Es ist ein kleines Wunder, dass die ganze Welt in helle Aufregung gerät, wenn Quentin Tarantino einen neuen Film gemacht hat. Das war nicht immer so. Tarantino hat klein angefangen. So klein, wie man es sich nur vorstellen kann. Er hatte als Jugendlicher einen Job in einer Videothek und kam dort in den Genuss hunderter Filme. Als Kind ging er in sogenannte Grindhouse-Kinos. Dort wurden Filme gezeigt, die weit hinter B-Produktionen standen. Diese Trashwerke beeinflussten Tarantino sehr. Seine ersten Gehversuche als Filmschaffender sahen also auch entsprechend aus. Der erste Film, bei dem er Regie führte, hieß „Lovebirds in Bondage“ und erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit. Vor der Vollendung, verbrannte der Film. Erstaunlicherweise – oder viel mehr unglaublicherweise – erging es seinem zweiten Projekt, „My Best Friend's Birthday“, genau so. Zwei Drittel des Filmes wurden bei einem Studiobrand vernichtet. Der dritte Versuch gelang und machte Tarantino zum Geheimtipp für Neues, Frisches, Cooles und manchmal total Verrücktes. In seinem ersten vollendeten Film „Resevoir Dogs“ zeigte sich bereits all das, was spätere Filme Tarantinos so speziell machte. „Resevoir Dogs“ war eine Blaupause für das gesamte Schaffen, des Künstlers. Dieses Schaffen wird nun von einem neuen Höhepunkt geprägt: „Django Unchained“
Der Süden der USA, irgendwann in den 1850er Jahren. Es ist Winter und es ist kalt. Zwei berüchtigte Sklavenhändler-Brüder sind mit einer kleinen Gruppe unterwegs durch den Winterwald. Sie haben frische Sklaven erworben und wollen sie nun weiter verkaufen. Der grausame Marsch wird jäh unterbrochen, als die Gruppe auf einen Zahnarzt trifft. Sein Name ist Dr. King Schultz und er ist auf der Suche nach einem ganz besonderen Sklaven. Schultz ist schon längst kein praktizierender Arzt mehr, sondern Kopfgeldjäger. Er braucht Django, weil dieser der einzige Mensch zu sein scheint, der die nächsten Ziele des Doktors schon einmal gesehen hat und sie identifizieren kann. Die beiden Sklavenhändler sind allerdings nicht sonderlich kooperativ und wollen Django nicht verkaufen. Doktor Schultz weiß jedoch, sie adäquat zu überzeugen und zieht mit Django los. Relativ schnell schließen die beiden einen Pakt und Django ist bereit, Schultz zu helfen, will aber auch eine Gegenleistung. Der berüchtigte Calvin Candie hat nämlich die Frau von Django in seinem Besitz und Django will sie um jeden Preis retten. Calvin Candie ist allerdings dafür bekannt, ein besonders grausamer Farmer zu sein, und auch dafür, nie etwas zu verkaufen, wenn er es für wertvoll hält, oder er merkt, wie wertvoll es für jemand anderen zu sein scheint. Ein raffinierter Plan und subtiles Vorgehen sind also von Nöten.
Es ist interessant, dass Tarantino in vielen seiner früheren Filme immer wieder um das Genre des Western herum getänzelt ist und er immer wieder Zitate mit eingeflochten hat, auch wenn diese scheinbar gar nicht dort hin gehörten. Besonders in „Inglorious Basterds“ gab es immer wieder Szenen, die diesem Genre entliehen waren. Nun hat Tarantino es also endlich getan und präsentiert mit „Django Unchained“ einen Western, der auch noch eine Art Remake eines absolut klassischen Vertreters dieser Filmgattung darstellt. Als erstes fällt auf, dass Tarantino einige typischen Stilmittel einfach aufgibt. So wird die Episodenform aufgelöst und die Story folgt einer ungewöhnlich stringenten Linie. Außerdem hat Tarantino extrem viel Aufwand in die Ausstattung gesteckt. Wir sehen fantastische Aufnahmen an Originalschauplätzen und sämtliche Kulissen und Kostüme sind sehr detailliert designt und aufgebaut.
Selten zuvor hat man erlebt, dass Tarantino der reinen visuellen Ebene seiner Filme so viel Aufmerksamkeit widmet
Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist der Rest typisch Tarantino. Ausgeprägte und verrückte Figuren. Jeder von ihnen hat irgendwas Abgefahrenes und Überzeichnetes an sich. Django, der ehemalige Sklave, schert sich selten um das Schicksal seiner Leidensgenossen; viel mehr scheinen die ihm egal zu sein, so lange er seine Rache bekommt. Das Motiv mit der geliebten Ehefrau scheint all zu oft nur als Entschuldigung zu dienen. Oft ist Django genau so skrupellos und grausam, wie die, an denen er sich rächen will. Nicht weniger grausam ist Doktor Schultz, der seine Gewaltausbrüche aber in typischer Christoph-Waltz-Manier durch witzige Exkurse zu kaschieren weiß. Bei Waltz scheint alles nebenbei zu passieren; die Gewalt, der Humor, das Essen und Trinken; das Leben. Im Gegensatz zu seiner Darstellung des bösen Nazigenerals aus „Inglorious Basterds“, zeigt Schultz aber des Öfteren Menschlichkeit, die sogar zum Schlüsselelement avanciert.
Tarantino wurde Rassismus vorgeworfen. Diese Vorwürfe kamen allerdings nur aus Richtung der schockierten Amerikaner. Das Wort „Nigger“ würde so häufig benutzt werden, wie sonst nie. Folgerrichtig muss der Film also rassistischen Inhalts sein. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Tarantino einfach erneut sehr gründlich recherchiert hat, um den Zeitgeist dieser Epoche ein zu fangen. Möglicherweise ist ihm das besser gelungen, als die amerikanischen Zuschauer verkraften wollen. Aus meiner Sicht zeigt Tarantino eine etwas übertriebene und künstlerisch gestaltete Version der Wahrheit. Und mit der können viele Amerikaner wohl immer noch nicht so recht umgehen.
Ist „Django Unchained“ gut? Diese Frage wurde mir oft gestellt, seit ich den Film gesehen habe. In dieser Frage spiegelt sich die Skepsis wieder, ob es Tarantino nach dem überragenden „Inglorious Basterds“ wirklich noch einmal geschafft haben könnte, eine Schippe drauf zu legen. Ich kann nun antworten: Ja, er ist gut. Aber ist er besser? Ich tue mich schwer, bei Tarantinos Filmen zu sagen, welcher besser, oder schlechter ist. Jeder seiner Filme steht immer ganz für sich und er nähert sich unterschiedlichen Themen auf einzigartige Weise. Mir gefällt seine Kunst, denn für mich ist er in erster Linie Künstler und nicht unbedingt Filmemacher, oder Handwerker. Und wem gelingt schon die witzigste Kukluxklan-Szene der Filmgeschichte, wenn nicht einem Künstler?
Django Unchained (USA, 2012): R.: Quentin Tarantino; D.: Jamie Foxx, Christoph Waltz, Leonardo DiCaprio, Don Johnson; Offizielle Homepage
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