendwie hat er nicht so richtig damit gerechnet, dass er in Deutschland so warm empfangen wird. Sein neuer Film ist nun tatsächlich fertig gestellt und hat in Deutschland einen Verleih gefunden, so dass „Wish I Was Here“ nun endlich im Kino laufen kann. Es war ein weiter Weg bis da hin. Kein Studio wollte den Film produzieren. So griff Zach Braff auf Kickstarter zurück und schaffte es, den Film zu finanzieren. Nach Fertigstellung wollte kein Verleih den Film in die Kinos bringen. So tourte Braff durch die Welt, um den Unterstützern den Film zu zeigen und gleichzeitig ein bisschen Werbung zu machen. Letzte Station war die Leipziger Filmkunstmesse und hier konnte das Fachpublikum direkt bewerten, ob „Wish I Was Here“ nach beinahe zehn Jahren Arbeit und der ganzen aufregenden Produktionsgeschichte obendrein auch noch ein sehenswerter Film geworden ist.
Aiden ist Familienvater und Schauspieler. Er lebt mit seinen zwei Kindern und seiner Frau in einem kleinen Haus. Die Kinder gehen auf ein jüdisches Internat. Seine Frau Sarah arbeitet in einer Bürfirma und schafft das Geld heran. Aiden hat schon lange keine Rolle mehr bekommen. Durch den Job seiner Frau und der finanziellen Unterstützung seines Vaters kann Aiden seinen Traum als Schauspieler leben und sich voll und ganz auf Castings und Bewerbungen konzentrieren. Eines Tages erfährt Aiden von seinem Vater, dass dieser schwer krank ist und nun den Rest seines Geldes für eine experimentelle Behandlungsmethode ausgeben will. Durch das fehlende Geld kann die Ausbildung der Kinder in dieser Form nicht mehr bezahlt werden. Aiden sieht nun zwei Möglichkeiten. Entweder er gibt seinen Traum auf, und nimmt sich einen Aushilfsjob, oder er übernimmt die Ausbildung seiner Kinder selbst. Eine dieser beiden Möglichkeiten hat eine Zukunft. Die andere nicht.
Zach Braff hat mit „Garden State“ vor zehn Jahren einen wundervollen, unfassbar rührenden und einprägsamen Film gemacht. Er lebte von einer echten Geschichte, skurrilen Figuren, absurden Situationen und einem ganz besonderen charmanten Humor. Vor allem aber gibt es unfassbar rührende Momente, ohne dass es in den Kitsch rutscht.
Genau diese Formel hat Zach Braff in der Serie „Scrubs“ schon etabliert. Gepaart mit einer sehr sorgfältigen und bewussten Soundtrackauswahl, ist hier ein sehr zugänglicher und typischer Stil entstanden, den man sofort mit Zach Braff in Verbindung bringt. Genau diesen Stil hat er nun konsequent weiter geführt und in seinem neuen Film gesteckt. Im Grunde ist es die gleiche Figur, nur eben zehn Jahre weiter. Diesmal muss er sich eben mit Problemen beschäftigen, die in diesem Alter auftauchen können. Wie erziehe ich meine Kinder? Wie gehe ich mit dem Tod um? Wie bekomme ich Zugang zu meinem Bruder? Wie kann ich meine Familie ernähren und gleichzeitig meinen Traum leben?
„Wish I Was Here“ thematisiert alltägliche Situationen und Probleme und schafft es dennoch, diese Themen zu etwas Besonderem werden zu lassen und durch gezielten Einsatz ganz bestimmter Bilder, einen entrückten, fast schon magischen Eindruck zu erwecken.
Dadurch entsteht obendrein eine unglaubliche Immersion, der man sich nicht entziehen kann. Man sitzt also im Kino, ist ab der ersten Minute regelrecht im Film, wird regelmäßig zum Lachen und Weinen gebracht und am Ende schnieft das ganze Kino vor lauter Rührung.
In solchen Momenten frage ich mich: Wie macht er das nur?
„Wish I Was Here“ ist die konsequente Weiterführung des Garden-State-Konzepts! Zach Braff gelingt in jeder Hinsicht der perfekte Mittelweg. Ja, es ist irgendwie ein zweiter „Garden State“, ohne aber ein Abklatsch oder Aufguss zu sein. Ja, es ist alles irgendwie rührend und wunderschön, ohne aber in den Kitsch ab zu rutschen. Am aller schönste ist aber der Gedanke, dass Zach Braff selbst glücklich ist, diese Geschichte erzählen zu dürfen. Ein durch und durch lieber Mensch, der nur an das Gute glaubt. Dieser Menschenschlag ist doch dieser Tag enorm selten geworden.
Wish I Was Here (USA, 2014): R.: Zach Braff; D.: Zach Braff, Kate Hudson, Josh Gad, u.a.; M.: Rob Simonsen; Offizielle Homepage
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Aiden ist Familienvater und Schauspieler. Er lebt mit seinen zwei Kindern und seiner Frau in einem kleinen Haus. Die Kinder gehen auf ein jüdisches Internat. Seine Frau Sarah arbeitet in einer Bürfirma und schafft das Geld heran. Aiden hat schon lange keine Rolle mehr bekommen. Durch den Job seiner Frau und der finanziellen Unterstützung seines Vaters kann Aiden seinen Traum als Schauspieler leben und sich voll und ganz auf Castings und Bewerbungen konzentrieren. Eines Tages erfährt Aiden von seinem Vater, dass dieser schwer krank ist und nun den Rest seines Geldes für eine experimentelle Behandlungsmethode ausgeben will. Durch das fehlende Geld kann die Ausbildung der Kinder in dieser Form nicht mehr bezahlt werden. Aiden sieht nun zwei Möglichkeiten. Entweder er gibt seinen Traum auf, und nimmt sich einen Aushilfsjob, oder er übernimmt die Ausbildung seiner Kinder selbst. Eine dieser beiden Möglichkeiten hat eine Zukunft. Die andere nicht.
Zach Braff hat mit „Garden State“ vor zehn Jahren einen wundervollen, unfassbar rührenden und einprägsamen Film gemacht. Er lebte von einer echten Geschichte, skurrilen Figuren, absurden Situationen und einem ganz besonderen charmanten Humor. Vor allem aber gibt es unfassbar rührende Momente, ohne dass es in den Kitsch rutscht.
Genau diese Formel hat Zach Braff in der Serie „Scrubs“ schon etabliert. Gepaart mit einer sehr sorgfältigen und bewussten Soundtrackauswahl, ist hier ein sehr zugänglicher und typischer Stil entstanden, den man sofort mit Zach Braff in Verbindung bringt. Genau diesen Stil hat er nun konsequent weiter geführt und in seinem neuen Film gesteckt. Im Grunde ist es die gleiche Figur, nur eben zehn Jahre weiter. Diesmal muss er sich eben mit Problemen beschäftigen, die in diesem Alter auftauchen können. Wie erziehe ich meine Kinder? Wie gehe ich mit dem Tod um? Wie bekomme ich Zugang zu meinem Bruder? Wie kann ich meine Familie ernähren und gleichzeitig meinen Traum leben?
„Wish I Was Here“ thematisiert alltägliche Situationen und Probleme und schafft es dennoch, diese Themen zu etwas Besonderem werden zu lassen und durch gezielten Einsatz ganz bestimmter Bilder, einen entrückten, fast schon magischen Eindruck zu erwecken.
Dadurch entsteht obendrein eine unglaubliche Immersion, der man sich nicht entziehen kann. Man sitzt also im Kino, ist ab der ersten Minute regelrecht im Film, wird regelmäßig zum Lachen und Weinen gebracht und am Ende schnieft das ganze Kino vor lauter Rührung.
In solchen Momenten frage ich mich: Wie macht er das nur?
„Wish I Was Here“ ist die konsequente Weiterführung des Garden-State-Konzepts! Zach Braff gelingt in jeder Hinsicht der perfekte Mittelweg. Ja, es ist irgendwie ein zweiter „Garden State“, ohne aber ein Abklatsch oder Aufguss zu sein. Ja, es ist alles irgendwie rührend und wunderschön, ohne aber in den Kitsch ab zu rutschen. Am aller schönste ist aber der Gedanke, dass Zach Braff selbst glücklich ist, diese Geschichte erzählen zu dürfen. Ein durch und durch lieber Mensch, der nur an das Gute glaubt. Dieser Menschenschlag ist doch dieser Tag enorm selten geworden.
Wish I Was Here (USA, 2014): R.: Zach Braff; D.: Zach Braff, Kate Hudson, Josh Gad, u.a.; M.: Rob Simonsen; Offizielle Homepage
Kineast im Radio: Jeden Sonntag, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
FlimmerCASTen # 19 - Video On Demand
Netflic gibt's jetzt auch in Deutschland! Grund genug für uns, mal den Markt zu betrachten und uns ausführlich über das "Fernsehen" im Internet zu unterhalten.
Wie sieht's bei Euch aus? Seid Ihr schon voll im VOD-Wahn, oder wartet Ihr lieber noch ein bisschen ab, um die Kinderkrankheiten zu überspringen?
Wie sieht's bei Euch aus? Seid Ihr schon voll im VOD-Wahn, oder wartet Ihr lieber noch ein bisschen ab, um die Kinderkrankheiten zu überspringen?
Donnerstag, 7. August 2014
No Turning Back
Kammerspiele in Filmform sind immer eine Herausforderung für alle. Für Regisseur, für Hauptdarsteller und – wenn es schief geht – für das Publikum. So faszinierend der Gedanke auch ist, mit wenigsten Mitteln und Menschen, eine spannende und eindrückliche Geschichte zu erzählen, so schwierig ist es, diese Aufgabe zu erfüllen. Es gibt ein paar Vertreter der Regie-Zunft, die die Inszenierung von Kammerspielen perfektioniert haben. Roman Polanski ist so ein Regisseur. Sein „Der Tod und das Mädchen“ gehört mit zu den intensivsten Filmerfahreungen, die ich gemacht habe, und das, obwohl nur drei Schauspieler beteiligt sind. Nicht weniger intensiv war „Der Gott des Gemetzels“. Doch nicht nur Polanski beherrscht dieses Genre. Rodrigo Cortes inszenierte 2010 „Buried“, der eineinhalb Stunden nur in einem vergrabenen Sarg spielt. Joel Schumacher gelang 2002 eine passable Fassung von Hitchcock's nie realisierten Traumprojekt „Nicht Auflegen“ über einen Mann, der von einem skrupellosen Erpresser in einer Telefonzelle fest gehalten wird. Zu guter Letzt spielte sich Robert Redford vor Kurzem in „All is Lost“ förmlich die Seele aus dem Leib. Hier gab es nur einen Mann und das Meer.
Regisseur Steven Knight hat nun ein weiteres Experiment gewagt, das vor allem durch absolute Reduktion zu einem wahren Hingucker wird.
Ein Mann steigt ins Auto und fährt los. Der Mann sieht müde aus und so, als gingen einige Dinge in seinem Kopf vor. Nach wenigen Minuten wählt er eine Nummer und man erfährt, dass er ganz unverhofft und dringend nach London fahren muss. Einige Telefonate später wissen wir schon mehr. Ivan ist offensichtlich Bauleiter eines Millionenprojekts und gerade in dieser Nacht ist das Projekt an einem wichtigen und heiklen Punkt angelangt, welches eigentlich seiner uneingeschränkte Aufmerksamkeit bedarf. Doch Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Gleichzeitig findet ein wichtiges Fußballspiel statt und eigentlich wollte Ivan mit seinen Söhnen und seiner Frau einen gemütlichen Fernsehabend verbringen. Aber Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Aus einem ganz bestimmten Grund lässt er sein ganzes stabiles und perfekt funktionierendes Leben hinter sich. Während der Fahrt bemüht er sich nun fieberhaft um Schadensbegrenzung.
Der Grund für Ivans nächtliche Fahrt wird an dieser Stelle übrigens bewusst nicht erwähnt. Überhaupt sollte man über diesen Film im Vorfeld so wenig, wie möglich sehen, oder lesen. Nur dann vermag „No Turning Back“ seine komplette Wirkung zu entfalten. Steven Knight reduziert tatsächlich alles aus dem Film heraus, was man nicht braucht. Auf visueller Ebene passiert nahezu nichts. Tom Hardy sitzt hinter dem Steuer seines Autos und stiert auf die Straße. Man sieht nicht einmal, wie er lenkt, oder schaltet. Selbst diese nebensächlichen Handlungen spart der Film aus. Die Umgebung wird stets unscharf gezeigt. Im Fokus ist immer nur Ivan. Die eigentliche Geschichte wird nur durch die Telefonate transportiert, die man als Zuschauer dank modernster Freisprechanlage mithören kann. Und auf dieser Ebene entfaltet sich das gesamte Drama um Ivan Lockes Person. Durch die reduzierte Darstellung wird man nicht abgelenkt und kann sich voll und ganz auf die Gespräche konzentrieren. Durch diese Gespräche entwickelt der Film die gesamte tragische Figur und nach und nach erschließt sich die Tragweite der Ereignisse.
Dabei funktioniert „No Turning Back“ nicht als Thriller, obwohl dies natürlich der einfachste Weg gewesen wäre, aus so wenigen Mitteln einen packenden Film zu machen. Immer, wenn man denkt, jetzt passiert gleich etwas Aufregendes, Unvorhersehbares, wie ein Unfall, oder eine Polizeikontrolle, klingelt wieder das Telefon und konsequent wird die Struktur des Films aufrecht erhalten, ohne, dass es langweilig wird. Tom Hardy ist ein Schauspieler, den man bisher stets in sehr extremen Rollen sehen durfte. Man erinnere sich an seine Darstellung des charismatischen Bösewichts in „Star Trek Nemesis“, oder sein unvergleichlicher Auftritt in „Bronson“. Nicht zu vergessen seine überzeichnete, aber sehr überzeugende Darstellung in „The Dark Knight Rises“. Als Ivan Locke reduziert er seine Darstellung mindestens genau so stark, wie Steven Knight es mit seiner Inszenierung tut. Tom Hardy tut tatsächlich nicht viel, aber was er macht, ist prägend für seine Figur. Tatsächlich ist Ivan Locke eine Figur, die wesentlich mehr Charakter aufbringen kann, als es in vielen anderen Filmen, die weitaus mehr zeigen und aufwendiger inszeniert sind, gelingen kann.
„No Turning Back“ ist ein echtes Erlebnis. Wenn man sich darauf einlässt, kann der Film mit geringsten Mitteln innerhalb von 90 Minuten das Leben eines Mannes rekapitulieren, über den Haufen werfen und anschließend neu aufbauen. Ob das auch so überzeugend gelungen wäre, wenn man die Geschichte in einem umfangreicheren Rahmen verpackt hätte, ist die große Frage, die wohl nur sehr schwer beantwortet werden kann. Hier vollzieht sich auf jeden Fall der Vorsatz „Weniger ist mehr“ auf eine Art und Weise, wie ich es vorher noch nicht gesehen habe.
Locke (GB, 2014): R.: Stephen Knight; D.: Tom Hardy; M.: Dickon Hinchliffe ; Offizielle Homepage
Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Regisseur Steven Knight hat nun ein weiteres Experiment gewagt, das vor allem durch absolute Reduktion zu einem wahren Hingucker wird.
Ein Mann steigt ins Auto und fährt los. Der Mann sieht müde aus und so, als gingen einige Dinge in seinem Kopf vor. Nach wenigen Minuten wählt er eine Nummer und man erfährt, dass er ganz unverhofft und dringend nach London fahren muss. Einige Telefonate später wissen wir schon mehr. Ivan ist offensichtlich Bauleiter eines Millionenprojekts und gerade in dieser Nacht ist das Projekt an einem wichtigen und heiklen Punkt angelangt, welches eigentlich seiner uneingeschränkte Aufmerksamkeit bedarf. Doch Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Gleichzeitig findet ein wichtiges Fußballspiel statt und eigentlich wollte Ivan mit seinen Söhnen und seiner Frau einen gemütlichen Fernsehabend verbringen. Aber Ivan sitzt im Auto und fährt nach London. Aus einem ganz bestimmten Grund lässt er sein ganzes stabiles und perfekt funktionierendes Leben hinter sich. Während der Fahrt bemüht er sich nun fieberhaft um Schadensbegrenzung.
Der Grund für Ivans nächtliche Fahrt wird an dieser Stelle übrigens bewusst nicht erwähnt. Überhaupt sollte man über diesen Film im Vorfeld so wenig, wie möglich sehen, oder lesen. Nur dann vermag „No Turning Back“ seine komplette Wirkung zu entfalten. Steven Knight reduziert tatsächlich alles aus dem Film heraus, was man nicht braucht. Auf visueller Ebene passiert nahezu nichts. Tom Hardy sitzt hinter dem Steuer seines Autos und stiert auf die Straße. Man sieht nicht einmal, wie er lenkt, oder schaltet. Selbst diese nebensächlichen Handlungen spart der Film aus. Die Umgebung wird stets unscharf gezeigt. Im Fokus ist immer nur Ivan. Die eigentliche Geschichte wird nur durch die Telefonate transportiert, die man als Zuschauer dank modernster Freisprechanlage mithören kann. Und auf dieser Ebene entfaltet sich das gesamte Drama um Ivan Lockes Person. Durch die reduzierte Darstellung wird man nicht abgelenkt und kann sich voll und ganz auf die Gespräche konzentrieren. Durch diese Gespräche entwickelt der Film die gesamte tragische Figur und nach und nach erschließt sich die Tragweite der Ereignisse.
Dabei funktioniert „No Turning Back“ nicht als Thriller, obwohl dies natürlich der einfachste Weg gewesen wäre, aus so wenigen Mitteln einen packenden Film zu machen. Immer, wenn man denkt, jetzt passiert gleich etwas Aufregendes, Unvorhersehbares, wie ein Unfall, oder eine Polizeikontrolle, klingelt wieder das Telefon und konsequent wird die Struktur des Films aufrecht erhalten, ohne, dass es langweilig wird. Tom Hardy ist ein Schauspieler, den man bisher stets in sehr extremen Rollen sehen durfte. Man erinnere sich an seine Darstellung des charismatischen Bösewichts in „Star Trek Nemesis“, oder sein unvergleichlicher Auftritt in „Bronson“. Nicht zu vergessen seine überzeichnete, aber sehr überzeugende Darstellung in „The Dark Knight Rises“. Als Ivan Locke reduziert er seine Darstellung mindestens genau so stark, wie Steven Knight es mit seiner Inszenierung tut. Tom Hardy tut tatsächlich nicht viel, aber was er macht, ist prägend für seine Figur. Tatsächlich ist Ivan Locke eine Figur, die wesentlich mehr Charakter aufbringen kann, als es in vielen anderen Filmen, die weitaus mehr zeigen und aufwendiger inszeniert sind, gelingen kann.
„No Turning Back“ ist ein echtes Erlebnis. Wenn man sich darauf einlässt, kann der Film mit geringsten Mitteln innerhalb von 90 Minuten das Leben eines Mannes rekapitulieren, über den Haufen werfen und anschließend neu aufbauen. Ob das auch so überzeugend gelungen wäre, wenn man die Geschichte in einem umfangreicheren Rahmen verpackt hätte, ist die große Frage, die wohl nur sehr schwer beantwortet werden kann. Hier vollzieht sich auf jeden Fall der Vorsatz „Weniger ist mehr“ auf eine Art und Weise, wie ich es vorher noch nicht gesehen habe.
Locke (GB, 2014): R.: Stephen Knight; D.: Tom Hardy; M.: Dickon Hinchliffe ; Offizielle Homepage
Kineast im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Donnerstag, 31. Juli 2014
Wir sind die Neuen
Heißt
es nicht, dass man in der Vergangenheit immer glücklicher gewesen zu
sein scheint, als in der Gegenwart? Wem passiert es nicht, dass er
wehmütig an Früher denkt und nicht selten den Sinn für den
Augenblick verliert? Älter wird jeder und jeder durchläuft Phasen
seines Lebens, in denen es ihm nicht so gut geht. So ist es
vollkommen normal, sich an Zeiten zurück zu erinnern, in denen es
einem besser ging. Genau davon handelt der neue Film von Regisseur
Ralf Westhoff, „Wir sind die Neuen“. Zu schwermütig wird es
jedoch nicht, denn wer den Regisseur und seine früheren Arbeiten
kennt, weiß, dass er sich auf eine gehörige Portion, bitter bösen
Sarkasmus und unverhohlene Gesellschaftskritik freuen kann.
Anne
ist eine Biologin, die in ihrer Studienzeit in den 60er Jahren voll
und ganz dem Geist von Liebe, Freiheit und...Ja, Liebe pflegte. Nach
Ende ihres Studiums bekam sie schlecht bezahlte, aber hoch
motivierende Jobs und sitzt nun in einer wundershönen Wohnung in der
Münchner Innenstadt. Aus dieser Wohnung muss sie nun raus, denn die
Tochter der Vermieterin erhebt Anspruch und bezahlbarer Wohnraum ist
knapp. In ihrer Not kommt Anne eine grandiose Idee. Sie kontaktiert
die ehemaligen Mitbewohner aus ihrer alten WG und schlägt vor,
wieder zusammen zu ziehen. Zwei der alten Spezies – Eddie und
Johannes – lassen sich tatsächlich darauf ein und die
Wohnungssuche beginnt. Nach einigen Schwierigkeiten gelingt es den
Dreien, eine Wohnung zu bekommen und der Umzug kann los gehen. Die
Wohnung befindet sich in einem schönen Viertel und die anderen
Wohnungen sind überwiegend von jungen Studenten-WG's belegt. Tolle
Voraussetzungen für ein lockeres Zusammenleben. Zumindest denken das
die drei Alt-68er, die während des Umzugs vollkommen auf zu blühen
scheinen. Die Vorstellungsrunde im Haus läuft dann aber doch anders,
als erwartet. Der Nachbar gegenüber, ist nahezu nur unterwegs, kann
aber immerhin versprechen, sich für Juli mal einen Abend für n
Weinchen frei zu halten. Besonders überrascht wird die frisch
gebackene WG aber von Nachbarn über ihnen. Hier leben Katharina,
Barbara und Thorsten, zwei Jura-Studenten und eine Kulturstudentin,
die den neuen Nachbarn ziemlich unmissverständlich kommunizieren,
dass sie unmöglich Kapazitäten aufbringen können, den alten Leuten
zu helfen. Abgesehen davon machen sie deutlich, dass es ihnen
entschieden zu laut zu gegangen ist, in den letzten Tagen. Schnell
entwickelt sich nicht nur ein Interessenskonflikt, sondern ein
ausgewachsener Generationen-Kampf zwischen den beiden Mietparteien.
Und dann wird es lustig.
Ralf
Westhoff ist ein exzellenter Beobachter. Schon 2006 gelang ihm in
seiner kleinen, charmanten, aber auch bissigen Speed-Dating-Komödie
„Shoppen“ ein treffendes Bild des modernen Stadtmenschen, der
sich selbst für so etwas intimes, wie den Akt des Sich-Verliebens in
strenge und fest gelegte Regeln verpacken lässt. Die Mischung aus
perfekt eingefangenen und wieder gegebene Klischees und den
messerscharfen Dialogen, machte „Shoppen“ zu einem ganz
besonderen Genuss.
Genau
diese Mischung gelingt Westhoff nun auch in „Wir sind die Neuen“.
Zunächst amüsiert man sich über die jung gebliebenen Alten, die im
Geiste irgendwie in der Zeit stehen geblieben sind und das in allen
gängigen Klischees im Film zelebriert wird. Dem gegenüber stehen
die jungen Studenten, die ehrgeizig und fast schon besessen ihrem
Studium nach gehen; die ihre Wohnung in eine detailgetreue Abbildung
eines IKEA-Kataloges verwandelt haben; die ihre Schuhe fotografieren
und die Fotos auf die passenden Schuhkartons kleben; die selbst beim
kleinsten Geräusch aus der unteren Wohnung laut klopfen; denen die
Reinigung eines blitzsauberen Treppenhauses scheinbar über alles
geht. Hier spielt Westhoff sehr gekonnt mit den Erwartungen des
Zuschauers. Er zeichnet ein schlüssiges Bild, bestehend aus
Klischees und suggeriert einen wahrscheinlichen Fortgang der
Geschichte. An einem bestimmten Punkt der Geschichte dreht er die
Situation einfach und vertauscht die Rollen. Dieser Umschwung der
Situation funktioniert perfekt und allein daraus entstehen unfassbar
lustige Momente. Gepaart mit den messerscharfen und punktierten
Dialogen entsteht eine Komödie, über die man sich förmlich schlapp
lachen kann, ohne, dass man merkt, dass mein eigentlich über sich
selbst lacht.
Die
Auswahl der Darsteller ist auch voller Bedacht geschehen. Gisela
Schneeberger vereint in ihrer Person so viele Klischees, die sie ohne
große Mühe einfach über den Haufen werfen kann. Heiner Lauterbach,
der sozusagen die gesammelte Antipathie seiner bisherigen Rollen
aufbringt, um sich am Ende doch als ein liebenswerter, echt netter
Typ zu entpuppen.
„Wir
sind die Neuen“ ist locker, witzig und sprüht vor Sarkasmus. Eine
Mischung, die gut funktioniert und nur von wenigen Regisseuren
beherrscht wird. Angesichts der überzeugenden Figuren und der tollen
Dialoge lassen sich kleinere handwerkliche Fehler und leichte
Defizite im Drehbuch sehr leicht verschmerzen. Unterhaltsam und
überaus sehenswert.
Wir
sind die Neuen (D, 2014): R.: Ralf Westhoff; D.: Gisela Schneeberger,
Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Karoline Schuch, u.a.;
Offizielle Homepage.
In
Weimar: lichthaus
Kineast
im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Mittwoch, 30. Juli 2014
Die geliebten Schwestern
Auf
der diesjährigen Berlinale im Februar war dieser Film der, von den
Medien und der Festivalleitung immens gehypte Star. Es ist ein Film,
der von einem nahezu unbekannten Regisseur inszeniert wurde, dessen
Arbeiten in den letzten Jahren vor allem im Fernsehen zu sehen waren.
Hier durchlief Dominik Graf die üblichen Stationen, die für einen
deutschen Regisseur, der nicht den standardisierten
Leuchtfeuer-Hollywood-Karriere-Weg gehen will, anscheinend
unvermeidbar sind. So führten diverse Tatorte und Polizeirufe zu
seinem Ruf, ein Krimiexperte zu sein. Dabei scheint das in
Deutschland die einzige Möglichkeit zu sein, halbwegs kreative, oder
zumindest bezahlte Regiearbeit zu praktizieren. Doch halt! Ein
weiteres Genre gibt es, nämlich das der Biografie. Wenn es nicht
gerade um Hitlers Helfer oder eben deren Gegner gehen soll, und man
leider auch gerade keine zündende Idee für mehr oder weniger
packendes Wendedrama in der Tasche hat, müssen eben die klassischen
Komponisten / Dichter unseres traditionsreichen Landes her halten. So
stand ich also auf der Berlinale und dachte mir „Nicht noch ein
Schillerfilm“.
Das
ist nun ein halbes Jahr her und jetzt endlich startet „Die
geliebten Schwestern“ in den deutschen Kinos.
Sommer
in Weimar. Die junge Charlotte von Lengefeld sitzt in einem Zimmer
der Parterre der Weimarer Fürstenresidenz und macht, was
heiratsfähige Frauen in ihrem Alter so machen. Sie wartet auf einen
Günstling. Die ehrenwerte Frau von Stein hat sich nämlich ihrer
angenommen, um sie endlich unter die Haube zu bringen. Damals, wie
heute, schien die Auswahl in der Dichterstadt nicht all zu
berauschend zu sein. Der einzige mögliche Kandidat ist ein
schottischer Käpt'n mit schrecklichem Akzent und noch
schrecklicherem Humor. Charlotte will ihn aber unbedingt heiraten, um
endlich ihre Familie zu entlasten. Während die junge Frau also
wartet, hört sie von draußen eine rufende Stimme. Diese Stimme
gehört zu einem – im Vergleich zu den restlichen Einwohnern der
kleinen Stadt – auffallend gutaussehenden, jungen Mann. Der scheint
sich verlaufen zu haben und erkundigt sich nach dem Weg. Eine kokette
Schäkerei entsteht, der die Anstandsdame des Hauses direkt ein Ende
bereitet.
Über
Charlotte erfährt man nun, dass sie eine Schwester, namens Caroline
hat, die sie nach Ende der anbandelnden Liaison mit dem Käpt'n in
Weimar besucht, um ihr in dieser schweren und aussichtslosen Zeit
Beistand zu leisten. Caroline erfährt vom kurzen Besuch des jungen
Mannes am Fenster und bringt dessen Namen in Erfahrung. Tags darauf
wird ein weiterer Besucher angekündigt und sein Name lautet
Friedrich Schiller.
Mehr
möchte ich an dieser Stelle über die Story nicht sagen. Zum einen
hört an dieser Stelle des Films der vorhersehbare Teil der
Geschichte auf und es geht tatsächlich einigermaßen frisch erzählt
weiter; zum anderen basiert die gesamte Thematik des Films auf nichts
weiter, als Mutmaßungen und Gerüchten – was in diesem Fall
überaus positiv zu bewerten ist, beweist es doch die Kreativität
der Autoren des Films.
„Die
geliebten Schwestern“ schlägt insgesamt eine andere Gangart an,
als man es bei derartigen Filmen erwartet hätte. Die Immersion ist,
trotz aufwändiger Ausstattung und toller Kostüme, erstaunlich
gering. Das liegt an der Form, die Graf wählt, um die Geschichte zu
erzählen. Wahrscheinlich, um einen authentischeren Eindruck zu
schaffen, hat der Rahmen einen dokumentarischen Stil. Dominik Graf
selbst gibt den Erzähler der Geschichte. Einblendungen in klobiger
Schrift verstärken den Eindruck. Auch wenn dieser Stil am Anfang
etwas befremdlich wirkt, sorgt er doch für ein gutes Tempo, so dass
mir die doch recht stolze Laufzeit von zweieinhalb Stunden nicht zu
lang wurde. An einigen Stellen läuft dieser Stil allerdings etwas
konträr zur eigentlichen Geschichte, die natürlich voller Gefühle
und Drama und dem ganzen anderen kitschigen Zeug sein muss. So wirken
solch klischeehafte Szenen, wie die Rettung eines ertrinkenden Kindes
im Fluss, sowie das anschließende Gruppenkuscheln auf einem Feld
irgendwie absurd. All die Nüchternheit verschwindet in diesen
Szenen, wird danach aber sofort wieder entfaltet und sorgt so dafür,
dass man die Motive der Schwestern und die Schillers nicht ganz
nachvollziehen, oder ernst nehmen kann.
Auch
an anderer Stelle schlägt dieser Twist zu. Graf hat sich
entschieden, seinen Schiller reduziert und knapp zu konstruieren,
womit ich persönlich überhaupt kein Problem hätte. Das zieht nach
sich, dass Schiller oft sehr reduziert und knapp redet. Nie kommt
Leidenschaft durch, die aber nicht schlecht gewesen wäre, zumal es
ja bei dieser Dreiecksbeziehung um etwas sehr ungewöhnliches und
skandalöses ging. Aber vielleicht kann man so eine Geschichte nicht
erzählen, ohne den ganzen Kitsch, auf den Graf offensichtlich
verzichten wollte. Mit dem Kitsch wäre es ein zweiter „Goethe“
geworden, eine oberflächliche Kostümromanze. Davon ist „Die
geliebten Schwestern“ zum Glück weit entfernt und vermag es, neben
den zahlreichen unterhaltsamen Momenten auch ein packendes und
ziemlich wirklichkeitsnahes Zeitbild zu schaffen.
Zur
schauspielerischen Leistung muss man im Grunde nichts sagen. Alle
spielen gut; es gibt keine Totalausfälle; den Oscar wird Hannah
Herzsprung auch dafür nicht bekommen (obwohl ihre Unterlippe so
schön beben kann, wenn sich aufgeregt werden soll).
Bei
all der Aufregung vor einem halben Jahr in Berlin und jetzt hier in
Weimar selbst, ist „Die geliebten Schwestern“ ein ganz normaler,
gut gemachter, aber nicht über zu bewertender Film, der den großen
Dichter Friedrich Schiller auf eine angenehm andere, aber nicht
unbedingt neue Art beleuchtet. Unterhaltsam und sehenswert – das
muss Kino ja generell leisten. In einem halben Jahr wird wohl keiner
mehr darüber sprechen.
Die
geliebten Schwestern (D, 2014): R.: Dominik Graf; D.: Henriette
Confurius, Florian Stetter, Hannah Herzsprung, u.a.; M.: Sven
Rossenbach & Florian van Volxem; Offizielle Homepage
Kineast
im Radio: Immer Sonntags, 14 Uhr auf Radio Lotte Weimar.
Freitag, 25. Juli 2014
Kineast...Back in Action!
Ihr
werdet es mitgekriegt haben: Hier ist lange nichts passiert. Da es
für mich vor allem ein Leben außerhalb dieses Blogs gibt, und
manchmal Prioritäten gesetzt und Konsequenzen gezogen werden müssen,
lag der „Kineast“ eine Weile brach. Doch jetzt habe ich die Zeit
gefunden, mich wieder ein wenig darum zu kümmern und möchte
zunächst ein paar Dinge nach holen.
Los
geht’s mit „Nymphomaniac“. Natürlich habe ich mittlerweile den
zweiten, abschließenden Teil des Trierschen Sex-Epos gesehen und
muss zugeben, dass sich die Tendenz, die sich bereits zum Ende des
ersten Teils angedeutet hat, auch im zweiten Teil vertieft wurde.
Storytechnisch geht es natürlich, wie erwartet weiter. Joe liegt im
Bett und lässt sich von Seligman gesund pflegen. Als Gegenleistung
erzählt sie ihm die Geschichte, wie es dazu kommen konnte, dass sie
übel zugerichtet in einer dunklen Gasse lag. All die Dinge, die auf
sexueller Ebene im ersten Teil noch fehlten, werden hier noch nach
geliefert. Dreier, Auspeitschungen und Masturbation mit einer
gebundenen Ausgabe der Bibel. Wie schon im ersten Teil, ist die
Darstellung weniger explizit, als erwartet und versteckt sich hinter
wenig subtilen Kunstgriffen, wie Weichzeichnern und verdunkelten
Einstellungen, so dass es letztendlich gar nicht so viel zu erkennen
gibt. Das nimmt dem Film natürlich seine provokante Brisanz, die
aber im Vorfeld so ausschweifend beworben wurde. Wenn also der Sex in
seiner visuellen Vielfalt fehlt, bleibt nur noch die Story. Und hier
schafft es Lars von Treir tatsächlich, für eine Weile zu fesseln.
Erzählerisch ist es bestimmt kein Meisterwerk, aber es entsteht ein
runder Bogen, der gegen Ende des Films tatsächlich alle losen Enden
der Story zu verknüpfen vermag und zu einem sinnvollen, durchaus
befriedigenden Abschluss der Geschichte bringt. Tja! Wäre da nicht
das wirkliche Ende des Films. Ohne all zu viel spoilern zu wollen,
geschehen plötzlich zwanzig Sekunden vor Schluss Dinge, die absolut
nicht nachvollziehbar sind und jeglichen gesunden Menschenverstand
entbehren. Selten bin ich dermaßen frustriert und verärgert aus
einem Film gegangen. Ist Lars von Treir ein Mensch, der es nicht
ertragen kann, zumindest ein klitzekleines bisschen Harmonie in der
Welt zu wissen? Oder ist das alles Teil der großen Show um seine
eigene Person? Ist er wirklich depressiv, oder hat er seine
Depression nur zu einem Produkt gemacht, welches er seit vielen
Jahren überaus erfolgreich verkauft? Das würde zumindest in
Ansätzen dieses völlig sinnentfremdete Ende erklären.
Genug
davon! Lassen wir Lars von Trier für eine Weile in Ruhe. In den
nächsten Jahren wird sich da sowieso nicht so wahnsinnig viel tun.
Widmen wir uns stattdessen den wirklich wichtigen Filmen des letzten
viertel Jahres: „X-Men – Days Of Future Past“!
Zu
Beginn muss ich voraus schicken, dass ich die X-Men-Filme generell
mag. Besonders der erste Teil (2000) galt als richtungsweisend auf
dem Gebiet der Comic-Verfilmungen. Durch einfachste Mittel, die aber
handwerklich perfekt inszeniert wurden, gelang es Bryan Singer, die
schiere Kraft der Mutanten darzustellen. Wenn die aufeinander
getroffen sind, flogen nur so die Fetzen durch die Gegend. Obendrein
gab es eine Story, die dem Anspruch einer Comicverfilmung perfekt
entsprach. Nicht zu ernst, aber auch weit von Over-The-Top!
Zusätzlich servierte uns Singer mit Patrick Stewart und Ian McKellen
zwei, meiner absoluten Lieblingsschauspieler und es gelang ihm
obendrein, ein überzeugender Bezug zu solch historischen
Ereignissen, wie dem Holocaust, ohne, dass es unpassend wirkte.
„X-Men“ war erfolgreich, aber bei weitem nicht so erfolgreich,
wie das heutige Comicverfilmungen schaffen. Dafür gelang dem Film
die Vorreiterrolle und Singer diente als Inspiration sämtlicher
folgender Comic-Blockbuster, die seine anfänglichen Konzepte einfach
weiter führten und perfektionierten. Man denke nur an „Spder-Man“!
Hach! Spider-Man! Dann wurde es etwas tragisch. Für den zweiten
X-Men-Film zog Singer sämtliche Register. Komplexere Story, geilere
Effekte und viel, viel mehr Mutanten. Das funktionierte an der
Kinokasse nicht so gut und vielen Comic-Fans kam es so vor, als sähen
sie nur eine weitere, spektakuläre, aber austauschbare
Comicverfilmung. Für den dritten Teil gab Singer die Regie ab, um
sein Herzensprojekt „Superman Returns“ zu realisieren – ein
Film dessen unglaubliche Ambitionen nur von seinem kolossalen
Scheitern übertroffen wurde. „X-Men 3“ wirkte aber firscher, als
sein Vorgänger und brachte die Mutanten-Trilogie gleichermaßen
dramatisch, wie auch schlüssig zu einem Abschluss. Damit war noch
lange nicht Schluss, den Hugh Jackman glaubte, in Wolverine die Rolle
seines Lebens entdeckt zu haben. Leider gab es noch nicht den
entsprechend beeindruckenden Film zu dieser Rolle, weshalb er Gavin
Hood ins Boot holte, der „X-Men Origins: Wolverine“ inszenierte.
Damit sollte eine Spin-Of-Reihe etabliert werden, die der Reihe nach,
die einzelnen Mitglieder des Superhelden-Teams vorstellen sollte. Der
Film spielt zeitlich einige Jahre vor dem ersten X-Men-Film und
erzählt, wie Logan und sein Bruder durch die Zeiten wandeln und
letztendlich zu den Mutanten werden, die wir kennen. Einen weiteren
Teil der „X-Men-Origins“-Idee gab es nicht, denn der finanzielle
Erfolg des Films entsprach nicht den Erwartungen von 20th
Century Fox.
War
dies das Aus für die X-Men? Schon klingelten die Avengers und es
deutete sich an, dass Marvel und Disney die Sache mit der
Franchise-Bildung irgendwie besser hinkriegten. Als schon niemand
mehr damit rechnete gab Fox grünes Licht für einen neuen
X-Men-Film. Der sollte die Vorgeschichte der ursprünglichen X-Men
erzählen. Die sehr frühe Vorgeschichte. Von Kindesbeinen an
begleiten wir also Professor X, Mystique und Magneto.
Erstaunlicherweise funktionierte diese Prequel-Geschichte erstaunlich
gut und ich konnte diesen Film richtig genießen. Coole Schauspieler,
tolle Effekte, gute Story und eine (fast) nackte Jennifer Lawrence.
Auch hier blieb der erhoffte Riesenerfolg aus, der Film spielte aber
dennoch eine beachtliche Summe ein und es stand schnell fest, dass
das Prequel fortgesetzt werden soll. Vorher geschah noch etwas
verwirrendes. Der Wolverine-Film, der einige Jahre zuvor noch als
eingestellt galt, weil Daren Aronowsky wohl doch keinen Bock auf
Comic-Verfilmungen hatte, tauchte plötzlich wieder auf. Einmal mehr
schlüpfte Hugh Jackman in die Rolle des Klingen-schwingenden
Mutanten. Dieses Solo-Abenteuer war plötzlich wieder nach den
Ereignissen des dritten X-Men-Films angesiedelt und strotzte nur so
vor Logik-Fehlern. Wer das Ende von „X-Men 3“ kennt, weiß
vielleicht, was ich meine. Die Story führte Logan nach Japan und
mehr will ich darüber gar nicht sagen. Der Film war für mich eine
Qual und ich habe das meiste vergessen. Gleichzeitig wurde „X-men –
Days Of Future Past“ gedreht. Das führte übrigens zu einigen
lustigen Verwechslungen. Hugh Jackman tauchte als Wolverine mehrfach
am falschen Set auf, weil er wohl selbst den Überblick verloren
hatte, in welchem Film er nun grade wie und wo Wolverine spielen
sollte. Der neue Film sollte nun die ganzen Verwirrungen auflösen
und sozusagen sämtliche Kontinuitäten zusammen führen. Was in
Comicform vor einigen Jahren sehr gut funktioniert hatte – die
Storyline wurde zwei Jahre lang in 4 durchlaufenden Serien
veröffentlicht und gilt als eines der spektakulärsten
zusammenhängenden Comic-Abenteuer der Geschichte – konnte in
Filmform nur misslingen. Zeitlich befinden wir uns ein paar Jahre in
der Zukunft. Alle Mutanten haben plötzlich ihre Mutantenkräfte
zurück, obwohl zum Ende des dritten Teils ziemlich
unmissverständlich deutlich gemacht wurde, dass das eigentlich nicht
sein kann. Außerdem lebt Professor X plötzlich wieder, obwohl auch
an dessen Ableben am Ende des dritten Teils kein großer Zweifel
bestand. In dieser, also sehr verwirrenden Zeit, werden Mutanten von
Sentinels gejagt – übermächtige Terminator-Roboter, die in der
Lage sind, die Kräfte ihrer mutierten Gegner zu absorbieren und sie
gegen sie selbst einzusetzen. Man ist sogar so verzweifelt, dass alte
Feindschaften begraben werden und Magneto plötzlich ein Guter ist.
Nun muss jemand in die Vergangenheit geschickt werden, um ein
bestimmtes Ereignis zu verhindern, welches zur Herstellung der
Killermaschinen führt. Der einzige Mutant der die Strapazen einer
Zeitreise überstehen würde, ist Wolverine. In der Vergangenheit
muss er also seine Verbündeten finden und sie irgendwie davon
überzeugen, dass sie eigentlich keine Feinde sind. Das dadurch die
gesamte, bisherige X-Men-Kontinuität mit samt der bekannten
Ereignissen obsolet wird, ist eine andere Sache. Fakt ist, der Film
macht eine bessere Figur, als gedacht. Die Story wird erstaunlich
tiefgründig konstruiert und versucht, allen Figuren die
entsprechende Bühne zu verschaffen. Das gelingt tatsächlich ganz
gut, auch wenn sich Singer gegen Ende ein bisschen verstrickt, weil
es einfach zu viele Dinge gibt, von denen erzählt werden muss.
Insgesamt hat der Film ein angenehmes Tempo und bewegt sich etwas
abseits der mörderisch schnellen Verfilmungen der Kollegen von
Disney. Dennoch versucht „Days Of Future Past“ zu sehr, alles auf
einmal zu sein und wieder muss man sagen, der bahnbrechende
Supererfolg bleibt aus. Der Film ist okay, aber eben kein
Meisterwerk. Aber Singer gibt nicht auf. Niemals! 2016 kommt „X-Men
Apocalypse“
Ein
weiterer wichtiger – wenn nicht gar einer der wichtigsten Filme des
ganzen Jahres – war „12 Years a Slave“, ein Film, den ich zum
Kinostart gesehen habe, über den ich einen seitenlangen Text
verfasst habe, der wiederum nicht gepostet wurde, weil ich nicht dazu
gekommen bin, ihn Korrektur zu lesen. Als ich ihn endlich fertig
hatte, war es zu spät und mittlerweile wurde alles wichtige und
unwichtige über diesen Film auch an anderer Stelle gesagt und
geschrieben. Eine sache fehlt allerdings, weswegen ich den Film an
dieser Stelle noch einmal erwähne. Wer „12 Years a Slave“ nicht
gesehen hat, möge das unverzüglich nachholen. Steve McQueen hat es
geschafft, dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte,
packend und absolut ungeschönt auf die Leinwand zu bannen. Es ist
erstaunlich, welche Wirkung die einfachsten Bilder auf den Zuschauer
haben können. Mir stiegen ständig Vergleiche zum Holocaust in den
Kopf und wenn man es nüchtern betrachtet und mal von einigen Details
absieht, und man wirklich ein historisches Ereignis suchen will,
welches mit den Ausmaßen der Grausamkeit und Menschenverachtung der
amerikansichen Sklaverei zu vergleichen ist, kommt man unweigerlich
zum Holocaust in Europa. Diese Erkenntnis hat mir dieser Film
gebracht. Plötzlich wird einem die Tragweite bewusst und es wird
einem klar, dass es nichts schlimmeres gibt, als das, was Menschen
anderen Menschen antun können. Der Film hat viele Menschen berührt
und letztlich ist er auch mit den prestigeträchtigen Preisen belohnt
wurden, die Hollywood ja anscheinend über alles gehen. Ob dieser
Film jedoch langfristig etwas in den Köpfen der Menschen verändern
konnte, bleibt ab zu warten. Ich jedenfalls, werde „12 Years a
Slave“ nie vergessen.
Ich
habe noch viele Filme gesehen, über die ich in letzter Konsequenz
hier nichts geschrieben habe. Sie alle hier und jetzt ausführlich zu
besprechen, würde den Rahmen sprengen. Natürlich müsste ich
ausufernd über „Inside Llewyn Davis“ schreiben. Ich belasse es
bei zwei Ratschlägen: Seht Euch den Film an! Hört Euch danach den
Soundtrack an! Tatsächlich sind diese beiden - nennen wir es mal –
Medien in der Lage alles zu transportieren, was man über Film wissen
muss.
Mal
wieder gesehen habe ich zum Beispiel „Blade Runner“, nachdem nun
bekannt wurde, dass Ridley Scott ernsthaft eine Fortsetzung
realisieren will. „Blade Runner“ funktioniert immer noch, trotz
seiner verstörend Anmutigen Skurrilität. Es ist eben ein
Genre-Definierendes Werk, welches auf so viele Arten und Weisen, neue
Dinge ausprobiert und teilweise auch etabliert hat. Muss der Film
gefallen? Nicht unbedingt, aber gesehen haben sollte man ihn, ohne
Frage!
Mal
wieder gesehen habe ich „Star Wars“. Bevor jemand die unerhörte
Freichheit besitzen kann, zu fragen, welche Star-Wars-Filme ich
gesehen habe, beantworte ich sie lieber gleich. Natürlich habe ich
die alten, die originalen – ja eigentlich die einzig wahren –
Teile gesehen. Ich gehöre zu der Sorte von Menschen, die sich „Star
Wars“ niemals in chronologischer Reihenfolge ansehen würden und zu
jenen Menschen, für die die Episoden 1 bis 3 eigentlich nicht
existieren. Aber auch hier steht uns in den nächsten Jahren eine
Fortsetzung an, über die ich persönlich eigentlich gar nichts
wissen möchte, bis sie fertig ist und in einem Kino meiner Wahl an
zu sehen ist. Jedem Gerücht, welches Hoffnung auf einen gelungenen
Film säen könnte, folgt sowieso sehenden Fußes ein Gerücht,
welches das Gegenteil bewirkt. Also, warum sollte ich mich verrückt
machen. Stattdessen gucke ich mir die Episoden 4-6 noch tausend Mal
an und genieße etwas, was mich und meine Faszination für Filme so
dermaßen geprägt hat, als das, was es ist: Eine Legende. Und
Legenden kann man nicht neu schreiben, egal, was J.J. Abrahms und
Disney dazu sagen.
Kurz
vor Ende möchte ich noch auf zwei kleinere, weil deutsche Filme
aufmerksam machen. Zum einen durfte ich in dieser Woche der
Deutschland-Premiere von „Die geliebten Schwestern“ beiwohnen.
Ein Film über den großen Dichter Friedrich Schiller und dessen
angeblicher Dreier-Beziehung zu den Schwestern Lengefeld aus
Rudolstadt. Entgegen sämtlicher Befürchtungen, geht der Film keine
oberflächlichen Pfade und hat weitaus mehr zu bieten, als so manche
Kostüm-Romanze der letzten Jahre. Mehr dazu gibt es übrigens in der
Radio-Sendung am kommenden Sonntag und anschließend auch hier an
dieser Stelle. Des weiteren wird es hier demnächst auch um „Wir
sind die Neuen“ gehen, den neuen Film von Ralf Westhoff. Dieser
Film hat auf zahlreichen Festivals in den letzten Wochen einige
Preise eingeheimst und feiert im Moment entsprechende Erfolge an den
deutschen Kinokassen. Abseits dieser kalten Fakten hat der Film noch
viel mehr zu bieten. Darüber lasse ich mich dann ebenfalls in aller
Ausführlichkeit aus.
War's
das jetzt wieder für die nächsten sechs Monate? Wo sind die
angekündigten Veränderungen? Wo bleibt der nächste
„FlimmerCASTen“? Hat Jan wirklich Jennifer Lawrence getroffen?
Das sind dringliche Fragen, die ich zumindest teilweise noch
beantworten kann. Das war's nicht für das nächste Jahr. Meine
berufliche Situation hat sich etwas verändert und gestattet mir,
sehr viel zu Hause zu arbeiten. Zeit für's Kino werde ich mir nun
auch einfacher frei schaufeln können und so wird es nun auch wieder
regelmäßige Beiträge hier geben. Die angedachten Veränderungen
für „Kineast“ bleiben noch auf dem Zettel, werden aber momentan
nicht praktikabel sein. Irgendwann wird es soweit sein. Der
„FlimmerCASTen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Antonia, die
selbst nicht weniger zu tun hatte, als ich, in den letzten Monaten.
Eine Weiterführung des Podcasts wird demnächst mal bei nem Weinchen
diskutiert. Aber keine Bange! Wir sind nach wie vor filmaffine, vor
verbaler Inkontinenz nur so strotzende Cracks. Eigentlich die besten
Voraussetzungen für ein derartiges Projekt!
Nicht
vergessen, am Sonntag, das Radio (bzw. den Stream) ein zu schalten!
14 Uhr geht’s los, ich freu mich auf Euch. Demnächst wird es hier
an dieser Stelle noch einen packenden Tatsachenbericht über die
schlechteste Sci-Fi-Messe der Welt geben und mal sehen, was sich noch
ergibt.
-Jan-
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