Mittwoch, 21. September 2011

Filmkunstmesse Leipzig - Dienstag


12:00 Uhr

Nach dem gestrigen Debakel mit der Technik, wird heute als erstes das Equipment gesichtet, getestet, dran herum gespielt und letztendlich sogar einigermaßen zum Laufen gebracht. Tagsüber wird ein bisschen in der Stadt herum gefahren und das spät sommerliche Wetter versöhnt etwas mit dem Umstand, dass man nun doch plötzlich viel mehr Zeit hat, als ursprünglich gedacht.

22:15 Uhr


Dann geht es wieder in die Passagenkinos in der Innenstadt, eine Einrichtung, die es mir irgendwie angetan hat. Es hat alles ein ganz besonderes Flair, welches irgendwie an goldene, längst vergangene Tage denken lässt. Auch ist die Filmauswahl, die hier in der Regel präsentiert wird, sehr interessant und hebt sich angenehm von anderen mainstreamiger geprägten Multiplex-Kinos ab. Hier fand gestern bereits die Eröffnungsveranstaltung statt und hier hin verschlägt es mich auch am heutigen Abend.
Es wird „Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte“ gezeigt, der Regie-Erstling des englischen Schauspielers Paddy Considine. Considine ist hierzulande nicht all zu bekannt, hat aber bis heute in knapp 30 – überwiegend britischen – Produktionen mitgespielt. Beim diesjährigen Sundance Festival gewann er den World Cinema Regiepreis und der Film gilt schon jetzt als ein absolutes Highlight der britischen Filmkultur.

„Tyrannosaur“ erzählt von Joseph, der alleine in einem verwahrlosten Vorstadtviertel lebt. Er ist stets stark gerizt und stürzt sich, ohne große Überlegungen in jeden sich bietenden Konflikt. Er sieht in seiner ständigen Wut selbst ein Problem und weiß nicht, wie er sie beherrschen soll. Eines Tages kommt er in den Laden von Hannah. Sie betreibt eine Art An- und Verkauf für die ärmeren Bewohner des Viertels, lebt selbst allerdings in gut betuchten Verhältnissen. Sie ist sehr gläubig und fühlt sich berufen, sich Joseph anzunehmen und sich um sein Seelenheil zu kümmern. Der sieht in ihren Ansichten allerdings bloß Konfliktpotential und fackelt nicht lange, ihr kräftig vor den Kopf zu stoßen. Bald stellt sich allerdings heraus, dass Hannah mit ihrem Leben und ihrer Ehe mit einem ziemlich gestörten Ehemann ganz und gar nicht zufrieden ist und Joseph merkt, dass er wohl doch etwas für sie empfindet, und sei es nur Reue.

Was sich zunächst anhört, wie eine ganz normale Liebesgeschichte, entpuppt sich schnell als einer der ehrlichsten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Es fällt auf, dass jüngst viele, sehr harte und deprimierende Filme aus Großbritannien kommen. Man denke bloß an „Harry Brown“ und im letzten Jahr an „Fish Tank“. Angesichts der heftigen Krawalle, die das Land erschütterten, dürfte wohl jeder mitbekommen haben, dass auf der Insel einiges im Argen liegt. „Tyrannosaur“ nimmt den Zuschauer an die Hand, führt ihn mitten hinein, und lässt ihn dann dort stehen. Man bekommt die gesamte und ungeschönte Wahrheit zu sehen. Vielen Menschen geht es schlecht und sie leben am Existenzminimum, wohin gegen ein kleiner Teil der Bevölkerung ein wohlhabendes Leben führen darf. Das ganze Land ist voller Kontraste und die prallen in diesem Film ungehemmt aufeinander. Die beiden Hauptdarsteller Peter Mullan und Olivia Colman liefern unglaublich detailierte und intensive Darstellungen ab und Regisseur Paddy Considine unterstützt diese starke Leistung mit einem unglaublich nahen Stil. Dieser Film deprimiert und fasziniert zugleich und auch wenn nicht viel Schönes zu sehen ist, schafft er ein Quasi-Happy-End, ohne gekünstelt, oder aufgesetzt zu wirken.

Ganz sicher ist „Tyrannosaur“ ein großes Highlight in diesem Restkinojahr, das lange im Gedächtnis bleiben wird und das schaffen nur Filme, die über etwas Wahres und Echtes berichten. An dieser Stelle also der gleiche Text, wie gestern. Ab 13. Oktober läuft der Film in den deutschen Kinos und wird dringend empfohlen. Das war's vom Messe-Dienstag. Morgen wird es um die filmgewordene Traurigkeit gehen, denn ich werde mir Lars von Trier's Melancholia ansehen. Bis dann.

Tyrannosaur (GB, 2011): R.: Paddy Considine; D.: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, u.a.; M.: Dan Baker; Filmstartsseite

Der nächste Kineast: Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

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